Formel E

ABT dank Berlin-Coup gestärkt zur Formel E nach Monaco: "Ab jetzt in jedem Rennen um Punkte kämpfen!"

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Biermaier-Espinos-Celebration-Pole-Position-Berlin

Nach der Pole-Position und dem ersten Punkteerfolg reist das deutsche Rennteam ABT Cupra mit Rückenwind vom Berlin E-Prix zur nächsten Formel-E-Saisonstation. In Monaco möchte der Rennstall an den Erfolg beim Heimrennen anknüpfen und nimmt abermals ein Ergebnis innerhalb der Top 10 ins Visier. Doch das überraschend gute Tempo im Berlin-Qualifying könnte eine Ausnahme gewesen sein, schreibt Tobias Bluhm.

Der Phönix muss ein majestätisches Tier gewesen sein. Wenn man der griechischen Mythologie Glauben schenkt, soll der Vogel mit seinem rot-goldenen Gefieder mehr als 500 Jahre überleben können, ehe er zum Ende seines Lebens inmitten eines Feuerballs spektakulär verbrennt. All das, um wenig später aus seiner eigenen Asche wieder neu zu entstehen. Nicht umsonst sprechen wir noch heute vom "Phönix aus der Asche", um etwas schon verloren Geglaubtes zu beschreiben, das in neuem Glanz wieder erscheint.

Wie viel Wahrheit dem Mythos anhaftet, darf getrost hinterfragt werden. Doch bis heute - und gerade im Sport - spielen sich immer wieder Vorgänge ab, die an den sagenhaften Vogel erinnern. Die Aufholjagd von Tom Bradys New England Patriots im schon verloren geglaubten Super Bowl 2017 kommt in den Sinn, als das Team einen 25-Punkte-Rückstand binnen weniger Minuten aufholte. Oder die zwei Nachspielzeit-Treffer von Manchester United, die ihren Champions-League-Finalsieg 1999 gegen Bayern München besiegelten.

Dem Wetter sei Dank? ABT überrascht mit Pole-Position in Berlin

Die Formel E erlebte, so viel Pathos muss erlaubt sein, beim Berlin E-Prix 2023 ihren ersten "Phönix aus der Asche"-Moment der Gen3-Ära. Das Hinterbänklerteam ABT Cupra, das nach einem mehr oder weniger unfreiwilligen Sabbatjahr erst wenige Monate zuvor in die Serie zurückgekehrt war, sicherte sich auf dem nassen Flugplatzkurs in Tempelhof überraschend beide Plätze in der ersten Startreihe. Kein einziges Mal hatten Robin Frijns und Nico Müller in den vorausgegangenen Rennen die Top 10 erreicht - und nun standen sie nebeneinander zu Rennbeginn ganz vorn.

Nicht wenige Beobachter:innen der Serie schauten mit Verwunderung auf die Ergebnistabellen. Was war es, das die "Äbte" im Regen so stark machte? "Wir haben einfach super Fahrer", sagte Teamchef Thomas Biermaier nach dem Qualifying gegenüber 'e-Formel.de' selbstbewusst.

Regen-Tests in England führten wohl zu Reifendruck-Kniff

Dass die Piloten bei widrigen Witterungsbedingungen einen großen Tempo-Unterschied ausmachen, ist bekannt. Doch wie so häufig schien die Ursache für das gute Abschneiden des Mahindra-Kundenteams auch eine weitere, tiefergreifende Erklärung zu haben. "Wir hatten sehr gute Tests in England", erklärte Biermaier fast beiläufig, "vielleicht hat das geholfen."

Das entscheidende Detail: Bei den Fahrten auf dem Flugfeld Abingdon, eine Dreiviertelstunde mit dem Auto entfernt von Mahindras Hauptsitz in Banbury, dürfte es häufiger geregnet haben als bei anderen Teams, die ihre Tests nach Spanien oder Italien verlegten. Im typisch britischen Regenwetter scheint ABT einen Setup-Kniff gefunden zu haben.

Die Kollegen von 'Motorsport-Magazin.com' stellten in der vergangenen Woche die Vermutung auf: ABT soll in Berlin vor allem hinsichtlich der Reifendrücke einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen haben. Über 3 bar soll der Druck in den Pneus demnach betragen haben - mehr als doppelt so hoch wie der von Hankook vorgeschriebene Mindestreifendruck (1,2 bar). Während alle anderen Fahrer verzweifelt versuchten, ihre Reifen für Qualifying-Runden zu temperieren, dürften Frijns und Müller das Temperatur-Arbeitsfenster der Gummis weitaus schneller erreicht haben.

Ob die Reifen-Entscheidung allein für die gute ABT-Leistung in Berlin verantwortlich war, ist aber eher unwahrscheinlich. Wie so oft dürfte ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren entscheidend gewesen sein. Das Regenwetter war einer der wichtigsten von ihnen. Könnte das Qualifying-Tempo von Berlin also nur eine Eintagsfliege bleiben?

Espinos vor Berlin: "Hätte mir keinen schlimmeren Saisonstart erträumen können"

"Verschiedene Faktoren zusammenbringen" - das hört man im Motorsport seit Jahren. Nicht nur hinsichtlich einzelner Rennen betonen Teamverantwortliche gern, wie wichtig es ist, eine Balance zwischen Setup, fahrerischem Können, Ingenieurskunst und dem gewissen Quäntchen Rennglück zu finden. Auch im Verlauf einer ganzen Saison gilt es, Fehler zu minimieren, um das Gleichgewicht der Rennfaktoren nicht zu stören. Und das am besten vom Start einer Saison an.

Passend dazu sagte ABTs Formel-E-Sportchef Frederic Espinos noch vor dem Deutschland-Qualifying gegenüber 'e-Formel.de': "Persönlich hätte ich mir aber eigentlich keinen schlimmeren Saisonstart erträumen können. Aber wir alle arbeiten wie verrückt. Es gab einige Probleme, die nicht in unserer Hand lagen - zum Beispiel die Batterie- und Bremsprobleme von Kelvin (van der Linde) in Hyderabad oder das, was in Kapstadt passierte (Rückzug aller Mahindra-Fahrzeuge). Aber das Gute ist: Für alles gibt es eine Erklärung, die wir verstehen."

Aus dem "Nirgendwo" zum regelmäßigen Punktekandidaten?

Hinsichtlich des Renntempos beobachtet der Franzose große Fortschritte bei ABT. "Wenn man sich unsere Pace in Mexiko ansieht - ganz ehrlich -, da waren wir im Nirgendwo. Wir kämpften gegen uns selbst am Ende des Feldes. In Sao Paulo haben wir es im Training schon in die Top 10 geschafft und unser Potenzial im Rennen bewiesen." Und dann sagt er ihn wieder, den bekannten Satz: "Jetzt ist es nur noch eine Frage, alle Elemente zusammenzubringen und etwas Glück zu haben."

"Bisher lief die Saison sehr frustrierend. Eigentlich hätte es nicht schlimmer laufen können. Aber wir möchten diesen Frust nehmen und dafür sorgen, dass die zweite Hälfte der Meisterschaft besser wird. Wir möchten ab jetzt in jedem Rennen um Punkte kämpfen können!"

Der Auftakt in den zweiten Teil der Formel-E-Saison 2023 steht am kommenden Wochenende an. Auf dem legendären Straßenkurs in Monaco erlebte schon so mancher Rennstall seinen "Phönix aus der Asche"-Moment. ABT wird allerdings darauf hoffen, vor dem Erfolg gar nicht erst zu Asche zerfallen zu müssen. Sollte das Team für gute Ergebnisse Unterstützung "von oben" benötigen, könnte das Rennen nur leider einen Tag zu früh stattfinden. Denn Regenschauer sind erst für den Sonntag nach dem E-Prix vorhergesagt.

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