Analyse nach Pit-Boost-Debüt in der Formel E: Solider Auftakt, aber ein bisschen zu viel des Guten
Timo Pape

Jake Osborne / Spacesuit Media
Viel wurde im Vorfeld über die neuen Schnelllade-Boxenstopps spekuliert, und weitgehend kam es dann auch so, wie erwartet. Beim Freitagsrennen der Formel E in Jeddah fuhren erstmals alle 22 Fahrer zum sogenannten Pit-Boost an die Box. Die neue Technologie funktionierte anscheinend ohne größere Probleme, wobei manche Fahrer auch ihre Zweifel daran anmeldeten. Doch für viele Zuschauer:innen und selbst direkt Beteiligte war das Streckengeschehen zwischenzeitlich schwer nachzuvollziehen. Eine Analyse.
In Runde 14 des ersten Jeddah-Rennens kamen Taylor Barnard, Jake Hughes und Antonio Felix da Costa zu den ersten Pit-Boosts der Formel-E-Geschichte in die Boxengasse. Ihre Autos wurden bei einer vorgeschriebenen Mindeststandzeit von 34 Sekunden mit 3,85 kWh nachgeladen (10%), dann ging es ohne Zwischenfälle für sie weiter. Alle drei Fahrer holten sich unmittelbar den Attack-Mode, um ihren Rückstand auf das Feld wieder wettzumachen.
The first PIT BOOST has been taken 🙌
— Formula E (@FIAFormulaE) February 14, 2025
How will it play out at the #JeddahEPrix? pic.twitter.com/DMLn3Z8sIb
Nach und nach kamen auch die übrigen Piloten zum Pflichtboxenstopp, der bei einem Batteriestand zwischen 40 und 60 Prozent absolviert werden musste. Dadurch wurde die Reihenfolge im Feld gänzlich durcheinandergewürfelt. Das kennen geneigte Zuschauer:innen natürlich auch aus anderen Rennserien wie der Formel 1. Erfahrungsgemäß sind sie durchaus in der Lage nachzuvollziehen, welche Fahrer zuvor um den Sieg kämpften, und wie der neue Zwischenstand zu interpretieren ist. In anderen Serien gibt es jedoch keinen Attack-Mode.
Dieser sorgte am Freitag dafür, dass zwischenzeitlich selbst für die Teams und Fahrer kaum noch zu begreifen war, was genau vor sich ging. So verlor etwa Max Günther zahlreiche Positionen durch den Pit-Boost und gestand nach dem Rennen seine Verwunderung darüber. Er stoppte später als die Fahrer, die zunächst hinter ihm gefahren waren, dann aber im Attack-Mode deutlich schneller fuhren. Letztlich sollte Günther seinen Energievorteil und späteren Attack-Mode noch siegbringend nutzen können. Doch zwischenzeitlich war kaum zu erkennen, ob der Plan von DS Penske aufgehen würde.
Rowland: "Habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was passiert ist"
"Ich finde es wirklich cool, diese Art von verschiedenen Rennen zu haben, weil die Dynamik sehr unterschiedlich ist", lobte Günther nach dem Rennen den Pit-Boost bei Motorsport.com. "Wir werden (am Samstag) eine ganz andere Art von Rennen sehen." So kam es auch. Günthers Fazit fällt positiv aus: "Es bringt ein weiteres spannendes Element für die Fans, für uns im Auto, für die Ingenieure und Teams in der Garage. Ich denke wirklich, dass es eine großartige Ergänzung für die Meisterschaft ist."
Oliver Rowland, der das Freitagsrennen auf Platz 2 beendete, weil er im Attack-Mode nach seinem Pit-Boost etwas zu viel Energie verbraucht hatte, gibt bei The Race zu: "Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was (in der Phase) passiert ist." Es gebe einerseits Fahrer, die früh an die Box kommen, um sich vor einem späteren Safety-Car zu schützen. Andere blieben hingegen länger draußen, weil eine Full-Course-Yellow-Phase wahrscheinlicher sei. So teilt sich das Feld laut Rowland in zwei Hälften.
Andretti-Teamchef Roger Griffiths schränkt jedoch ein: "Offensichtlich hatten wir nicht ganz zwei Gruppen von Autos, die reinkamen, sondern noch eine dritte und dann vielleicht noch den Rest, sodass es ein bisschen schwierig war zu folgen, weil die Leute verschiedene Attack-Mode-Strategien hatten. Aus meiner Sicht war es wirklich schwer zu wissen, wie die tatsächliche Reihenfolge aussah, und wo man letztendlich landen würde." Erst fünf Runden nach dem Boxenstopp habe man die Lage besser abschätzen können, erklärt er.
Safety-Car & Full-Course-Yellow: "Werden ein paar Probleme bekommen"
Das Chaos war bereits groß während des Boxenstoppfensters. Doch es könnte in Zukunft noch schlimmer werden - immerhin gab es in Jeddah nicht mal einen zusätzlichen Faktor wie eine Safety-Car-Phase, die das Feld weiter vermischt hätte.
"Es war ein ziemlich sauberes Rennen", erklärt Rowland bei Motorsport.com. "Ich glaube, wir werden ein paar Probleme bekommen, wenn Full-Course-Yellow herrscht oder Safety-Cars (während der Boxenstopps) herauskommen. Ich denke, es wird ein wenig Zeit brauchen (bis sich die Formel E auf das neue Feature eingestellt hat)."
Fahrer vermuten Pit-Stop als Ursache für Batteriedefekte
Abgesehen von der strategischen Komponente des Pit-Boost stand auch die neue Schnelllade-Technologie an sich im Fokus. Das Laden mit 600 kW Leistung (!) hat nach unseren Informationen einwandfrei funktioniert, was eine positive Erwähnung verdient. Kein Akku ging in Flammen auf, kein Schnellladegerät fiel aus. "Das zeigt den Fortschritt der Formel E in Bezug auf die Technologie", so Günther.
Nichtsdestotrotz kam es am Wochenende zu mehreren Batterieschäden, unter anderem bei Dan Ticktum und - sogar gleich zweimal - bei Jake Dennis. Obwohl die Ursache dafür am Freitagabend noch nicht geklärt war, tönte der Andretti-Fahrer: "Die Batterie hat jetzt zwei Pit-Boosts mitgemacht. Einmal beim ersten Training in Jarama - da ist sie explodiert. Und jetzt haben wir eben einen gemacht, und sie ist wieder explodiert. Das ist nicht gut."
Auch Kiro-Pilot Ticktum kritisiert die neue Technologie, nachdem ein Batteriefehler während seines Boxenstopps ein vollständigen Reset des Fahrzeugs erforderte. "Es ließ sich nicht aufladen, denn es gab irgendein Problem (…), sodass ich das Auto zurücksetzen musste", sagt der Brite bei Motorsport.com.
"Die Tatsache, dass man einen Akku so schnell aufladen kann, ohne dass er Feuer fängt, ist eine sehr wichtige Technologie für den Elektroauto-Markt. Sie muss nur mehr oder weniger jedes Mal funktionieren", stellt Ticktum klar. Wenn sie das nicht tue "und noch nicht ganz ausgereift ist, dann müssen wir sie aufgeben - so einfach ist das. Ich finde sie also an sich großartig, aber sie interessiert mich einen Scheißdreck, wenn sie meine Rennen versaut."
Kommentar von Timo Pape: "Pit-Boost gerät durch Attack-Mode außer Kontrolle"
Ob die Batteriedefekte mit dem Pit-Boost zusammenhingen, wissen wir Stand heute noch nicht. Doch auch unabhängig davon gehören gelegentliche Defekte bei einer so anspruchsvollen neuen Technologie dazu. Nicht ohne Grund wird der Motorsport und gerade die Formel E ja immer wieder als Testfeld für neue Straßenverkehrstechnologien bezeichnet. Nachvollziehbar, dass Ticktum und Dennis sauer sind, aber die Reife der Technologie scheint ausreichend gegeben zu sein.
Was die Übersichtlichkeit im Rennen anging, so bin ich aber bei Griffiths und Co. Es war auch für uns in der Redaktion schwierig nachzuvollziehen, was während des Pit-Boost-Fensters genau passierte. Das kann man dem normalen Durchschnittsfan nicht zumuten. Der Knackpunkt ist aus meiner Sicht aber nicht der Pit-Boost, sondern die Kombination mit dem Attack-Mode. Durch die Zusatzleistung gerät die Action auf der Strecke außer Kontrolle. Das war zu viel des Guten.
Eine naheliegende Lösung könnte sein: ein Rennen mit Pit-Boost, eines mit Attack-Mode - aber nie beide Features zusammen. Ein Kompromiss wäre womöglich auch noch, den Attack-Mode während des Pit-Boost-Fensters zu verbieten. Aus meiner Sicht sollten Formel E und FIA hier noch einmal nachjustieren. Nichtsdestotrotz blicken wir auf eine - unter dem Strich - gelungene Pit-Boost-Premiere zurück, die in jedem Fall für ein unterhaltsames Rennen gesorgt hat.
Übrigens: In einer nicht repräsentativen Umfrage innerhalb unserer e-Formel.de Community auf Instagram zeigte sich ein anderes Stimmungsbild: Rund drei Viertel aller Befragten gaben an, der Pit-Boost sei "sehr unterhaltsam und gut für die Action" gewesen. Nur rund 25 Prozent antworteten "Das war mir zu chaotisch".
1 Kommentare
E-fan ·
Fand den Unterschied zwischen beiden Rennen schon interessant. Würde auch pit boost und attack mode nicht mischen... Pit boost Rennen energetisch so auslegen das keine Energie gespart werden muss, dass zieht das Feld etwas auseinander... Gut für die Übersicht. Vielleicht die gesamt boxenzeit so auslegen das man etwa positionsidentisch wieder auf die Strecke kommt... Dann würde man over und undercuts direkt erkennen und auf 10-15 Sekunden Zeit in der Box kommt es ja nicht an. Das zweite Rennen könnte mit attack Mode wie bisher auch ein energiesparen bezogenes Windschatten Rennen bleiben. Schön das solche Möglichkeiten vorhanden sind...
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