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Lucas di Grassi: "Roborace als Support-Serie für die Formel E war komplett falsch"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Es war nur eine kurze Zeitspanne, in der Formel-E-Pilot Lucas di Grassi neben seinem Job als Werksfahrer bei Audi Sport ABT Schaeffler gleichzeitig CEO von Roborace war. Die Rennserie für autonome Elektrofahrzeuge war Ende 2015 mit großen Plänen angekündigt worden, musste sich dann jedoch der Realität stellen und ihre ambitionierten Ziele deutlich nach unten korrigieren. Seit wenigen Wochen läuft nun die "Season Beta", die zweite Test-Saison.

Alle Experten sind sich einig: Früher oder später werden Fahrzeuge im Straßenverkehr nicht mehr von Menschen, sondern von einer künstlichen Intelligenz gesteuert. Roborace soll dabei als Rahmen zur Erforschung und Entwicklung dieser Technologie dienen, die anschließend auf die Straße transferiert werden könnte.

Laut di Grassi hat die Rennserie allerdings einen der größten Fehler bereits bei ihrer Vorstellung gemacht. "Roborace als Support-Serie der Formel E war komplett falsch", rekapituliert der Brasilianer bei 'Formula E Zone'. "Es ist die schwierigste Herausforderung für ein autonomes Fahrzeug, auf einer Strecke wie einem Formel-E-Kurs zu fahren", spricht er die unzähligen Schwierigkeiten an, die eine Durchführung im Rahmen eines E-Prix mit sich bringt.

"Roborace muss eine separate Veranstaltung sein"

"Das Zeitfenster auf der Strecke ist sehr klein, und die Strecken sind sehr eng und haben Mauern", geht er dann ins Detail. "Man darf also keinen Fehler machen. Aber es gab auch noch viele andere Probleme. Aus diesem Grund muss Roborace eine separate Veranstaltung sein, die von der Formel E getrennt ist", fährt di Grassi weiter fort.

"Als ich CEO war, dachte ich, wir benötigten zwei Test-Saisons - Alpha und Beta -, um die Verbesserungen auf der Softwareseite zu sehen, bevor wir tatsächlich Rennen fahren. Auf diese Weise könnte Roborace also einen Mehrwert schaffen, weil wir tatsächlich ein fertiges Produkt haben, das für die Rennen bereit ist", erklärt er die Motivation dahinter, die Technologie zunächst im Rahmen von kleinen Veranstaltungen zu testen. "Zu diesem Zeitpunkt war das noch ein Problem, weil das Produkt nicht fertig war. Deshalb sollten wir jetzt näher dran sein, um in der Lage zu sein, autonome Fahrzeuge zu bewerben und den Fortschritt dieser Technologie zu beschleunigen."

Formel 1 oder WEC - Roborace-Know-how soll in andere Rennserien einfließen

"Kurzfristig geht es bei Roborace darum, die Veranstaltung auszubauen und etwas Zuverlässiges zu haben, das die Leute gern sehen und das so für die Sponsoren und Roborace im Allgemeinen einen Mehrwert schafft. Langfristig ist es meine Vision, das Know-how von Roborace in verschiedenen Rennserien anzuwenden. So könnten wir zum Beispiel in ein paar Jahren die Roborace-Technologie in der Formel 1 oder in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) sehen", nennt er zwei konkrete Beispiele und ergänzt: "Der nächste Schritt könnte möglicherweise in Le Mans sein, wo man einen Stint im autonomen Fahren und einen Stint unter menschlicher Kontrolle absolvieren kann."

Nachdem sich bei den 24 Stunden von Le Mans sehr viele Jahre lang überwiegend zwei Fahrer ein Cockpit teilten, wechseln sich seit den 1980er-Jahren meist drei Piloten hinter dem Lenkrad ab. Das könnte sich - dank Roborace - eines Tages auch wieder ändern, glaubt di Grassi: "Man könnte sich also eine Zukunft vorstellen, in der der Autohersteller das Auto einen Stint machen lässt, und der Fahrer einen Stint macht, sodass sie zusammenarbeiten, um ein 24-Stunden-Rennen zu gewinnen."

Aber auch für die "Königsklasse" des Motorsports schwebt ihm schon ein Einsatz der Roborace-Technologie vor - hier jedoch nicht auf der Rennstrecke, sondern möglicherweise in der Boxengasse oder als Ersatz für Bernd Mayländer: "In der Formel 1 könnten die Boxenstopps möglicherweise autonom werden. So kann man die Automatisierung fördern und während des Boxenstopps sehr präzise sein. Dann übernimmt der Fahrer die Kontrolle, wenn das Auto wieder auf die Strecke zurückkehrt. Oder das Safety-Car könnte ein autonomes Fahrzeug sein."

Saison Beta nimmt Fahrt auf

In der Praxis ist man davon jedoch aktuell noch sehr weit entfernt. So fiel das erste Event von Saison Beta auf dem Anglesey Circuit in Wales wegen starken Regens sprichwörtlich ins Wasser. Am zweiten Tag gab es nur einen kurzen Roll-out von einem der sechs teilnehmenden Teams - nach wenigen Metern im autonomen Fahrmodus stand der Devbot 2.0 jedoch bereits in der Wiese.

Auch das daraufhin in "Event 1.1" umbenannte zweite Event der Saison auf dem Thruxton Circuit im Süden Englands begann wenig vielversprechend: Nur zwei Teams beendeten die drei Runden auf dem rund 3,8 km langen Kurs, der auch als "schnellste Rennstrecke im Vereinigten Königreich" gilt.

Negativer Höhepunkt: Das Fahrzeug des Team Acronis SIT Autonomous bog unmittelbar nach dem Start scharf nach rechts ab, beschleunigte und prallte frontal in die Boxenmauer. Das Video des kuriosen Unfalls schlug weltweit hohe Wellen im Social Web (siehe Tweet unten). Einen Tag später lief es immerhin deutlich besser: Alle sechs Teams hatten über Nacht an ihren Algorithmen gearbeitet und beendeten die drei Runden auf dem Kurs erfolgreich.

Kommentar von Tobias Wirtz: Gerade beim Metaverse noch Verbesserungen nötig

Nach dem desaströsen Auftakt in Wales scheint sich Roborace langsam zu berappeln. Die Tatsache, dass es ein positives Zeichen ist, wenn alle Teams beim Rennen die volle Renndistanz von etwas mehr als elf Kilometern autonom zurücklegen konnten, sagt aber schon viel aus.

Die "Metaverse" genannte Augmented Reality, die wandförmige "Obstacles" (Hindernisse) und würfelförmige "Collectables" (Sammelgegenstände) auf die Strecke projeziert, befindet sich aktuell noch in den Kinderschuhen. Besonders die Hindernisse versperren den Blick des Zusehers auf die Rennstrecke, sodass man das Auto oftmals gar nicht sehen kann. Verbesserungswürdig erscheint auch die Darstellung der Objekte - man kann meist nur erahnen, ob es dem Fahrzeug tatsächlich gelingt, einem Hindernis auszuweichen oder einen der Würfel einzusammeln.

Nur zwei der sechs Teams scheinen in ihren Algorithmen zudem überhaupt eine Reaktion auf die auftauchenden Hindernisse und Sammelgegenstände berücksichtigt zu haben - die anderen Teams fuhren augenscheinlich die normale Rennlinie. So lagen diese vier Teams innerhalb von etwas mehr als zwei Sekunden, hatten aber fast zwei Minuten (!) Rückstand auf die siegreiche Mannschaft. Das lässt sich aber sicherlich unter "Test" verbuchen - augenscheinlich sind einige Teams mit der KI-Entwicklung schon deutlich weiter als andere.

Sehr gewöhnungsbedürftig finde ich auch die vielen Zeit-Zuschläge und -Abzüge aufgrund von Berührungen der Objekte - das kennt man im Motorsport höchstens von Slalom-Rennen, wo jeder umgefahrene Pylon eine Zeitstrafe mit sich bringt. Die Tatsache, dass ein eingesammelter Würfel vier Sekunden Zeitgutschrift bringt, während eine berührte Mauer mit nur zwei Strafsekunden zu Buche schlägt, macht das Ganze noch etwas undurchschaubarer. Erst beim Betrachten der tabellarischen Auflistung nach einem Run wird auch dem Zuschauer klar, wie ein Team im Vergleich zu den anderen überhaupt abgeschnitten hat.

Potenzial ist in meinen Augen bei Roborace auf jeden Fall vorhanden - es müssen aber noch viele Verbesserungen her. Ganz besonders, was die Grafiken angeht, aber auch beim Rennformat: Einen 4-Stunden-Marathon wie in Thruxton werden sich in der heutigen, sehr kurzlebigen Zeit nicht sonderlich viele Zuschauer antun. Besonders, wenn es nur sechs Fahrzeuge mit je zehn Minuten Track-Time zu sehen gibt.

Foto: Roborace

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