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Prof. Mauro Pezze im Roborace-Interview: "Stehen noch am Anfang"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Mauro Pezze ist Professor für Softwareentwicklung am Schaffhausen Institute für Technology (SIT) und der Universita della Svizzera italiana in Lugano. Beim SIT baut er gerade das Forschungsteam für den Lehrstuhl für Softwarequalität und Cybersecurity auf. Im Rahmen des Acronis #CyberFit Summit in Abu Dhabi hatte e-Formel.de die Gelegenheit, mit Prof. Pezze über autonomes Fahren und Roborace zu sprechen.

Professor Mauro Pezze, Schaffhausen Institute of Technology

Herr Prof. Pezze, können Sie uns vielleicht kurz erklären, was ein Professor für Softwareentwicklung mit Rennsport zu tun hat?

Ich lehre in Schaffhausen, und wir haben hier drei Bereiche: Universität, Forschungszentrum und Technologietransfer. Die Universität ist für die Bildung zuständig. Im Bereich Technologietransfer arbeiten wir gemeinsam mit Firmen zusammen. Die erste Firma, die wir hier gewinnen konnten, entwickelt autonome elektrische Rennfahrzeuge - Atlasracing. Wir planen aktuell, diverse Projekte gemeinsam durchzuführen. Es gibt viele Dinge, die sich nicht nur auf autonome Rennfahrzeuge, sondern generell auf autonomes Fahren beziehen.

Wo liegen hier Ihre Schwerpunkte?

Besonders im Bereich von künstlicher Intelligenz. Wenn wir über autonomes Fahren reden, bedeutet das, dass ein Computer das Auto steuert. Das ist dann kein klassisches Software-System, sondern künstliche Intelligenz (KI) in Verbindung mit einer Machine Learning Engine (MLE). Damit habe ich in meiner Arbeit als Professor für Softwareentwicklung zu tun, aber in einem völlig anderen Zusammenhang. Es gibt jedoch einige Elemente, die sich überschneiden. Zum Beispiel, wie man am besten testet.

In welchem Bereich ist denn hier noch besonders viel zu tun, wo liegen die größten Probleme, wenn wir über autonome Rennfahrzeuge sprechen?

Aktuell ist die KI wegen der Stabilität der Fahrzeuge nicht in der Lage, schneller als eine bestimmte Geschwindigkeit zu fahren. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit schlingert das Auto. Ein guter Fahrer kann das Verhalten des Fahrzeugs in den nächsten fünf Sekunden recht gut vorhersehen, die MLE kann das nicht. Das ist ein technisches Problem, das bei Rennfahrzeugen eine große Rolle spielt. Bei einem normalen Auto interessiert das niemanden, denn man fährt einfach nicht mit 300 km/h durch die Innenstadt.

Wo gibt es denn Gemeinsamkeiten zwischen autonomem Fahren auf der Rennstrecke und der Straße?

Zum Beispiel beim Testen. Im Gegensatz zum klassischen Softwaretest gibt es keinen Input und keinen Output. Hier nimmt man normalerweise 2 und 2 als Eingabe und erwartet dann 4 als Ergebnis einer Addition. Hier hat man eine Straße, Fußgänger, möglicherweise auch ein Känguru.

Ein Känguru?

Kängurus sind in der Tat ein großes Problem für autonome Fahrzeuge. Die großen Hersteller, wie zum Beispiel Tesla, haben enorme Schwierigkeiten, Kängurus zu erfassen. Daher dürfen sie diese Technologie nicht in Australien anbieten. Offensichtlich kann die MLE die Bewegung dieser Tiere nicht korrekt erfassen. Es gibt eine Vielzahl von Elementen. Das Auto zu testen, bedeutet nicht nur, dass man sicherstellen kann, dass es in 99 Prozent der Fälle funktioniert. Man muss sicherstellen, dass die MLE immer die richtige Entscheidung trifft. Das ist ganz wichtig.

Wie weit ist man denn schon mit der Entwicklung der KI?

In Bezug auf die technische Entwicklung stehen wir noch am Anfang. Bei der Entwicklung einer künstlichen Intelligenz ist schon viel Arbeit getan. Überwiegend natürlich theoretisch, da gibt es schon eine große Menge von Algorithmen. Es gibt aber viel weniger Information darüber, was wofür genutzt werden kann. Es gibt hunderte von verschiedenen MLEs, die alle ihre Stärken haben. Die große Forschungsarbeit liegt also darin, herauszufinden, welche MLE man verwendet. Wir haben aktuell bereits erste Fahrzeuge, die autonom fahren. Auf der anderen Seite sind die ganzen Tests zum Großteil Handarbeit. Es ist sehr viel Arbeit, Testszenarien zu erstellen und verschiedene Situationen zu simulieren.

Von was für Disziplinen sprechen wir?

Zum einen wäre da natürlich die Softwareentwicklung, die mein Spezialgebiet ist. Dazu kommt aber auch noch Videoauswertung, da es wichtig ist zu verstehen, was genau das für ein Hindernis ist, was man sieht. Und das ist wirklich schwierig. Wenn man über ein selbstfahrendes Auto nachdenkt, dann kommt man schnell zu dem Teil des Computers, der die Entscheidungen trifft: beschleunigen, bremsen, lenken, nicht lenken? Es muss identifiziert werden, wo die Straße eine Kurve macht. Was ist vor dir, möglicherweise ein anderes Auto? Was komplett unbekannt ist, ist, wie man mit den anderen Autos umgeht. Als Fahrer kann man erraten, wie sich ein anderer Fahrer verhalten wird. Es ist ein noch komplett unerforschtes Feld, wie sich mehrere KI sich im Umgang miteinander verhalten.

Gibt es eine Möglichkeit vorherzusagen, wann es soweit sein wird, dass die Technologie so weit entwickelt ist, dass wir sie im täglichen Gebrauch verwenden werden?

Das wird nicht sehr lange dauern, denn es gibt einen großen Markt dafür. Wann genau, ist schwer zu sagen, da es von der Entwicklung der Technologie und der Risikobereitschaft der Behörden abhängt. Auf Seiten der technologischen Entwicklung wird es aber noch mindestens fünf Jahre dauern. Ich denke, erste Systeme werden aber vorher schon eingeführt werden. Die großen Konzerne werden Druck machen, dass sie die Technologie anbieten dürfen. Abseits einer ausgebauten Straße zu fahren, ist jedoch schwierig. In Schaffhausen haben wir ein autonomes Fahrzeug, das aktuell bereits mit Erlaubnis der Behörden durch die Stadt fährt. Das geht aber nur, weil es auf bestimmten, reservierten Wegen fährt, die mit den Sensoren sehr gut zu identifizieren sind.

Es ist also bereits möglich, autonom zu fahren, wenn man die Anzahl der Variablen verringert?

Es ist jetzt schon möglich, ein autonomes Fahrzeug über die Autobahn von München nach Hannover fahren zu lassen. Autobahnen sind gut definiert, haben eine gute Struktur und klare Verkehrszeichen. Die Bilder müssen durch das Fahrzeug interpretiert werden. Aber es gibt auch Signale von anderen Sensoren, die zur Verfügung stehen und das Interpretieren einfacher machen. Wenn man mit dem Fahrzeug durch die Landschaft oder durch eine Kleinstadt fährt, ist das anders. Natürlich hat man hier auch zum Beispiel GPS, aber das allein ist nicht so zuverlässig. Ich habe Angst, dass eine Markteinführung passieren wird, bevor die Technologie ausgereift genug ist.

Sehen Sie ein Risiko, dass das Auto in eine Situation gerät, wo die KI nicht weiß, wie sie reagieren soll?

Ich denke, es ist noch mehr als das. Wenn du ein Auto fährst, und etwas Unvorhergesehenes passiert, bist du darauf gefasst, irgendwie zu reagieren. Du bist im Reaktionsmodus. Wenn du dich in das Auto setzt und davon ausgehst, dass das Auto selbst fahren kann, bist du unvorbereitet. Wenn man jetzt darüber nachdenkt, dass ein autonomes Fahrzeug zehn Jahre lang, oder vielleicht auch nur zehn Monate lang perfekt fährt, und dann plötzlich springt dir ein Kind vor das Auto, und die KI weiß nicht, wie sie reagieren soll. Dann wird die Kontrolle an dich als Fahrer zurückgegeben, und du hast keine Chance - dann ist das Kind möglicherweise tot. Das ist auf der normalen Straße aber ein größeres Problem als bei einem Rennwagen. Auch bei Rennwagen gibt es viele verschiedene Ereignisse, wenn auch keine Kinder, die auf die Straße laufen.

Roborace ist keine ganz neue Idee, die Serie wurde schon vor einigen Jahren vorgestellt. Von echten Rennen sind wir aber immer noch ein Stück entfernt. Wurde die Komplexität bei der Ankündigung der Serie möglicherweise unterschätzt?

Es gibt ja auch die Roboter-Weltmeisterschaft im Fußball. Die machen das schon seit mehr als 20 Jahren und sind immer noch nicht so weit, dass sie gegen Menschen antreten oder sie gar schlagen können. Bei Roborace ist es ähnlich. Früher oder später werden Roboter in der Lage sein, das zu tun, was Menschen tun. Bei Autos befürchte ich, dass es einen großen Druck des Markts gibt, das zu schaffen. Roborace wird passieren. Bis auf den Punkt, dass einige Autos aufgrund von Problemen verunfallen, kann man verhindern, dass dabei etwas passiert. Hier ist der Motorsport ein gutes Testfeld für die Gesellschaft. Wenn es hier aber schon Probleme gibt, verhindert das vielleicht, dass die Technologie schon verfrüht auf den Markt kommt.

Motorsport war in den letzten Jahren ein Beschleuniger für Technologien. Wird das bei Roborace in Bezug auf autonomes Fahren auch der Fall sein?

Absolut, auf jeden Fall. Aber du sprichst hier auch mit einem großen Formel-1-Fan.

Dieses Interview entstand im Rahmen einer Presse-Reise, deren Kosten von Acronis übernommen wurden.
Fotos: Roborace, Schaffhausen Institute of Technology

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