Formel E

Analyse zum Gen3-Auftakt: Premiere gelungen, doch an diesen Stellschrauben muss die Formel E noch drehen

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

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Vor dem Saisonstart schlug der Formel E viel Skepsis entgegen: Funktioniert das neue Auto? Wie steht es um das Rennformat? Kann nach den Testfahrten überhaupt irgendwer DS und Maserati einbremsen? Wir haben die Gen3-Premiere kritisch analysiert und viel Positives gefunden - aber auch noch einige Schwachstellen im Gen3-Konzept.

Nun ist sie also da, die neue Generation der Formel E. Als größer, schneller und besser wurde sie uns versprochen. Mit neuen technologischen Möglichkeiten und spannenderem Racing denn je. Sportlich ging der Mexico City E-Prix ohne die ganz großen Auffälligkeiten über die Bühne. Die wichtigsten Themen neben der Verletzung von Robin Frijns waren sicherlich der spannende Kampf um Platz 3 und die erneute Mexiko-Dominanz von Porsche.

"Notbremse" zum Glück nicht gebraucht, Gen3-Zuverlässigkeit solide

War die Gen3-Premiere attraktiv genug, um neue Fans zu gewinnen und an die Serie zu binden? Zunächst einmal sei positiv angemerkt: Der von einigen im Formel-E-Fahrerlager befürchtete Technik-GAU blieb aus. Nachdem mehrere Hersteller in der Testphase ihrer Autos Probleme mit dem Bremssystem bemerkten, und dann auch noch Mitch Evans am Freitag auf merkwürdige Art und Weise verunfallte, gab es berechtige Angst vor einem schweren Unfall in Mexiko. Ein solcher Crash aufgrund der fehlenden Heckbremse blieb in Mexiko glücklicherweise aus.

An einer technischen Notfall-Lösung wird derzeit mit Nachdruck gearbeitet. Wollen wir hoffen, dass sie tatsächlich bis zum Diriyya E-Prix in knapp zwei Wochen bereitsteht. Denn dort gibt es weniger Möglichkeiten für weitläufige Auslaufzonen oder mehrere TecPro-Ebenen. Mit dem Evans-Unfall - sollte er mit dem Bremsproblem zusammengehangen haben - ist der Weltverband FIA noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.

Die generelle Zuverlässigkeit der neuen Gen3-Autos war ansonsten okay und im Rahmen des Erwartbaren. Sam Bird erlitt früh einen mechanischen Antriebswellen-Defekt an seinem Jaguar. Bei Jean-Eric Vergne streikte kurz vor Schluss die Batterie im Heck seines DS Penske. Die Ausfallursachen bei Rene Rast und das Problem bei Sacha Fenestraz sind noch nicht vollständig geklärt. Insgesamt 17 der 22 Fahrer kamen bei der Rennpremiere ins Ziel - ein solider Start für das Gen3-Auto.

Der neue Attack-Mode funktioniert noch nicht

Sportlich überzeugte der Mexico City E-Prix vor allem mit einem Fünfkampf um das Podium. Über mehrere Runden behielt Lucas di Grassi (Mahindra) die Nase vorn und konnte in größter Not Jake Hughes (McLaren), Andre Lotterer (Andretti) und weitere hinter sich halten. Ihm half dabei jedoch ein besonderer Umstand: Die neue Attack-Mode-Regel funktionierte nicht wie erhofft.

Dazu etwas Hintergrund: Eigentlich plante die Formel E, bereits mit dem Gen3-Debüt in Mexiko die neu geschaffene Möglichkeit von Schnelllade-Boxenstopps zu nutzen. Die Technologie war zum Saisonstart jedoch noch nicht verfügbar. Anstatt den Attack-Mode mit Boxenstopps zu verknüpfen (Attack-Charge), stellt die Formel E ihren Fahrern deswegen zunächst frei, wie sie ihren Attack-Mode verwenden. Wie im Vorjahr müssen sie dazu durch eine Aktivierungszone fahren, ehe sie zweimal für insgesamt vier Minuten den 350-kW-Modus nutzen. Sie können selbst zwischen den folgenden Optionen entscheiden: 1+3 Minuten, 2+2 Minuten oder 3+1 Minuten.

In Mexiko bot der veränderte Attack-Mode jedoch zu wenige strategische Optionen, als dass er im Rennen eine echte Auswirkung hätte haben können. Zwei Aktivierungen für insgesamt vier Minuten sind nun mal deutlich weniger als bislang zwei Aktivierungen für jeweils vier Minuten. Durch das geschwächte strategische Gewicht des Attack-Modes im Vergleich zur Vorsaison gab es weniger Überholgelegenheiten und Positionswechsel - sehr zum Glück von di Grassi. Zudem war es für die Zuschauer:innen noch relativ schwierig nachzuvollziehen, welcher Fahrer welche Strategie fuhr. Die Schnellladeboxenstopps können nicht schnell genug können.

Ein paar Zeilen noch zur Renndauer: Es ist ein Segen, dass die Formel E in diesem Jahr zu rundenbasierten Rennen zurückgekehrt ist. Auch dank fünf zusätzlicher Runden durch die insgesamt drei Safety-Car-Phasen bekamen Fans satte 58 Minuten Motorsport geboten. Durch eine klar definierte Rundenzahl ist das Renngeschehen schlichtweg besser zu verstehen. Außerdem gibt es keine Energie-Poker durch die Führenden mehr, wie es noch vor einem Jahr in Mexiko der Fall war.

Sensationelles Debüt von Hughes, auch Fenestraz überzeugt

Die positive Überraschung des Wochenendes war Jake Hughes. Nach mehreren Jahren auf der "Auswechselbank" bei Venturi und Mercedes bekam der 28-Jährige in diesem Jahr seine verdiente Chance bei McLaren. In Mexiko war er von der ersten Sekunde an vorn dabei, qualifizierte sich als Dritter und kämpfte während des Rennens sogar um ein Top-3-Ergebnis. Letztlich kam Hughes bei seinem Formel-E-Debüt als Fünfter ins Ziel - und als mit Abstand bester Pilot mit Nissan-Antrieb. Der häufig unterschätzte Brite hat das Zeug, ein Großer in der Formel E zu werden. Er wird uns in diesem Jahr noch viel Freude bereiten.

Sacha Fenestraz gab in Mexiko zwar nicht sein Formel-E-Debüt - in Seoul war er bereits bei Dragon für den verletzten Antonio Giovinazzi eingesprungen. Dennoch fühlte es sich so an. Der Youngster zeigte eine starke Qualifikation, in der er Nissan-Teamkollege Norman Nato klar hinter sich ließ. Auch im Rennen fuhr er lange Zeit in den Top 10, bis ihn ein "kleineres Problem", das bislang nicht näher von Nissan eingeordnet wurde, aus den Punkten warf. Dennoch ein guter Einstand bei Nissan!

Bei den Fahrern bleibt noch Jake Dennis hervorzuheben. Zum wiederholten Male dominierte der Brite ein Rennen nach Belieben. Bemerkenswert dabei: Dennis siegte bereits auf sehr unterschiedlichen Streckentypen: Valencia, London und jetzt Mexiko-Stadt. Er hat längst das Zeug zum WM-Titel - und in diesem Jahr womöglich auch das Auto dafür.

Außerdem darf sich Mahindra über die Verpflichtung von Lucas di Grassi freuen, die sich sofort auszahlte. Die Inder haben zum ersten Mal seit Felix Rosenqvist (und vielleicht Pascal Wehrlein) wieder einen echten Topfahrer an Bord.

Neues Kräfteverhältnis in der Formel E

Die nach den Testfahrten als Favoriten gehandelten Fahrer von DS und Maserati blieben in Mexiko weiter hinter den Erwartungen zurück. Auch die vier Jaguar-Fahrzeuge haben noch Luft nach oben. Stattdessen überraschten Nio 333 und Porsche bisweilen mit sehr gutem Tempo.

Nachdem Jake Dennis den strauchelnden di Grassi hinter sich gelassen hatte, war für den Briten im Porsche-Kundenauto von Andretti kein Halten mehr. Seine Fahrt zum Sieg glich einer Machtdemonstration, die den einen oder anderen schon grübeln lassen dürfte, ob in diesem Jahr das Werks- oder Kundenteam die Nase vorn haben wird. Ja, Porsche war in Mexiko auch 2022 herausragend, vielerorts jedoch nicht. Dennoch scheint der deutsche Hersteller noch besser aufgestellt, zumal beide Teams mit absoluten Topfahrern antreten. Porsche war nicht nur auf eine Runde schnell, sondern auch effizient und zuverlässig.

Positive Signale gab es auch vom Underdog der Formel E. Man kann kaum anders, als sich für das kleine, nicht gerade erfolgsverwöhnte Team Nio 333 zu freuen. Im Einzelzeitfahren gelangen Sergio Sette Camara und Dan Ticktum immer wieder entscheidende Stiche. Insbesondere der Brite zog mit seinem Qualifying-Resultat (Platz 5) viele Blicke auf sich. Operativ lief es hingegen alles andere als gut für den Rennstall: Vier Strafen sprach die FIA während und nach dem Rennens aus - alle vier richteten sich gegen Nio 333. Und alle vier wären auf die eine oder andere Art und Weise vermeidbar gewesen. So blieben am Ende nur die Plätze 16 und 17. Dennoch: Die Hoffnung lebt für Nio 333.

Der Start ist gelungen, doch der Weg ist noch weit

Ist der Start in die Gen3-Ära der Formel E nun also gelungen? In vielerlei Hinsicht muss die Antwort auf diese Frage "ja" lauten. Die Elektroserie bot Zuseher:innen einen soliden Saisonauftakt, der ohne die zahlreichen Premieren aber nicht in die Annalen der Formel E eingegangen wäre.

An mehreren Stellen gibt es aber noch Verbesserungsbedarf. Das betrifft insbesondere die fehlenden Überholmanöver - geschuldet dem zu konservativen Attack-Mode - und das "Spiel mit dem Feuer" bei der Hinterradbremse. Allerdings ist keines der bestehenden Probleme für die Formel-E-Verantwortlichen unüberwindbar. Beim Gedanken an den nächsten E-Prix in Diriyya kommt bei uns somit schon Vorfreude auf. Nur noch zwölfmal schlafen, dann geht es in der Formel E schon weiter.

zusätzliche Berichterstattung durch Timo Pape

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5 Kommentare

Thomas Imhof ·

In der Tat zu wenig Überholmanöver und das Gen3-Auto ist leider optisch sehr gewöhnungsbedürftig, um nicht zu sagen hässlich

Ricardo ·

Die Idee der verschiedenen Optionen finde ich eigentlich echt gut! Allerdings ja. Die Dauer müsste hochgestellt werden.
Zudem: Die Anzeige des Attack Modes funktionierte gar nicht oder? Viele Autos hatten die blauen Lichter bereits zum Safety Car an

Derbe_klopp_te ·

Ich gebe den Vorrednern recht.
Das auto sieht schon komisch aus.
Da sind mir zu viele "schiefe" Querstreben drin. Angefangen beim Frontflügel bis hin zu den blauen Balken.
Letztere finde ich besonders misslungen. Da war die Anzeige per Halo irgendwie eleganter und ausgereifter

HWE ·

Tja, schön ist anders um nicht zu sagen potthässlich diese Gen 3 Autos und diese blaue Kirmes-Beleuchtung setzt dem Ganzen noch einen oben drauf.....

Für mich als weniger interessiertem E-Formel Fan bleibt das Rummelplatzracing, allerdings jetzt mit optisch angepasster Rückschritt-Optik.

Jede Saison habe ich die Hoffnung eine wirkliche Entwicklung hin zum spannenden Motorsport zu erleben.....Tja,die Hoffnung stirbt zuletzt...Aber inzwischen ...Ne' das wird wohl nix!

EffEll ·

Die Kritik, die Formel E wäre kein spannender Motorsport, kann ich ganz und gar nicht nachvollziehen. In den vergangenen Generationen waren die Rennen gerade zum Schluss actiongeladen und spannend, jedoch ging das dem letzten Rennen etwas ab.
Die zwei Minuten Attack-Mode waren viel zu kurz, da konnte kaum der Nachteil der Aktivierung aufgeholt werden. Zwei Mal vier Minuten oder gar acht Minuten zur freien Aufteilung wären besser.
Die Autos empfinde ich ebenfalls nicht als ausgesprochen hässlich, sondern eher als etwas gewöhnlicher als zuvor, zumal es sich jetzt endlich wieder um Open-Wheel-Rennwagen handelt. Die Erkennung des aktivierten Attack-Modes müsste aber eindeutiger sein!
Alles in allem bin ich zufrieden. Jedoch sind höhere Geschwindigkeiten, mehr Leistung und weniger Gewicht nicht zwingend der Action und Spannung zuträglich. Da hoffe ich auf die Nachladefunktion und besser verteilte Attack-Modes...

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