Formel E

Analyse: Hat das Chaosrennen in Misano der Formel E geholfen oder geschadet?

Timo Pape

Timo Pape

McLaren-Gravel-Misano-Formula-E

Die Formel E fährt bekanntlich immer mehr auf klassischen Rennstrecken. Diese fühlen sich nicht nur von der Atmosphäre her anders an als die "guten alten" Straßenkurse, die sich die Elektroserie einst in die DNA hineindefinierte. Sie sorgen auch für völlig anderes Racing, wie der Misano E-Prix auf extreme Art und Weise veranschaulichte. Gerade beim Blick auf das chaotische Samstagsrennen scheiden sich die Geister.

Misano, Shanghai, Portland. Und wenn man will, könnte man auch noch Mexiko-Stadt und Berlin dazuzählen. Die Anzahl der Strecken, die nicht dem klassischen Formel-E-Prinzip entsprechen, wächst und wächst. Straßenkurse wie Tokio oder Monaco sind inzwischen eher die Ausnahme - selbst die Formel 1 hat inzwischen mehr (8). Das hat zwei Gründe: Die Formel-E-Autos werden zu schnell für die verwinkelten Stadtstrecken von einst. Und: Rennen wie der Tokio E-Prix sind um ein Vielfaches teurer für die Formel E, als sich einfach auf einem permanenten Kurs einzumieten.

Formel-E-CEO Jeff Dodds erklärte vor dem Rennwochenende in Misano, er möge den Mix aus Stadtkursen und klassischen Rennstrecken in der Formel E. Kein Wunder - mit Blick auf die Planung und Durchführung der Veranstaltungen. Er mag explizit allerdings auch die neue Form des Racing, die mit klassischen Rennstrecken einhergeht. Unzählige Überholmanöver, Chaos und Unvorhersehbarkeit - mit diesen Attributen will die Formel E punkten und ist stolz darauf.

Wehrlein: "Für mich ist es einfach zu viel Chaos"

Es gibt jedoch auch das andere Lager. Denn längst nicht alle Fans mögen Windschattenschlachten wie in Misano, bei denen sie kaum nachvollziehen können, welche Fahrer eigentlich die besten sind. Sie lehnen das inzwischen viel zitierte "Peloton-Racing" - ein Vergleich mit dem Radrennsport - ab. Auch die meisten Formel-E-Piloten gehören zu diesem Lager. "Für mich ist es einfach zu viel Chaos", meint Pascal Wehrlein - trotz seines Sieges am Sonntag.

Der Porsche-Fahrer kritisiert vor allem, dass es bei Strecken wie Misano kaum noch darauf ankommt, gut vorbereitet zu sein. "Wir verbringen vor dem Rennen so viel Zeit im Simulator und arbeiten an all den Kleinigkeiten - nur für einige Zehntel im Qualifying. Und dann kommst du hier an, und all das ist irrelevant."

Auch wenn es ihm durchaus Spaß gemacht habe, das Gen3-Auto auf einer schnellen Runde im Qualifying um den Kurs zu steuern, wäre Wehrlein eine Rückkehr in die italienische Hauptstadt deutlich lieber, wo die Formel E in den vergangenen Jahren gastierte: "Alle Fahrer sind große Fans vom Rom-Track. Hoffentlich können wir in der Zukunft zurück dorthin. Das wäre die beste Lösung", findet der Deutsche.

Auffahrunfälle kaum zu vermeiden

Ein Problem des Peloton-Racing ist, dass es sehr viele Auffahrunfälle gibt. Dadurch, dass die Fahrer zum Energiesparen sehr früh vom Strompedal gehen, staut sich der Verkehr immer wieder vor den langsameren Kurven. Die Folge sind zum Teil kaum vermeidbare Unfälle - und in der Vergangenheit auch Verletzungen.

"Ganz ehrlich: Wenn du dir einmal die Hand gebrochen hast, lässt du etwas mehr Abstand", sagte Robin Frijns noch kurz nach dem Samstagsrennen bei The Race und bezog sich damit auf seinen Auffahrunfall beim Mexico City E-Prix 2023. Trotzdem kollidierte er am Sonntag und schied aus.

McLaren-Pilot Bird bestätigt im selben Bericht: "Du fährst in die Kurven und betest einfach nur, dass du ohne Schaden wieder herauskommst. Das ist eine bittere Pille für uns, wenn man wegen Gründen ausfällt, die man nicht selbst in der Hand hat."

Meister Jake Dennis ist offenbar einer der wenigen Befürworter des Peloton-Racing. "Im TV sieht es anscheinend gut aus - das ist großartig. Nach meinem Verständnis scheinen es alle zu mögen. Wir Fahrer sind hier, um für eine gute Show zu sorgen - das tun wir. Die Hauptsache ist, dass die Fans es genießen." Dennis kam ohne Zwischenfälle durch die beiden Misano-Rennen und wurde zweimal Zweiter.

Kommentar von Timo Pape: "Vollkommen egal, wer in den ersten 35 Minuten führt"

Genießen wirklich so viele Fans ein Rennen wie am Samstag? Ich habe da meine Zweifel. Außer Frage steht, dass die Unvorhersehbarkeit in der Formel E ein ganz großer Pluspunkt der Serie ist! Gerade im Vergleich mit anderen Serien wie der Formel 1. Sechs verschiedene Sieger in den ersten sechs Saisonrennen sprechen eine deutliche Sprache.

Wirklich spannend wurde es am Samstag aus meiner Sicht aber erst kurz vor Schluss. Über weite Strecken habe ich das Rennen als langweilig, weil irrelevant, empfunden. Viel mehr hatte ich das Gefühl: Es ist vollkommen egal, wer in den ersten 35 Minuten führt oder überhaupt in der Spitzengruppe fährt. Die einzige "spannende" Frage war: Wer fährt als nächstes wem ins Heck? Doch auch Auffahrunfälle, die teilweise die besten Fahrer aus dem Rennen werfen, machen eigentlich niemanden glücklich.

Am Sonntag war es aus meiner Sicht deutlich besser. Das Rennen war zwei Runden kürzer, sodass die Fahrer weniger Energie sparen mussten. Zweikämpfe gab es trotzdem noch ausreichend, ebenso wie ein packendes Finish. Die Kehrseite der Medaille: Es war mit einer Länge von 37:05 Minuten das kürzeste Rennen der Formel-E-Geschichte (das nicht vorzeitig abgebrochen wurde). Das will die Formel E wohl auch wieder nicht.

Was also tun? Zum Beispiel Schnellladeboxenstopps einführen, um die Rennen zu verlängern! Aber das Thema ist ja erst mal wieder vom Tisch. Dann bitte wieder mehr Stadtkurse im Kalender! Sieht ebenfalls nicht danach aus, wenn ich mir die Aussagen der Formel-E-Verantwortlichen so ansehe... Es scheint unausweichlich, dass sich die DNA der Formel E langsam aber sicher verändert.

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2 Kommentare

Helmut ·

Das war der erste ePrix seit längerer Zeit (falls überhaupt) den ich zu Mitte des Rennens abgebrochen hab und dann auch den am nächsten Tag gleich gar nicht angeschaut habe.
Das „Rennen“ war unbrauchbar. Und bitte dass niemand von Überholmanöver zu den „nach Ihnen, Sir!“ Vorbeifahren sagt.

Was mich am meisten nervt ist, dass die zweite Saisonhälfte nur mehr aus Double Headern besteht. Was für sich schon nicht toll ist, aber dann noch die Mehrheit auf Strecken, die dieses unsägliche Fahren voraussetzen.

Was man machen soll? Vielleicht nicht solche engen Energielimits auf diesen Strecken. Mir ist ein ehrliches Full-throttle Racing mit wenig Positionswechseln zehnmal lieber als dieses Kasperltheater.
Und bitte keine Boxenstopps. Die sind bei Sprintrennen nur ein Pflaster für schlechtes Racing wenn einem nichts anderes einfällt.

P.S.: könnt ihr nicht auch auf BlueSky oder Mastodon sein? Twitter kann ich nicht mehr öffnen (mein Account is tot) und Meta-Produkte greif ich mit der Kneifzange nicht an.

Timo ·

Hi Helmut, aktuell planen wir keine weiteren Kanäle. Ist kapazitär leider nicht abzubilden. LG Timo

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