Extreme E

Analyse zur Extreme-E-Saison 2021: Licht & Schatten bei schwierigen Voraussetzungen

Timo Pape

Timo Pape

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Die erste Saison der Extreme E liegt hinter uns - Zeit für einen Rückblick. Formel-E-Gründer Alejandro Agag hat mit seinem "neuen" Baby zweifelsohne ein starkes neues Rennsportformat ins Leben gerufen, das in vielerlei Hinsicht den Zeitgeist trifft. Auch Motorsportliebhaber kamen häufig auf ihren Geschmack, nicht zuletzt dank wirklich spektakulärer Rennorte. Trotzdem war beim Start-up Extreme E noch nicht alles Gold, was glänzte.

"Das größte Abenteuer unserer Zeit" - so betitelt sich die Offroad-SUV-Serie immer wieder. Tatsächlich mutet vieles als Expedition ins Unbekannte an, etwas für Abenteurer eben. Entsprechend ambitioniert sah der erste Rennkalender einst aus. Läufe in der arabischen Wüste, vor arktischen Gletschern, im Amazonas oder im Himalaya versprachen viel. Einige dieser Vorsätze konnte die Extreme E umsetzen. So entstanden TV-Bilder, die nicht nur im Motorsport ihres Gleichen suchten, sondern auch die Klimabotschaft der Serie perfekt transportierten.

Andere Locations purzelten hingegen aus dem Kalender und wurden durch weniger spektakuläre Locations in Europa ersetzt. "Wir hatten dieses Jahr eine echt schwierige Situation durch Covid - das möchte ich so nicht noch einmal erleben", gesteht Seriengründer und -CEO Alejandro Agag während der Pressekonferenz nach dem Jurassic X Prix.

"Mehr gemacht als alle anderen Rennserien", aber…

Die Absage der Südamerika-Rennen in Brasilien und Argentinien waren wohl vor allem eine Folge der Reisebeschränkungen der Corona-Pandemie. Stattdessen fuhr die Extreme E auf Sardinien und im Süden Englands. Praktisch, wenn man von dort ist. Die Rennaction stimmte auch an diesen Orten über weite Strecken. Doch natürlich ließ sich die Nachhaltigkeitsgeschichte der Serie im schlammigen Großbritannien weniger gut erzählen als vor brandgerodeten Bäumen in Brasilien.

Die Legacy-Programme der Extreme E wirkten unabhängig davon mehrfach an den Haaren herbeigezogen. Die "Kirsche auf der Torte" waren womöglich drei Biber-Paare, die die Serie im Rahmen des Jurassic X Prix auswilderte. Hoffentlich wurde noch keiner von ihnen überfahren. Auch das Aussetzen von Wasserschildkröten an der Küste Saudi-Arabiens wirkte vor allem bildstark für die PR-Maschinerie der Extreme E. Symbolpolitik, würde man in anderen Zusammenhängen sagen.

Trotz alledem hat die Serie mehr gemacht als alle anderen Rennserien. Wenn man das Thema Nachhaltigkeit allerdings derart stark in den Fokus stellt, muss man auch damit rechnen, dass etwas genauer hingeschaut wird als bei F1 und Co.

Das Rennformat - eine konstante Variable

Während ihres ersten Meisterschaftsjahres durchlebte die Extreme E gleich mehrere Anpassungen des Sportlichen Regelwerks, über die wir uns schon an anderer Stelle ausgelassen haben. "Es war eine Saison, in der wir viel gelernt haben und flexibel agieren mussten", erklärt Agag. "Wir hatten mit Covid zu kämpfen, sind ohne Testfahrten (an den Rennorten) in die Saison gegangen und mussten mehrfach unser Format anpassen."

"Das erste Problem war der Staub, als wir nach Saudi-Arabien kamen", erinnert sich der Spanier. "Wir mussten uns also sehr schnell etwas überlegen, um das Qualifying einzeln zu machen. Dann haben wir uns angeschaut, wie viele Autos pro Rennen antreten könnten, denn auch das konnten wir nicht testen. Schritt für Schritt kamen wir dann zu einem Rennformat, das nun sehr gut funktioniert. Ich denke, alle Anpassungen waren nötig und Schritte in die richtige Richtung. Jetzt stehen wir gut da."

Auch zum Saisonfinale war das Rennformat abermals angepasst worden, weil die Strecke zu kurz war. Auch kam es plötzlich nicht mehr zu Duellen Mann gegen Frau - womöglich, weil die beiden Geschlechter die ganze Saison hindurch nie wirklich auf Augenhöhe waren. Ausgenommen Oliver Bennett, der sich hin und wieder auch der weiblichen Konkurrenz geschlagen geben musste. Bemerkenswert an dieser Stelle: Erst am Montag vor dem Rennen hatte die Extreme E eine Pressemitteilung verschickt, in der sie behauptete: "Der Jurassic X Prix wird dem gleichen Format folgen wie die beiden Rennen zuvor." Am Donnerstag, also nur drei Tage später, gab die Serie eher beiläufig in einer weiteren Pressemitteilung die Anpassungen bekannt.

Chaos - gerade auch mit Blick auf das, war kommuniziert oder nicht kommuniziert wurde - gehörte in der ersten Extreme-E-Saison zur Tagesordnung. Ja, die Serie ist neu und hat mit Herausforderungen zu kämpfen, die anderen Motorsportkategorien fremd sind. Dennoch haben es andere neue Klassen schon besser gemacht.

Qualifying-Format sollte überarbeitet werden

Grundsätzlich bewerten wir das aktuelle sportliche Format positiv, wenngleich mit Abstrichen. Die Saison 2021 brachte zahlreiche tolle Rennen hervor. Packende Duelle zwischen verschiedenen Teams, bei denen dem geneigten Motorsportfan das Herz aufgegangen sein dürfe. Es gab aber immer auch noch einen Samstag.

Die Qualifying-Prozedur, in der alle neun Teams zweimal jeweils Stunden lang nacheinander einen Lauf absolvieren, war an Langweiligkeit kaum zu überbieten. Und vor allem: Warum gibt es diese Session zweimal, also insgesamt vier Stunden Qualifikation, und stattdessen wird das Crazy-Race nicht live gezeigt? Die Extreme E hat bewiesen, dass sie großartigen Motorsport kann, sobald Autos gegeneinander fahren. Sie wäre gut beraten, das Qualifying im Sinne der Fans aufzupeppen.

Eine andere Anpassung des Regelwerks hat Agag übrigens schon im Kopf: "Eigentlich hätte ich gern vier Autos im Halbfinale, denn momentan haben wir die Situation: Wenn ein Auto ein Problem hat, können die anderen beiden einfach entspannt ins Ziel fahren und erreichen trotzdem in jedem Fall das Finale. Daran werden wir in den nächsten Wochen arbeiten. Ich weiß, dass es zumindest eine weitere Anpassung geben wird."

Dauerthema Haltbarkeit

"So eine Zuverlässigkeit wollen wir in jedem Rennen sehen", freute sich Agag nach dem Jurassic X Prix, bei dem die Zerbrechlichkeit der "robustesten Rennautos aller Zeiten" erstmals keine Rolle spielte. Hersteller Spark hatte vor dem Lauf in Großbritannien gezielte Verstärkungen am Odyssee 21 vorgenommen. "Meine Laune heute ist viel besser als noch nach dem Rennen in Sardinien - das kann ich euch sagen. Es hat mich wirklich frustriert", gesteht Agag. Ähnlich erging es den Teams über den Saisonverlauf. Unerwartete Schäden am Auto ruinierten nicht nur sportliche Ziele, sondern kosteten auch Geld.

Das Problem der Zuverlässigkeit hat die Extreme E jedoch bereits grundlegender angepackt. "Wir haben tatsächlich ein Programm mit ein paar Ingenieuren aus den USA laufen, die sich drei, vier Stellen genau anschauen, an denen wir das Auto verstärken können. Dann werden wir einige Teile austauschen", erzählt Agag. "Als wir es konzipiert haben, hatten wir die Menge der Belastung unterschätzt."

Jedoch stellt das Coronavirus die Extreme E auch hier vor eine Herausforderung. "Ich weiß noch nicht, wann wir (die Änderungen) testen können, denn das Testprogramm soll in den USA stattfinden, und wir können aufgrund von Covid keine 15 Leute mehr dorthin schicken", erklärt Agag. "Es stehen also noch ein paar Fragezeichen über dem Zeitplan, aber wir werden die Autos beständiger machen und ausliefern." Selbst wenn die Teams ihre Autos noch nicht zum Saisonstart am 19. Februar in Neom (Saudi-Arabien) erhalten, sei dies aufgrund des weichen Sandbodens nicht so schlimm, findet Agag und versichert: "Sobald wir in härteres Terrain kommen, werden wir stärkere Autos haben."

Rennkalender 2022 auch durch Corona geformt

Die zweite Extreme-E-Saison startet bereits in rund 50 Tagen. Neben einem neuen Team - McLaren - dürfte auch im Jahr 2022 erneut Flexibilität befragt sein. Das bestätigt schon ein Blick auf den kürzlich veröffentlichten Rennkalender. Er ist deutlich weniger ambitioniert als noch in Saison 1, könnte aber etwas beständiger sein als noch in diesem Jahr, denn Corona schwebt weiterhin wie ein Damoklesschwert über Agag: "Das haben wir auch beim neuen Rennkalender im Hinterkopf gehabt."

Schottland - eigentlich längst als fester Austragungsort kommuniziert - ist nur noch eine Option und darf als Alternative für den Lauf im Senegal interpretiert werden, wenn Corona weiterhin die Reisefreiheit einschränkt. Sardinien gilt als "sichere Bank", die man ohne große Strapazen nutzen kann. Besonders schade jedoch: Selbst der Arctic X Prix, der ursprünglich auf dem Kalender-Entwurf stand, ist rausgefallen. Gletscher ade.

Auf welche Umweltprobleme die Extreme E an Austragungsorten wie Punta del Este (Uruguay) - das "Monaco Südamerikas" - oder Antofagasta (Chile) hinweisen will, ist noch fraglich. Vielleicht darauf, dass die Region für ihren Lithium-Abbau bekannt ist und schon den Santiago E-Prix der Formel E sponserte? Fakt ist, dass sich die Extreme E Stück für Stück von ihren Vorsätzen als "größtes Abenteuer unserer Zeit" entfernt: Abgelegene Orte und beeindruckende TV-Bilder, die den Klimawandel repräsentieren, gibt es 2022 höchstens noch in Saudi-Arabien. Hoffen wir mal, dass es nach Corona wieder in die andere Richtung geht.

Wenn es nach Agag geht, ist diese Hoffnung berechtigt. "Ich habe eine Traumlocation, wo ich auch schon zweimal war. Ich habe lange gebraucht, um sie zu finden, bin ein paar Wochen durch den Himalaya getourt. Dann habe ich dieses Tal entdeckt. Es liegt hinter der Annapurna-Gebirgskette (Nepal) und ist der unglaublichste Ort für ein Rennen überhaupt. Eine Klippe, die tausende Meter abfällt. Aber um dahin zu kommen, braucht man für die letzten 60 Kilometer neun Stunden mit dem Auto. Wenn wir dort fahren wollen, müssten wir unsere ganze Fracht extrem reduzieren. Sollten wir das hinbekommen, wäre das mein Traumrennen."

Agag ist unter dem Strich zufrieden mit dem, was er in der ersten Extreme-E-Saison erreicht hat: "Im Moment lasst uns einfach feiern - wir haben unsere erste Saison beendet. Das war sehr wichtig. Wir mussten irgendwie zurechtkommen mit diesen Gegebenheiten, und ich bin stolz auf mein Team, das einen guten Job gemacht hat. All diese Lektionen werden uns mit Blick auf Saison 2 helfen. Wir sind bereit für Saison 2."

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