Formel E

Berlin ePrix: Auf diesen historischen Straßen fährt die Formel E

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Kalt ist es an jenem Dienstagnachmittag, an dem ich aus dem U-Bahnhof Strausberger Platz trete. Links eine dreispurige Hauptverkehrsstraße, rechts ein Friseursalon. In Wellen treibt der Verkehr auf den Alexanderplatz zu. Der Fernsehturm ist fast greifbar, davor ragen einige Plattenbauwohnungen in den Himmel. Direkt vor mir: ein mehrspuriger Kreisverkehr. In der Mitte steht ein Springbrunnen, um ihn herum blüht Krokus. Der Wasserzyklus ist vor kurzem angeschaltet worden.

Ein Blick nach hinten verschafft einen noch besseren Eindruck dieses Ortes. Die Straße, neben der ich stehe, ist schier endlos. Noch breiter als die Champs-Elysees in Paris ist sie: 90 Meter. In der Ferne sieht man die Türme des Frankfurter Tors schimmern. Prachtbauten, nahezu Paläste, stehen auf beiden Ufern dieses Boulevards, die tief stehende Sonne erleuchtet die Fassaden in einem warmen Goldgelb.

Am anderen Ende der Allee - hier am Kreisel - stehen auch zwei Türme. Kuppellos, etwas behäbig und klobig, in akkurater Symmetrie. Die Bögen am Boden sind mit Blattzweigen aus Sandstein verziert. Der Eingang zum Strausberger Platz.

Der Zauber dieses Ortes ist spürbar. Kalt erscheint er trotzdem. Das ist sie also, die Karl-Marx-Allee, einst Stalinallee, die erste sozialistische Hauptstraße Deutschlands. Nationale Bautradition verschmilzt an diesem Ort mit sowjetischem Realismus und preußischer Eleganz. Jedenfalls sollte sie das. Und das alles inmitten des Trümmerhaufens bei Potsdam, der Berlin Anfang der 1950er-Jahre war.

Revolutionen vor den Augen von Stalin und Marx

Eine Büste von Karl Marx, dem Namensgeber dieser Straße, steht auf dem Bürgersteig. Grimmig guckt der bärtige Mann in Richtung Springbrunnen. Bis zum Spätherbst 1961 stand hier noch eine Skulptur von Joseph Stalin, 4,80 Meter hoch, aus gegossener Bronze. Diese ist inzwischen verschwunden. Zerstört und eingeschmolzen wurde sie, einzig ein Stück Bart und ein Ohr blieben übrig. Einen Gipsnachbau des Ohrs kann man, schillernd lackiert, als Souvenir für zehn Euro kaufen.

Goethe steht über dem Eingang des "Haus des Kindes" auf der, vom Alexanderplatz aus gesehen, rechten Seite: "Solch ein Gewimmel möcht ich sehen, auf freiem Grund mit freiem Volke stehn." Gegenüber, im Haus Berlin, verkündet Bertold Brecht: "Als wir aber dann beschlossen, endlich unsrer Kraft zu trauen und ein schönes Leben aufzubauen, haben Kampf und Müh uns nicht verdrossen." Einst lebte dort der Dichter Franz Fühmann, dann belebte eine Tanzbar die Gegend.

Die Häuser stehen unter Denkmalschutz. Auf der Allee hinter mir entflammte einst, zwischen den monumentalen Zuckerbäckerhäusern, der Arbeiteraufstand der DDR. Zwei Jahrzehnte später wurde hier für den Mauerfall demonstriert. Und vor mir: Plattenbau, kalt, hässliches Ostberlin.

Zwischen Zuckerbäckerstil und Plattenbau

Auf genau dieser Strecke soll bald die Start- und Zielgerade der Formel E entstehen. Das immer mehr verfallende Haus der Statistik, das Haus des Lehrers mit seiner Kongresshalle, das Rathaus Mitte. Davor steht das "International", wo einst die DEFA-Filmpremieren in der DDR gezeigt wurden. Am 9. November 1989 lief hier "Coming out" über die Leinwände - bald zieht in die glatten Betonwände des Kinos das Formel-E-Pressezentrum ein.

Gegenüber tanzte, speiste und trank man im Cafe Moskau. Im Internet gibt es Faltpläne für 3D-Papiermodelle des Gebäudes. Das Haus ist heute eine Eventlocation und wird für Tagungen und Feiern genutzt. Einzig der aufgestellte Sputnik über dem Eingang erinnert noch an alte Zeiten.

Optisch hat sich hier seit dem Mauerfall nichts geändert. Die Karl-Marx-Allee ist wie eine Zeitreise. Man spürt förmlich, wie sich an diesem Ort am 1. Mai oder am 7. Oktober, dem Gründungstag der DDR, die Staatsspitze versammelte und sich feiern ließ.

Und genau hier, wo Erich Honecker 1989 die 40-Jahr-Feier der DDR veranstaltete, entsteht nun eine erste Tribüne für die 14.000 Live-Zuschauer der Formel E. Einer weiteren Revolution auf der Karl-Marx-Allee, wenn man so will. Als ich hier entlanglaufe, stehen auf beiden Ufern der Straße schon erste Betonmauern und Fangzäune; eingehüllt in das warme Goldgelb der tief stehenden Sonne.

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