Formel E

Analyse: Di Grassi, Günther & die Schlüssel zum Formel-E-Fahrermarkt der Saison 2021/22

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Audi-ABT-Monaco-di-Grassi

Kaum hat die Formel-E-Saison 2021 Fahrt aufgenommen, beginnt allmählich bereits das "Stühlerücken" für das kommende Jahr. Vor der achten Saison der Elektrorennserie rechnen wir mit einigen Überraschungen auf dem Fahrermarkt. Ein Schlüssel zur diesjährigen "Silly Season" dürfte die mögliche Verkleinerung des Starterfeldes werden.

Schließlich kündigten Audi und BMW im vergangenen Dezember an, die Formel E nach der Saison 2021 werksseitig zu verlassen. Mit dem US-Team Andretti ist zumindest das "Erbe" von BMW gesichert. Der Rennstall aus Indianapolis leitet derzeit die Renneinsätze der Münchner und ist zugleich Eigentümer der Formel-E-Startlizenz von "BMW i Andretti Autosport".

Da sich lediglich BMW aus der Formel E zurückzieht, ist eine Neubelegung des Teamslots somit de facto nicht nötig. Andretti wird auch in der Saison 2021/22 auf demselben Slot an den Rennen der Formel E teilnehmen und als klassisches "Kundenteam" noch ein weiteres Jahr Antriebsstränge aus München bekommen.

Etwas komplexer ist die Situation bei Audi. Die Ingolstädter übernahmen vor vier Jahren die Abt Formel E GmbH und haben seither die alleinige Kontrolle über das Rennteam. Mit dem Rückzug nach dieser Saison wird somit auch der derzeitige Audi-Teamslot frei. Ein Verkauf der Lizenz an das ABT-Team scheiterte laut Medienberichten im vergangenen Winter durch Audi - seither ist ungewiss, ob der Slot zur Saison 2021/22 überhaupt belegt wird.

Zuletzt zeigte sich Formel-E-Geschäftsführer Jamie Reigle mit Blick auf den ungenutzten Slot gelassen: Die Elektroserie könne eine Verkleinerung des Starterfeldes von zwölf auf nur noch elf Teams gut verkraften, sagte er 'Autosport'. Diese Möglichkeit halte er für realistisch. Erst zur Saison 2022/23, dem ersten Gen3-Jahr, könnten wieder 24 Fahrzeuge an den Start gehen.

Di Grassi will "mit SpaceX in den Weltraum" oder zu einem Formel-E-Topteam

Sollte sich das Starterfeld wie erwartet auf 22 Autos verkleinern, könnte der zunächst ersatzlose Audi-Ausstieg große Konsequenzen für den Fahrermarkt der kommenden Saison haben. Mit Lucas di Grassi und Rene Rast würden mindestens zwei hochkarätige Piloten auf den "freien Markt" kommen.

Insbesondere di Grassi dürfte dank seiner langjährigen Formel-E-Erfahrung für andere Teams, die mit ihrer derzeitigen Fahrerpaarung unzufrieden sind, eine interessante Personalie sein. "Momentan ist mein Plan A, die Formel E und den Motorsport zu verlassen und mit SpaceX in den Weltraum zu fliegen. Ich habe das schon in meinen Social-Media-Kanälen gepostet", scherzte er vor dem Rom E-Prix und spielte damit auf einen Aprilscherz auf seinem Twitter-Account an.

Auf eine Frage von 'e-Formel.de' hin erklärt der Champion der Saison 2016/17: "Falls das nicht klappt, könnte ich mit einem anderen Team in der Formel E bleiben, Audi folgen oder in den Langstreckensport gehen. Noch ist nicht klar, wie die Zukunft wird."

Di Grassi dürfte allerdings - sollte er sich für einen Verbleib in der Formel E entscheiden - vor allem Interesse an einem Cockpit bei einem "Spitzenteam" haben. In den letzten Jahren stand er mehrfach mit anderen Formel-E-Rennställen in Kontakt und wäre laut eigener Aussage schon in Saison 3 "fast für ein anderes Team gefahren". Damals gab es offenbar (ergebnislose) Verhandlungen zwischen di Grassi und Renault e.dams.

Gleichermaßen ist auch ein wiederholtes Engagement in der Langstrecken-WM für di Grassi denkbar, denn Audi steigt 2023 mit einem neuen Prototypen wieder in die höchste Fahrzeugklasse der WEC ein, die LMDh.

DTM-Comeback für Rene Rast eine Option?

Auch die Formel-E-Zukunft von Rene Rast ist seit der Audi-Ausstiegsankündigung ungewiss. Der Deutsche gab sein Gen2-Debüt im August 2020 beim Berlin E-Prix und erreichte in seinem sechsten Karriererennen erstmals das Podium. Hinter dem Meisterschaftsführenden Robin Frijns (Virgin, Audi-Kundenteam) ist er mit 39 Punkten und Gesamtrang 8 derzeit der zweitbeste Audi-Fahrer in der Formel-E-Fahrerwertung.

Sollte ihn kein weiterer Formel-E-Rennstall unter Vertrag nehmen, könnte eine Rückkehr in die DTM zu Rasts Optionen gehören. Dort gewann er in den Jahren 2017, 2019 und 2020 den Meistertitel. Ab 2021 kommen in der Rennserie GT3-Fahrzeuge zum Einsatz, die Rast aus seiner Zeit im Porsche Carrera Cup oder der ADAC GT Masters gut kennt. Ein DTM-Comeback ließe sich für Rast zudem gut mit einem Testprogramm für die LMDh-Klasse kombinieren. Zum aktuellen Zeitpunkt sind solche Gedankenspiele jedoch reine Spekulation.

Zukunft von BMW-Fahrern ungewiss: "Der Fahrermarkt ist ziemlich interessant"

Auch die aktuellen BMW-Fahrer Jake Dennis und Maximilian Günther könnten sich vor der nächsten Saison auf dem freien Fahrermarkt wiederfinden. Gewiss dürfte die Schwelle zu einem Andretti-Vertrag für beide niedriger sein, nicht zuletzt aufgrund der Einbindung in die aktuellen teaminternen Prozesse. Sicher gesetzt ist zum aktuellen Zeitpunkt jedoch keiner der zwei Piloten.

Die Entscheidung bezüglich des 2021/22er-Fahrerduos liegt in diesem Jahr erstmals seit Saison 5 (2018/19) vermutlich ausschließlich in den Händen von Andrettis Teamchef Roger Griffiths und dem Teambesitzer Michael Andretti. "Es ist sehr nützlich, Erfahrungen in der Formel E zu haben", erklärt Griffiths gegenüber 'e-Formel.de' mit Blick auf Faktoren, die die Fahrerwahl beeinflussen könnten.

"Wir sehen das bei den Herausforderungen, die Jake in seinen ersten Rennen hatte. Für jeden Rookie, der in die Formel E kommt, ist sie wirklich eine einzigartige Meisterschaft. Doch auch einige der größten Namen in der heutigen Startaufstellung hatten in ihren ersten Rennen Probleme."

Griffiths weiter: "Am Ende des Tages schauen wir uns nach Fahrern um, die Pace und Geschwindigkeit haben sowie Siege und Meisterschaften gewinnen können. Das ist wie in jedem anderen Team, denn wir stehen alle im Wettbewerb miteinander."

"Für uns bedeutet das mit Blick auf Saison 8: Wir haben noch keine Entscheidung zum Line-up getroffen, dazu ist es noch zu früh. Aber natürlich ist der Fahrermarkt ziemlich interessant, wenn man sich die Entwicklungen der kommenden Monate ansieht", so Griffiths. Ein klares Bekenntnis zur aktuellen Fahrerpaarung hört sich anders an.

Unklarheiten auch bei anderen Teams

Hinter den Kulissen hat insbesondere Dennis' Sieg in Valencia, dem "Rennen, das man nicht von der Spitze gewinnen kann", einen guten Eindruck hinterlassen. Auf der anderen Seite der Garage steht mit Maximilian Günther der statistisch erfolgreichste Qualifying-Fahrer der laufenden Saison. Durch unglückliche Umstände, beispielsweise eine verpatzte Attack-Mode-Aktivierung in Rom, wartet der Deutsche trotzdem noch immer auf sein erstes Podium des Jahres.

Neben di Grassi, Rast, Dennis und Günther gibt es zudem zahlreiche andere Fahrer, die im Sommer auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber sein könnten. Vor dem Saisonbeginn schwebten beispielsweise Fragezeichen über der Formel-E-Zukunft von Edoardo Mortara (Venturi). Zwar fand der Schweizer mit seiner herausragenden Leistung beim Auftaktrennen in Diriyya zunächst eine gute Antwort auf die vereinzelte Kritik.

Seither sammelte er jedoch lediglich 14 weitere Punkte. Aus Venturi-Sicht ist dies eine magere Ausbeute, besonders in Anbetracht der Ergebnisse der Mercedes-Werksfahrer Nyck de Vries und Stoffel Vandoorne, die mit gleichen "Hardware" ausgestattet sind und derzeit auf den Plätzen 2 und 6 der Gesamtwertung liegen. Ähnlich unzufrieden mit der ersten Saisonhälfte dürften die Teams der folgenden Fahrer sein: Alexander Sims (Mahindra, 14.) Andre Lotterer (Porsche, 18.) und Sebastien Buemi (Nissan, 22.).

Zudem gibt es wie in jedem Jahr viele Fahrer außerhalb der Formel E, die an einem Cockpit interessiert sind. Hierzu zählen einerseits die derzeitigen Reservefahrer, beispielsweise Jake Hughes (Venturi), Sacha Fenestraz (Jaguar) und James Rossiter (DS Techeetah). Andererseits besuchte zuletzt der ehemalige Formel-1-Fahrer Daniil Kvyat den Formel-E-Lauf in Monaco.

Kvyat: "Formel E könnte interessant für mich sein"

Der Russe verfolgte den E-Prix als Gast in der Garage von Virgin. Es wäre jedoch keine Überraschung, wenn der derzeitige F1-Simulatorfahrer von Alpine nicht auch bei einigen Teams seine "Bewerbungsunterlagen" abgegeben hätte.

In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Video auf dem YouTube-Kanal des Ex-Formel-1-Weltmeisters Nico Rosberg bekräftigt Kvyat sein Interesse: "Eines Tages könnte die Formel E interessant für mich sein, ja. Die Serie ist breit aufgestellt, und das Feld ist kompetitiv. Und wenn du (Nico Rosberg) auch hier bist, dann heißt das, dass es eine gute Meisterschaft ist."

Fazit: Vor der Formel E liegen einige turbulente Monate auf dem Fahrermarkt. Durch die mögliche Reduktion von zwölf auf nur noch elf Teams dürfte es deutlich mehr Bewerber:innen als freie Cockpits geben. Die aktuellen Fahrer selbst fokussieren sich derzeit zwar auf ihre Leistungen auf der Strecke. Hinter den Kulissen könnten jedoch schon in wenigen Monaten die ersten Würfel für die Saison 2021/22 fallen.

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