Extreme-E-Analyse: Spagat zwischen Motorsport & Lifestyle funktioniert bislang nicht
Timo Pape
Die Extreme E hat ihr zweites Rennwochenende hinter sich gebracht. Die Action auf der Strecke stimmte weitestgehend. Trotzdem zwingen uns diverse gravierende Schwachpunkte erneut zu einer kritischen Analyse wie bereits nach dem Debütrennen Anfang April. Einerseits hat die Extreme E nicht aus ihren Fehlern gelernt, andererseits scheint das grundlegende Konzept nicht ganz aufzugehen.
Fangen wir mit den positiven Dingen an. Wie schon beim Saisonstart in der malerischen Al-'Ula-Wüste - politische Vorbehalte gegen Saudi-Arabien außen vor - hat die Extreme E eine atemberaubende Kulisse für ihren Ocean X Prix gefunden. Die Kombination aus Atlantik, Strand und Dünen sorgte für starke Bilder und ein für den Motorsport einzigartiges Flair.
Auch die Strecke konnte sich sehen lassen. Dank der geringeren Staubbildung bekamen Fans einige spannende Duelle zu sehen. Einziger Schwachpunkt vielleicht: Der Kurs ließ eigentlich nur eine schnelle Linie zu, weshalb das Überholen schwierig war. "Die nächste Weiterentwicklung ist dann, dass man noch mehr Stellen hat, wo man wirklich nebeneinander fahren kann", erklärte uns Teambesitzer Nico Rosberg kurz nach dem zweiten Sieg seines Rennstalls. Der nächste Schritt seien mehrere Ideallinien, "damit man auch während der Runde noch mehr Duelle sieht."
Positiv zu erwähnen ist darüber hinaus die Tatsache, dass die offiziellen Zeitentabellen nach einer Session seit dem Senegal-Rennen auch zahlreiche Zwischenzeiten enthalten. Die insgesamt 33 Minisektoren zahlten sich auch im TV-Bild aus, da Zuschauer:innen auf diese Weise sehr aktuell verfolgen konnten, wie sich die Abstände zwischen den Fahrzeugen entwickelten.
Die große Fake-Show
Kommen wir zu dem, was schlecht war, und fangen mit dem gravierendsten Punkt an: Wir haben das Vertrauen in die Extreme E verloren, dass das, was wir sehen, real ist und tatsächlich so passiert. Schon in der Woche vor dem Ocean X Prix kamen wir durch ein bisschen Recherche an die Information, dass die beiden Qualifying-Sessions am Samstag nicht live ausgestrahlt würden, sondern mit zwei Stunden Verzögerung.
Ob womöglich die Angst vor dem unbekannten Terrain der Grund für diese Entscheidung war, wissen wir nicht. Eine Sendung mit zahlreichen Videobeiträgen zum Klimawandel ist jedenfalls auch live möglich. Das hat die Extreme E selbst am Sonntag beim Finalrennen demonstriert. Daran kann es also nicht gelegen haben.
Der Skandal daran ist, dass die Serie ihre Übertragungen stets als "Livestreams" verkauft. Faktisch mag das stimmen, wenn das Kommentatorenduo live zum Weltsignal spricht. Die Sessions an sich waren hingegen allesamt nicht live - bis auf das Finalrennen. Unsere Leser zu informieren, wann die Sessions stattfinden und wann die Streams kommen, war schon im Vorfeld eine Herausforderung, die zu viel Verwirrung führte. Aber wir sind auch selbst schuld! Schließlich hätten wir doch gar nicht von den echten Sessionzeiten erfahren sollen.
In einem Dokument an die ausgewählten Medien vor Ort bat die Extreme E, die Ergebnisse der Sessions bis zur jeweiligen Ausstrahlung geheim zu halten. An sich schon bemerkenswert. Doof aber vor allem, wenn dann einer unserer Wettbewerber - wiederholt eines der wenigen Motorsportmedien vor Ort - mitten in der Sendung einen Bericht mit den Ergebnissen veröffentlicht, kurz bevor sich JBXE vermeintlich gerade auf seinen ersten Qualifying-Lauf vorbereitet.
Zugang zu Livedaten für Medien & Fans gekappt
Das Ganze ist umso schlimmer, weil die Extreme E diesmal (im Gegensatz zum Desert X Prix) den öffentlichen Zugang zum Livetiming abschnitt, der bei fast allen Rennserien öffentlich für jedermann einzusehen ist. Medien, die nicht vor Ort waren, hatten also keine Möglichkeit, überhaupt von den Ergebnissen oder gar von Runden- und Sektorenzeiten zu erfahren. Bis mit erheblicher Verzögerung - dies ist im Motorsport allerdings normal - schließlich die offiziellen Ergebnisse auf die Medienwebsite der XE hochgeladen wurden. Eine bewusste Entscheidung der Extreme E, um die Liveberichterstattung zu verhindern. Hätten doch nur die Eingeweihten vor Ort gehorcht, wäre der Plan vielleicht aufgegangen…
Nachdem wir bereits am Samstag kurz nach Qualifying-Beginn bei der Extreme E anfragten, was denn mit dem Livetiming sei - schließlich waren diese Daten maßgeblich für unseren bereits gestarteten Liveticker - bekamen wir die Aussage, wir sollen uns auf die offiziellen Dokumente berufen, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht bereitstanden und für das Betreiben eines Livetickers ohnehin nicht hilfreich sind. Außerdem bekamen wir die Aussage: "Morgen werden alle Action und Timings live sein."
Am Sonntag wurde es jedoch nur noch schlimmer. Die Extreme E entschied - entgegen der ursprünglichen Pläne - auch die beiden Halbfinalrennen nicht live zu zeigen. Und auch ein Livetiming gab es am gesamten Sonntag nicht. Auf unsere erneute Nachfrage antwortete eine Sprecherin der Serie, sie habe uns nicht verwirren wollen - es sei das Finale, das live ausgestrahlt werde. Wir führten unsere Leser somit unwissentlich zum wiederholten Male hinters Licht, indem wir Aufzeichnungen als live titulierten. Dafür möchten wir uns entschuldigen.
Qualifying-Läufe zusammengekürzt, Shoot-out nicht zu verfolgen
Das sogenannte Notice Board, in dem gewöhnlich alle Entscheidungen der Rennleitung als PDF-Dokumente hochgeladen werden, ist übrigens bis heute gänzlich leer. Davon abgesehen, dass die Extreme E auch weiterhin weder ihr Sportliches noch Technisches Reglement veröffentlicht hat, ist somit keine einzige Strafe oder ähnliches vom Ocean X Prix einsehbar und nachvollziehbar.
Wer die Aufzeichnungen der Rennen gesehen hat, dürfte sich hin und wieder gewundert haben. Die Extreme E zeigte nämlich längst nicht alle Runden in voller Länge und kürzte einige Runs rigoros zusammen - scheinbar weitgehend willkürlich. Etwa die technischen Probleme bei Timmy Hansen und Carlos Sainz sr. im ersten Qualifying handelte die Regie so kurz wie möglich ab, obwohl sie sportlich durchaus relevant waren. Auch hier wieder die Erkenntnis für uns: So kann man leider keine Live-Berichterstattung machen, wenn einem ganze Versuche von zehn Minuten Länge vorenthalten werden.
Liebe Extreme E, der Sport lebt vom Live-Erlebnis - bitte strahlt künftig alle Sessions live aus!
Ärgerlich ist auch, dass die Fans wie schon in Saudi-Arabien keine Möglichkeit hatten, das Shoot-out zu verfolgen oder auch nur die Ergebnisse des Laufs zeitnah zu erfahren. Dabei war das Rennen um die Positionen 7 bis 9 wie schon beim Saisonstart das wohl spannendste von allen - mit tollen Überholmanövern eines furiosen Kyle LeDuc. Möglicherweise interessieren sich Lifestyle-Medien wie GQ, Playboy und Co. - die vermeintliche Hauptzielgruppe der Extreme E - nicht zwingend für einen Lauf um Platz 7. Es ist uns trotzdem vollkommen unverständlich, warum die Serie keinen Stream zum Shoot-out anbietet, zumal es insgesamt nur vier kurze Rennen im Rahmen eines X Prix gibt.
Für Motorsportfans nicht vollends zufriedenstellend
An der mangelnden Kommunikation, die wir schon nach dem Desert X Prix kritisierten, hat sich seitdem nichts Nennenswertes verändert. Alle sieben Fragen zum Sportlichen Format, die wir der Extreme E elf Tage vor dem Ocean X Prix stellten, blieben unbeantwortet. Zwei davon wurden schließlich im Zuge einer Pressemitteilung wenige Tage vor dem Rennen indirekt beantwortet. Die anderen fünf blieben offen.
So wurde zum Beispiel nach wie vor nie öffentlich kommuniziert, mit wie viel Leistung die Extreme E im Rennmodus und Hyperdrive unterwegs ist. Unserem Vernehmen nach waren es im Senegal 230 bzw. 400 kW. Die Leistungsreduktion beim Desert X Prix wurde folglich beibehalten. Auch wissen wir nach wie vor nicht, ob Williams Advanced Engineering die Batteriekühlung in den Griff bekommen hat. Liebe Extreme E, Motorsportfans interessieren sich für diese Dinge.
Potenzial ist vorhanden, wird aber nicht ausgeschöpft
Die Extreme E hat beim Ocean X Prix gezeigt, dass sie grundsätzlich packenden Motorsport liefern kann. Für Fans dieses Lagers ist das Angebot der Serie jedoch noch ungenügend. Ganze Rennen werden dem Publikum vorenthalten, andere Läufe werden scheinbar willkürlich auf wenige Sekunden zusammengekürzt. Zudem stellt die Serie weiterhin grundsätzlich zu wenige Informationen zur Verfügung, um eine zufriedenstellende Berichterstattung gewährleisten zu können.
Für ein Lifestyle-Publikum mag dieser Ansatz genug des Sportlichen sein. Für Motorsportfans und -medien nicht. Es darf demnach bezweifelt werden, ob das Konzept der Extreme E - Motorsport derart stark mit Umwelt- und Gleichstellungsthemen zu verknüpfen und auf Lifestyle-Medien auszurichten - dauerhaft funktionieren kann. Aus unserer Sicht hat die Extreme E dies bislang zumindest nicht geschafft.
1 Kommentare
Dilectric ·
Immerhin waren die Livestreams auf Youtube diesmal (im Unterschied zum Desert X-Prix) als "Broadcast" benannt.
In Youtube-Sprache also eher eine "Premiere" als ein "Livestream", obwohl wieder das technische Format eines Livestreams gewählt wurde.
Als Zuschauer und Fan finde ich die Verzögerung nicht dramatisch, wenn auch "live live" natürlich nett wäre.
Aber ehrlich gesagt würde ich sogar einen zeitverzögerten Stream des Finales auf Youtube einem "Echtzeit-Live" auf Pro7-Maxx vorziehen. Es gibt da doch erhebliche Defizite beim Kommentator.
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