Analyse aller Formel-E-Neuerungen 2022: Viel Licht und ein bisschen Schatten in Saudi-Arabien
Timo Pape
Die Formel-E-Saison 2022 ist gestartet. Beim Diriyya E-Prix am vergangenen Wochenende erlebte die Elektroserie einige Premieren, unter anderem ein vollkommen neues Qualifying-Format. Wie haben alle Anpassungen für Saison 8 rückblickend unter die Lupe genommen, und bewerten, was gut war, und wo noch Luft nach oben ist.
Neues Qualifying-Format
Das Wichtigste vorweg: Das neue Qualifying-Format der Formel E hat uns gut gefallen. Die Gruppenphase ist allerdings über weite Strecken ein Gähner: In den ersten zehn Minuten drehten die Fahrer jeweils erwartungsgemäß vor allem Sicherheitsrunden und wechselten dann die Reifen. Es passierte in dieser Zeit an beiden Renntagen beinahe nichts Erwähnenswertes. Erst in den letzten zwei Minuten einer Gruppe wurde es spannend, denn dann gingen alle Piloten volles Risiko und versuchten, als einer von vier Fahrern pro Gruppe in die Duellphase einzuziehen. Arme Formel 1, die ausschließlich diese Form von Qualifikation kennt.
Dann wurde es jedoch unterhaltsam, denn in den Viertelfinalduellen kam es zu den ersten Duellen. Die Formel E inszenierte die K.-o.-Phase aus unserer Sicht ziemlich gut mit Gegenüberstellungen der beiden Kontrahenten und einer Liveanzeige zu den Abständen. Auch die Anzahl der Duelle bis zum Finale war genau richtig und ging zumeist Schlag auf Schlag über den Sender. Lediglich durch den Ampel-Fauxpas von Antonio Felix da Costa kam es einmal zu längeren Verzögerungen. Wir finden: Der neue Quali-Modus rockt!
Steile These mit Blick über den Tellerrand: Das neue Format verändert nicht nur das Qualifying, sondern auch die Rennen der Formel E. Zumindest in Diriyya verliefen die Läufe ein wenig "ruhiger" als noch in den Vorsaisons. Der vermeintliche Grund: Durch das neue Quali-Format starten mehr Topfahrer in der Spitzengruppe. Starke Fahrzeuge müssen sich seltener durch das ganze Feld nach vorn kämpfen. Tendenziell könnten also mehr Fahrzeuge mit ähnlichen Leistungsniveaus beisammen fahren. Das Feld würde sich in der Konsequenz mehr auseinander ziehen, für kleine Teams würde ein gutes Ergebnis schwieriger.
Die Formel E könnte dadurch etwas "normaler" werden, sodass sich ein klarer WM-Kampf zwischen den Topfahrern herausbilden kann. Aber genau das wollten ja alle! Warten wir mal ab, ob sich dieser Trend im Saisonverlauf fortsetzt.
Nachspielzeit
Eine wirklich gute Regel - die aber noch optimiert werden könnte! Am Freitag kam die neue "Nachspielzeit" erstmals zum Tragen. Durch einige Runden hinter dem Safety-Car verlängerte Rennleiter Scot Elkins den Lauf kurz vor Ablauf der Zeit um zusätzliche 5:15 Minuten. Als Formel-E-Fans haben wir uns sehr darüber gefreut. Man war während der Neutralisierung weniger gestresst, dass uns wertvolle Rennzeit genommen wird. Bisher hatte man immer ungeduldig auf die Uhr geschaut, wie lange die Bergung nach einem Unfall wohl noch dauern würde.
Einen Tag später offenbarte die neue Regel jedoch schon eine Schwäche: Nach dem Unfall von Alexanders Sims kam das Safety-Car gut zehn Minuten vor Ablauf der regulären Zeit auf den Kurs und blieb dort länger als die von der Rennleitung antizipierten vier Minuten. Somit lief die gefährliche Bergung mit Kran auf der Strecke in die letzten fünf Rennminuten hinein.
Rennleiter Elkins hatte demnach - vollkommen regelkonform - keine Chance mehr, das Rennen zu verlängern. Denn für die "Overtime" werden aktuell nur Neutralisierungen berücksichtigt, die vor Rennminute 40 enden. Hintergrund der Regel ist, dass die Teams nicht kurz vor Schluss noch mit neuen Energiezielen überrascht werden können. Ein Stromausfall-Debakel wie beim Valencia E-Prix 2021 soll in jedem Fall vermieden werden.
Somit wurden den Fans nicht nur zehn Minuten des E-Prix "geklaut", sondern sehr wahrscheinlich auch mehrere packende Duelle in der Schlussphase. Unser Redaktionskollege Tobias Wirtz schlug in unserem Podcast zur Diriyya-Analyse vor: Künftig sollte die Formel E zu Rennminute 40 auswerten, wie viel Zeit hinter dem Safety-Car verbracht wurde, und zumindest diese Zeit "nachspielen" lassen. So hätten wir in Diriyya noch rund zweieinhalb Minuten - also womöglich drei Runden - mehr Rennaction spendiert bekommen.
Mehr Leistung, neue Reifen, Freies Training
Dass die Autos beim Diriyya E-Prix im Rennen erstmals mit 220 kW statt bislang 200 kW unterwegs waren, dürfte den wenigsten Zuschauer:innen aufgefallen sein. Ja, die Durchschnittsgeschwindigkeit im Rennen (bei grüner Flagge) mag leicht angestiegen sein, was aufgrund von unterschiedlich langen Safety-Car-Phasen jedoch nur aufwendig zu beweisen ist. Mit Blick auf die schnellste Rennrunde in den Top 10 war die Bestzeit in diesem Jahr allerdings sogar eine Zehntelsekunde langsamer als 2021. Die Leistungserhöhung dürfte vor allem in den Strategieabteilungen der Teams ein Thema gewesen sein.
Dass in diesem Jahr geringfügig mehr Reifen eingesetzt werden dürfen, blieb wohl ebenfalls den meisten Zuschauer:innen verborgen. Gelegentlich sah man im Qualifying zwar mal einen Reifenwechsel. Einen Strategievorteil dadurch konnte sich jedoch kein Team erarbeiten.
Auch die Kürzung des 1. und 3. Freien Trainings von 45 auf 30 Minuten hat kaum Relevanz für ein Rennwochenende. Selbst wir haben die 15 Minuten nicht vermisst. Im Gegenteil: Durch den etwas entzerrteren Zeitplan hat die Rennleitung eher die Möglichkeit, eine Session zu verlängern, sollte es zu einer Unterbrechung kommen. So geschehen am Samstag, als Nick Cassidy im 3. Freien Training verunfallte. Die Rennleitung konnte Sessionzeit anschließend um zehn zusätzliche Minuten aufstocken.
Formel-E-Rookies 2022
Drei Rookies feierten am Diriyya-Wochenende ihre Formel-E-Premiere. Sowohl Oliver Askew als auch Dan Ticktum überzeugten dabei mit wirklich guten Leistungen - das zeigt auch unser Fahrer-Rating. Askew fuhr bei seinem Debüt auf Anhieb als Neunter in die Punkte, und auch Ticktum konnte im Nio mit seinem erfahrenen und bekanntlich schnellen Teamkollegen Oliver Turvey mithalten oder ihn gar hinter sich lassen.
Video: Die Highlights vom Samstagsrennen der Formel E in Diriyya
Lediglich Ex-Formel-1-Fahrer Antonio Giovinazzi kam in Saudi-Arabien noch gar nicht zurecht. Er beendete beide Rennen am Ende des Feldes und sah gerade auch im Vergleich mit seinem Teamkollegen Sergio Sette Camara alt aus. Der Italiener wird sich reinhängen müssen, um den Anschluss in Mexiko herstellen zu können. Nichtsdestotrotz bleibt die Erkenntnis, dass die Formel E potenziell talentierten "Nachwuchs" erhalten hat.
Dominanz der Mercedes-Fahrzeuge?
Eigentlich nicht ganz neu, aber dennoch bemerkenswert: Die insgesamt vier Mercedes-Fahrzeuge waren in Saudi-Arabien das Maß der Dinge. Am Freitag dominierte "Silber", am Samstag war es das Kundenteam Venturi mit seinem bereits zuvor als sehr stark eingeschätzten Fahrerduo Edoardo Mortara und Lucas di Grassi. Am amtierenden Weltmeisterteam führt wohl auch im letzten Formel-E-Jahr des Stuttgarter Herstellers kein Weg vorbei.
Eine derart eklatante Dominanz wie in Diriyya fürchten wir jedoch nicht. Oder, um es mit Robin Frijns' Worten zu sagen: "Die Mercedes sind schlagbar." Schon im Vorjahr kamen die schnellen Kurven beim Nachtrennen den "Silberpfeilen" entgegen, sodass Nyck de Vries auch nach dem Saisonstart 2021 als quasi unschlagbar galt. Die Saison sollte jedoch anders verlaufen, auch wenn de Vries am Ende tatsächlich Meister wurde. Wir erwarten bei den nächsten Rennen in Mexiko und Italien durchaus, dass auch andere Teams wie Jaguar, DS Techeetah oder auch Porsche ein Wörtchen im Kampf um den Sieg mitreden werden.
Das nächste Formel-E-Rennen startet am 12. Februar, also schon in gut einer Woche, in Mexiko-Stadt.
2 Kommentare
Tom ·
Sie aktuelle "overtime" regelung finde ich suboptimal, da es bis kurz vor Rennende unkalr ist wie lange das Rennen tatsächlich dauert. Dies hat mich zumindestens im ersten Rennen verunsichert.
Besser fände ich es wenn die Zeit während einer SC phase einfach angehalten wird.
Kanzian Franz ·
Formel E ist ein richtiger Schmarrn und gehört sofort abgeschafft.
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