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Ingenieur Nico Perrin im Exklusiv-Interview: "Wir wollen die ultimative Rundenzeit am Nürburgring fahren"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Ein ehrgeiziger Plan nimmt Gestalt an: Mit dem Projekt Perrinn 424 soll nichts Geringeres erreicht werden, als mit einem elektrisch angetriebenen Prototypen den Rundenrekord auf der Nürburgring-Nordschleife zu brechen. Nicht nur die bisherige Elektro-Bestmarke soll fallen, sondern auch die 2018 erzielte Fabelzeit von 5:19 Minuten des legendären Porsche 919 Hybrid Evo mit Timo Bernhard am Steuer. Wir haben mit dem Initiator Nico Perrin über Ziele, Technik und die langfristige Vision hinter seinem Projekt gesprochen.

Nico Perrin ist in der Motorsportwelt kein Unbekannter. Er arbeitete mehrere Jahre in Le Mans in der LMP1-Kategorie, war an der Entwicklung des NIO EP9 beteiligt und hat sich auf Hochleistungs-Elektroantriebe spezialisiert. Mit Perrinn 424 bringt er nun sein gesammeltes Wissen und ein internationales Team zusammen, um zu zeigen, dass die Zukunft des Rennsports elektrisch – und bald auch wasserstoffbasiert – sein kann.

Bei seinem Fahrzeug handelt es sich um einen speziell für den Nürburgring designten, einsitzigen Sportprototypen, der über eine aktive Aerodynamik verfügt und von zwei Formel-E-Motoren angetrieben wird. Der Nürburgring-Rekord ist für Perrin dabei nicht das Ziel, sondern der Auftakt einer noch größeren Mission.

Nico, welches Ziel verfolgen Sie mit dem Projekt Perrinn 424?

Der 424 zielt ganz klar auf die ultimative Rundenzeit am Nürburgring. Wir wollen nicht nur den Elektro-Rekord brechen, der aktuell bei 6:05 Minuten vom Volkswagen ID.R liegt. Wir wollen den absoluten Rekord angreifen, den der Porsche 919 Hybrid Evo mit 5:19 Minuten hält – das ist extrem schnell.

Wir haben über mehrere Jahre unzählige Simulationen gefahren, Setups optimiert und Studien betrieben. Seit fünf Jahren testen wir den Wagen im Simulator mit Fahrern aus aller Welt, da wir ein verteiltes Modell haben. So können wir das Auto wie einen echten Rennwagen bis ins kleinste Detail feinabstimmen. Wir haben Referenzdaten vom 919, inklusive Brems- und Gaspunkten. So sehen wir genau, wo wir schneller sind.

"Wir brauchen ein Auto, das eine Runde in 5 Minuten schafft"

Welche Rundenzeit peilen Sie konkret an?

Unser Ziel ist es, den Rekord zu brechen. Dafür brauchen wir ein Auto, das im Simulator eine Rundenzeit von 5:00 Minuten fahren kann. Denn auf der Nordschleife ans absolute Limit zu gehen, ist riskant und erfordert Zeit. Wenn wir ein Fahrzeug haben, das 5:00 Minuten schafft, können wir nach zwei, drei Tagen am Nürburgring den Rekord tatsächlich knacken – vielleicht mit fünf Sekunden Vorsprung.

Wir arbeiten dafür mit Michelin am Reifenmodell und nutzen dieselben aerodynamischen Simulationswerkzeuge wie die Formel 1. Unsere Modelle sind extrem präzise. Momentan schaffen wir mit dem Auto im Simulator bereits konstant 5:00 Minuten, teilweise sogar etwas darunter.

Können Sie etwas zu den technischen Lösungen beim Antrieb und bei der Batterie sagen?

Unsere Motoren und Inverter basieren auf Formel-E-Technologie. Diese Technologie ist extrem gut, effizient und leicht. Die Gen3- und auch die Gen4-Motoren sind alle mehr oder weniger auf dem gleichen Leistungsniveau, weil sie sehr effizient und sehr leicht sind. Jeder Hersteller entwickelt mehr oder weniger nach dem gleichen Standard – dort ist wenig Raum für weitere Verbesserungen. Der entscheidende Faktor ist die Batterie.

Wir entwickeln derzeit eine Batterie, die sogar besser ist als die neue Gen4-Batterie der Formel E, die in Zukunft zum Einsatz kommen wird. Möglich ist das, weil sich die Batteriezellen auf dem Markt momentan unglaublich schnell entwickeln. Jedes Jahr kommen aus Asien – vor allem China und Hongkong – Zellen, die 15 bis 20 Prozent leistungsfähiger sind als die Generation zuvor.

Was bedeutet das konkret für Ihr Projekt?

Beim 424 können wir die neueste Zelltechnologie sofort integrieren. Die Formel E ist eine große Rennserie und muss auf bereits erprobte Technologie zurückgreifen, die erst zwei Jahre später in den Rennen genutzt wird. Wir dagegen sind hier ein, zwei Schritte voraus.

Inzwischen haben wir alle technischen Lösungen finalisiert: Wir wissen genau, wie die Batterie gebaut wird, woher die Motoren kommen und wo das Auto entsteht. Es hat lange gedauert, vor allem, um die richtige Batterielösung zu finden. Aber nun ist alles festgelegt.

"In 18 Monaten sind wir bereit für den Rekordversuch"

Wie sieht der Zeitplan aus, bis Sie mit dem Perrinn 424 tatsächlich am Nürburgring fahren können?

Wir haben ein starkes Geschäftsmodell aufgestellt und sammeln derzeit Investitionen ein. In den kommenden sechs Monaten sprechen wir intensiv mit Investoren. Wir brauchen das Kapital, um das Chassis zu bauen. Sobald das finanziert ist, dauert es 18 Monate bis zur Rekordfahrt: sechs Monate für die finalen Konstruktionsdetails, sechs Monate für Bau und Montage, sechs Monate für Tests – und dann drei Tage Nürburgring. Das ist exakt der Fahrplan, den wir auch beim NIO EP9 hatten. Ein realistischer Termin für den Rekord ist der Sommer 2027.

Wie schneiden Sie in den Simulationen im Vergleich zum Porsche 919 Evo ab?

Bei den Reifen werden wir mindestens gleichwertig sein, da wir mit demselben Hersteller arbeiten. Bei der Aerodynamik sind wir sogar besser, weil wir das Auto ausschließlich für den Nürburgring entwickelt haben, während der 919 vom Le-Mans-Prototypen abgeleitet wurde. Der entscheidende Vorteil liegt im Antrieb. Wir haben konstant 750 kW. Der 919 hatte zwar auch etwa so viel, aber nur für die Hälfte der Zeit. Danach fiel er auf rund 500 bis 550 kW zurück, weil die Batterie entladen war.

Dazu kommt unser Allradantrieb: Wir haben vorne wie hinten je 350 kW und können die Leistung dadurch viel besser in den Kurven verteilen. Zudem haben wir keine Gangwechsel, was uns weitere Vorteile bringt. Insgesamt ist der Elektroantrieb dem des 919 in mehreren Punkten überlegen.

Ein Nachteil ist das Gewicht. Mit Fahrer wiegt unser Auto 975 Kilogramm, also rund 130 Kilo mehr als der 919. In langsamen Kurven verlieren wir dadurch etwas Zeit. Auf den Geraden und bei hoher Geschwindigkeit gleichen wir das aber mehr als aus. In der Summe zeigt die Simulation: Wir haben ein Potenzial, 19 Sekunden schneller zu sein.

Wie sieht es mit der Höchstgeschwindigkeit aus, der Porsche 919 Hybrid Evo war ja extrem schnell?

Der 919 erreichte auf der langen Geraden 369 km/h. Wir haben das Auto bei 360 km/h abgeregelt, obwohl bis zu 400 km/h möglich wäre. Der Grund sind die Reifen und die Belastungen. Wir könnten jederzeit auf 365 oder 370 km/h gehen, simulieren derzeit aber mit 360 km/h – der Unterschied ist minimal. Außerdem nutzen wir ein aktives Aerodynamiksystem, sehr ähnlich zum DRS. Wie es die Formel 1 ab 2026 vorsieht, haben wir vorne und hinten aktive Flaps. So bleibt das Auto beim Öffnen des DRS perfekt ausbalanciert.

Beim DRS haben wir uns für ein pneumatisches System entschieden. Hydraulik ist schwer und kompliziert. Pneumatik ist leichter, einfacher und genauso effektiv. Für uns zählt jedes Kilogramm – deshalb ist Pneumatik die bessere Wahl. Wir haben dabei keine Pumpe im Auto, sondern benutzen an jeder Achse eine Flasche, die sich während der Runde entlädt, sodass wir das pneumatische System nach der Runde wieder aufladen müssen.

Wie groß ist die Batterie und wie viele Runden können Sie mit voller Leistung fahren?

Wie bei anderen Elektro-Rekordfahrzeugen auch, ist alles auf nur eine Runde ausgelegt. Die Batterie hat 55 kWh, sehr ähnlich wie in der Formel E. Bei einer Runde auf dem Nürburgring verbrauchen wir netto rund 41 kWh – inklusive Rekuperation. Damit bleibt die nötige Sicherheitsreserve für die Zellspannung.

Es gibt einen kleinen Kompromiss zu Beginn der Runde: Die Batterie ist voll, daher können wir in den ersten 30 Sekunden nicht rekuperieren. Aber 70 Prozent unserer Bremsleistung kommt ohnehin von den Carbon-Bremsen – mehr als in der Formel E, da wir aus deutlich höheren Geschwindigkeiten verzögern.

Wir haben kein Brake-by-Wire-System, sondern eine klassische hydraulische Bremse. Die Rekuperation nutzen wir vor allem zur Stabilisierung des Autos und zur variablen Bremsbalance, nicht primär zur Energierückgewinnung. So bleibt das Fahrgefühl direkt, einfach und sehr präzise.

Wer käme denn als Fahrer für die Rekordfahrt infrage?

Es braucht eine Kombination aus Erfahrung, Fitness und Jugend, weil die Belastung extrem hoch ist. Der Fahrer sollte LMP-Erfahrung haben, vielleicht auch Formel-E-Erfahrung mit Elektroantrieben. Und er muss die Nordschleife wie seine Westentasche kennen.

Es darf kein zu junger Fahrer sein, der zu hohe Risiken eingeht – das Risiko muss verstanden und kontrolliert werden. Es gibt nur wenige Fahrer auf der Welt, die dafür infrage kommen. Ich habe bereits mit einigen gesprochen, einer davon ist sehr interessiert. Einen Namen kann ich noch nicht nennen, aber wir werden den richtigen Fahrer finden.

"Der Nürburgring ist nur der Anfang"

Was passiert mit dem Projekt nach dem Nürburgring?

Der Rekord ist für uns der Beginn. Der Nürburgring ist die beste Bühne, um unsere Marke bekannt zu machen. Wenn wir diesen Rekord brechen, wird es eine große Geschichte – weil jeder weiß, wie schwierig das ist. Und es wäre das erste Mal, dass ein Elektroauto eine Bestzeit wie die des Porsche übertrifft.

Langfristig aber zielt mein Plan auf die 24 Stunden von Le Mans. Dort habe ich meine Karriere begonnen, dort habe ich vier Jahre in der LMP1 gearbeitet. Le Mans wird in Zukunft der Ort sein, an dem neue Technologien im Wettbewerb bewiesen werden – auch Wasserstoff.

Wasserstoff ist am Ende ebenfalls elektrisch: dieselben Motoren, dieselben Inverter, eine Batterie im Auto, nur kleiner, während der Wasserstoff zur Verlängerung der Reichweite dient. Unsere klare Vision ist es, den 424 in einer Wasserstoffversion nach Le Mans zu bringen. Das wird die Plattform, um große Marken und Hersteller in dieses neue Zeitalter zu führen.

Welche Partner sind derzeit involviert?

Wir arbeiten mit Zulieferern zusammen, die bereits in der Formel E aktiv sind, zum Beispiel bei Getrieben, Motoren und Invertern. Bei den Reifen arbeiten wir mit Michelin. Für die Bremsen planen wir aktuell mit Brembo. Auch im Bereich Verbundwerkstoffe wollen wir mit einem etablierten Hersteller zusammenarbeiten.

Wichtig ist: Wir sind ein Design- und Performance-Team, wir bauen das Auto nicht selbst, sondern kooperieren mit den besten Spezialisten in jedem Bereich.

Sie haben erwähnt, dass Sie derzeit Kapital einsammeln. Wie hoch ist der Finanzbedarf?

Wir sind aktuell dabei, 2,5 Millionen Britische Pfund (rund 2,9 Millionen Euro) einzuwerben. Das klingt viel, ist aber überschaubar, wenn man bedenkt, was wir erreichen wollen. Das ist nicht das gesamte Budget, aber zusammen mit Partnern und den bereits getätigten Investitionen reicht es, um den Angriff auf den Nürburgring-Rekord vorzubereiten.

Zum Abschluss: Wie wollen Sie die Öffentlichkeit an diesem Projekt teilhaben lassen?

Wir werden die gesamte Reise in Form einer Live-Dokumentation begleiten – von der Entwicklung über die Fertigung bis zu den Tests. Auch Probleme und Rückschläge werden wir zeigen. So entsteht eine Community, die unser Projekt miterlebt.

Wenn wir in 18 Monaten auf die Nordschleife gehen, wird es ein Event sein, das viele Menschen live verfolgen wollen – weil sie die ganze Geschichte von Anfang an kennen.

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