"Beunruhigend" - Kann auch der Formel E eine Dominanz durch Mercedes drohen?
Timo Pape
In der Formel 1 dominiert Mercedes-Benz eine ganze Ära: Sieben Teammeisterschaften in Folge gingen seit 2014 an die Marke mit dem Stern - kein Team in der Geschichte der "Königsklasse" des Motorsports war derart überlegen. Nach einer ordentlichen Debütsaison 2019/20 in der Formel E ließ Mercedes jene Dominanz auch am Freitag des Diriyya E-Prix aufblitzen. Droht der Elektroserie eine ähnliche Vorhersehbarkeit, wie sie in der Formel 1 herrscht?
"Es ist schon ein wenig beunruhigend", findet zumindest Oliver Rowland. Gegenüber 'Motorsport.com' befürchtet er, dass sich Mercedes "wahrscheinlich noch steigern wird": "Schließlich sind sie bekannt dafür, immer noch zuzulegen. Wir haben das schon vergangenes Jahr in Berlin gesehen (als Mercedes beim Finalrennen einen Doppelsieg feierte). Und mit Verbesserungen in allen Bereichen wird es wohl noch weitergehen. Hoffentlich wird es nicht so wie in der Formel 1."
Mercedes-Pilot Nyck de Vries dominierte den ersten Teil des "Double-Headers" in Saudi-Arabien nach Belieben. Der 26-Jährige gewann am Donnerstag und Freitag sämtliche Sessions: 1. Freies Training, 2. Freies Training, Qualifying-Gruppenphase, Super-Pole sowie das Rennen. Das hatte es in der Formel-E-Geschichte noch nie gegeben. Auch die Abstände zur Konkurrenz und die Souveränität des Niederländers im Rennen brachten ihm und Mercedes großen Respekt im Fahrerlager ein. Zumal Edo Mortara im Kunden-Mercedes von Venturi den ersten Saisonlauf auch noch als Zweiter beendete.
Teamchef Ian James: "Dürfen in Abstand zu Konkurrenten nichts hineininterpretieren"
Die perfekte Bilanz der "Silberpfeile" wurde jedoch bereits einen Tag später durchbrochen. Nach einem Unfall von Mortara am Ende des 3. Freien Trainings erteilte die FIA allen Mercedes-Fahrzeugen aus Sicherheitsgründen keine Startfreigabe für das Qualifying. Zwar konnte das Team Änderungen an der Software vornehmen, um das Problem zu beheben. Dennoch mussten die betroffenen Fahrer vom Ende des Feldes ins Rennen gehen und konnten somit nicht in den Kampf um die vorderen Plätze eingreifen.
"Wir sind uns immer bewusst gewesen, dass es auch schwierige Tage geben würde, aus denen wir lernen müssen", sagt Mercedes-Teamchef Ian James. "Hoffentlich bleibt dies der einzige Tag dieser Art für uns, und wir können ab dem nächsten Rennen wieder an die gezeigte Performance (des Freitags) anknüpfen."
Eine Mercedes-Dominanz in der Formel E dürfte sich James sicherlich wünschen, stapelt aber lieber tief: "In den Abstand zu unseren Konkurrenten dürfen wir nach dem ersten Saisonrennen nichts hineininterpretieren. Wir sind uns bewusst, wie stark die Konkurrenz ist und wie verschieden Performance und Rennverlauf sein können."
Stoffel Vandoorne: "Haben ein gutes Paket & ein starkes Auto"
Nachdem Stoffel Vandoorne als Vizemeister bereits vergangene Saison sein Talent bewiesen hat, besitzt Mercedes mit de Vries nun auch noch einen zweiten Siegfahrer. James ist sich bewusst, was für ein Juwel er im Team hat: "Nyck hat ab dem 1. Freien Training eine bärenstarke Leistung vollbracht. Wir konnten sein Potenzial bereits im Laufe der vergangenen Saison erkennen, und es ist klasse, dass er dies nun mit seinem ersten Sieg in der Formel E umsetzen konnte. Ich finde es fantastisch, dass er hier unter Beweis stellen konnte, was er draufhat. Das war eine großartige Leistung von Nyck."
Vandoorne sollte in Diriyya weniger Rennglück haben als sein Teamkollege. Zudem nahm Mercedes eine 10-Sekunden-Stop-and-Go-Strafe in Kauf, um den Motor am Fahrzeug mit der Startnummer 5 zu wechseln. Der Belgier konnte somit nur vier Punkte aus dem Freitagsrennen mitnehmen und ging am Samstag ganz leer aus. "Alles in allem blicke ich aber zuversichtlich in die Zukunft", erklärt Vandoorne.
"Heute war ein großartiger Start in die Saison für unser gesamtes Team", so der 28-Jährige. "Allen voran natürlich für Nyck, der seinen ersten Sieg eingefahren hat, aber auch mit Blick auf die Anzahl an Punkten, die wir als Team gesammelt haben (36). Das war ein fantastischer Auftakt. Die Pace des Autos war gut. Wir haben ein gutes Paket und ein starkes Auto - darauf kommt es an. Jetzt gilt es, beim nächsten Rennen in Rom zurückzuschlagen."
Kommentar von Timo Pape: Mercedes-Dominanz im F1-Style ist unwahrscheinlich
Die Pace von Nyck de Vries am Diriyya-Freitag war nahezu beängstigend, wohl wahr. Der Gedanke, dass Mercedes die Formel E dominieren könnte, kam auch mir. Zu eklatant war der Vorsprung auf alle anderen. Aber eben auch auf Teamkollege Stoffel Vandoorne und die beiden Venturi-Fahrer. Mercedes hat den Ton angegeben, ja. Aber dominiert hat nur de Vries.
Durch das Qualifying-Verbot am Samstag bekam der Niederländer keine Gelegenheit, sich erneut weit vorn zu qualifizieren. Mit Blick auf die schwachen Rundenzeiten der anderen Fahrer aus Gruppe 1, in der auch de Vries in die Qualifikation gegangen wäre, hätte er es in jedem Fall schwer gehabt. Vom Ende des Feldes war nicht so viel möglich, wie man vom Mercedes vielleicht erwartet hatte. De Vries kam zwar noch auf Rang 9 vor, aber nur dank zahlreicher Strafen nach Rennschluss.
Mercedes hat ein sehr schnelles und effizientes Auto gebaut - das können wir nach dem Saisonauftakt zweifellos behaupten. Aber eine Dominanz im F1-Style halte ich für unwahrscheinlich. Dafür sorgt nicht zuletzt das Qualifying-Format der Formel E. Wer in der Meisterschaft vorn liegt, muss nun mal in Quali-Gruppe 1 ran und wird es sehr schwer haben, regelmäßig von ganz vorn zu starten. Dieser Mechanismus wird für einen ausgeglichenen Wettbewerb sorgen, zumal die Konkurrenz tatsächlich sehr stark ist, und die Unterschiede zwischen den Antriebssträngen marginal.
Dominanz gab es in der Formel E schon einmal: In Saison 3 (2016/17) gewann Sebastien Buemi sechs der ersten acht Rennen und dominierte die Konkurrenz mit spielender Leichtigkeit. Einerseits dank seines starken Renaults, andererseits weil die Qualifying-Gruppen damals noch ausgelost wurden. Und selbst damals wurde am Ende Lucas di Grassi Meister (unter anderem weil Buemi die beiden Rennen in New York auslassen musste). Heute liegen die Teams näher zusammen denn je. Zudem sind die Streckencharakteristika im Saisonverlauf sehr unterschiedlich. Wenn alle Stricke reißen, wird das Qualifying-Format eine Dominanz von Mercedes verhindern.
1 Kommentare
Ricardo ·
Gab es die selben Befürchtungen nicht auch schon letztes Jahr nach den ersten beiden Rennen? ;)
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