Chip-Ganassi-Manager Hull im Extreme-E-Interview: "Haben Übung darin, Rennen zu gewinnen"
Svenja König
Der US-amerikanische Traditionsrennstall Chip Ganassi Racing ist eines von acht Teams, mit denen die elektrische Offroad-Serie Extreme E ihre erste Saison im Januar 2021 eröffnen wird. Im Exklusiv-Interview mit 'e-Formel.de' erklärt Teammanager Mike Hull, wie es vom Beinahe-Formel-E-Einstieg zur Einschreibung in die Extreme E kam, und wie sich das Team auf die Debütsaison vorbereitet.
Mike, wann habt ihr zum ersten Mal von der Extreme E gehört?
Wir kennen die Formel-E-Leute schon eine Weile. Wir haben uns die Formel E vor ihrer ersten Saison angeschaut, waren aber damals nicht in der richtigen Position, um in die Serie einzusteigen. Zwei oder drei Jahre später wären wir soweit gewesen, aber dann waren schon sehr viele Firmen und Leute involviert. Ich war letzten Sommer in Großbritannien und habe das Extreme-E-Team besucht. Das Auto habe ich einige Tage später beim Goodwood Festival of Speed live gesehen und war begeistert. Außerdem gibt es keinen anderen Sport weltweit, der eine soziale Botschaft hat. Glücklicherweise gab es einen Platz für uns.
Was hat sich bei Chip Ganassi Racing verändert, sodass ihr nach drei Jahren bereit für die Formel E wart und heute der Extreme E beitreten könnt?
Wir hatten damals einfach nicht genug Leute für ein weiteres Projekt. Wir haben unser Unternehmen seitdem vergrößert und viel mehr Tiefe als damals. Wenn man im Motorsport ein neues Projekt anfangen will, braucht man Leute, die das durchziehen wollen und die den richtigen Hintergrund haben. Heute sind wir in der Position.
Für wie lange habt ihr euch bei der Extreme E eingeschrieben?
Das ist eine vertragliche Frage, deshalb können wir keine konkrete Antwort geben. Generell haben wir uns für eine längere Zeit verpflichtet. Wir denken nicht, dass ein kurzfristiges Engagement irgendeine Form von Erfolg generiert. Und die Formel-E-Leute denken genauso.
Überlegt ihr, in Zukunft auch in anderen elektrischen Rennserien an den Start zu gehen?
In Zukunft definitiv. Es wird in zwei oder drei Jahren eine neue GT-Serie geben, die teilweise elektrisch sein wird. Vielleicht geht es in diese Richtung. Es ist klar, dass elektrischer Motorsport ein Teil der Zukunft sein wird. Es werden andere Serien kommen, entweder national oder international.
Einer eurer größten Konkurrenten in der IndyCar-Serie - Andretti Autosport - geht auch in der Extreme E an den Start. Ist diese Rivalität besonders reizvoll?
Natürlich. Andretti ist ein fantastischer Rennstall mit einem einmaligen Stammbaum. Tatsächlich ist Michael Andretti unser Auto 1994 in der IndyCar gefahren, bevor er sein eigenes Team gegründet hat. Und wir haben mit ihm gewonnen. Wir haben eine gute Beziehung zu Andretti. Es geht im Motorsport nicht nur darum, wie gut du dein Auto fährst. Du wirst immer daran gemessen, wen du an einem bestimmten Tag geschlagen hast. Das ist in dieser Serie nicht anders.
Welche Art von Know-how könnt ihr aus den Disziplinen IndyCar, NASCAR oder Rallycross in die Extreme E mitbringen?
Wir sind zwei Jahre in einer amerikanischen Rallycross-Meisterschaft gefahren und konnten auch ein paar Rennen gewinnen. Das ist aber kaum vergleichbar mit der Extreme E. Ich denke, es gibt zwei Dinge, die in jeder Art von Motorsport gleich sind. Das ist erstens das Verständnis, wie man Grip erzeugt. Und zweitens muss das Auto zum Fahrstil des Fahrers passen. Man muss das Auto so bauen, dass es perfekt für den Fahrer ist, der es fährt.
Was wird die größte Herausforderung auf dem Weg zur ersten Saison?
Das kann ich dir nach dem ersten Rennen oder den ersten Tests verraten. Ich denke, Geistesgegenwart wird die größte Herausforderung. Man ist erfolgreich, wenn alle Mitglieder des Teams alles geben und die größten Probleme zuerst lösen. Es geht nicht darum, den besten Fahrer, den besten Motor oder den besten Reifendruck zu haben. Es geht darum zu wissen, was dein Job als Teil des Teams ist, und als Gruppe zusammenzuarbeiten, um das bestmögliche Ergebnis herauszuholen.
Ihr habt kürzlich als erstes Team der Extreme E einen Fahrer verpflichtet: die US-Amerikanerin Sara Price. Wie wählt ihr eure Piloten aus?
Es gibt viele hochqualifizierte männliche und weibliche Fahrer. Aber wir suchen nicht nach einem Fahrer, wir suchen nach Teamkollegen. Teamkollegen, die sehr talentiert, aber nicht eigennützig sind und die ihr Auto mit dem Teamkollegen teilen können. Bei Chip Ganassi Racing behandeln wir alle gleich, wir haben keinen ersten oder zweiten Fahrer. Wir würden nie einen Fahrer einstellen, der nur einen kurzfristigen Plan hat, wo seine Karriere hingehen soll. Wir suchen Fahrer, die ein gutes Gesamtpaket mitbringen und länger bei uns bleiben wollen.
Ein männlicher Fahrer fehlt euch noch. Wäre Felix Rosenqvist eine Option? Er hat ja Erfahrung im elektrischen Motorsport und beweist euch aktuell im Verbrenner-Rennwagen, was er kann…
Das ist eine schwierige Frage. Er fährt für uns in der IndyCar, daher könnte es Schwierigkeiten mit dem Terminkalender geben. Das allein könnte schon das ausschlaggebende Kriterium sein, denn zwischen Rennen und Tests ist nicht viel Luft. Wir wollen auf jeden Fall einen Fahrer, der die ganze Saison fahren kann. Wäre er eine gute Option? Ich denke schon, denn wir haben ihn basierend auf seiner bisherigen Erfahrung im Motorsport ausgesucht, und er macht einen hervorragenden Job in der IndyCar. Würden wir ihm eine Chance in einem dieser Autos geben? Absolut. Für die ganze Saison will ich mich an dieser Stelle aber nicht festlegen.
Es gibt ja immer wieder die Diskussion über Frauen im Motorsport. Was denkst du über die Idee der Extreme E, Frauen und Männer einzusetzen?
Wir als Rennteam haben sowohl Männer als auch Frauen, die für uns arbeiten. Wir freuen uns, dass die Extreme E diesen Weg gewählt hat, denn es wird zeigen, dass es durchaus qualifizierte Frauen im Motorsport gibt, die im selben Auto so schnell wie ein Mann sein können. Das ist ein wichtiges Statement. Wir könnten uns den ganzen Tag über die unterschiedlichen Karrierewege von Männern und Frauen unterhalten. Werden sie immer gleich fair behandelt? Wahrscheinlich nicht. Und der Grund dafür ist, dass es für Männer viel mehr Möglichkeiten gibt. Wenn sie 50:50 aufgeteilt wären, würde man wahrscheinlich viel mehr Frauen im Rennauto sehen. Momentan ist das nicht der Fall.
Es gibt im amerikanischen Motorsport das große Wort "Team-Chemie" - mehr noch als in Europa. Was bedeutet dieses Wort für dich und für euer Team?
Das ist eine tolle Frage. Ich kann nur über Chip Ganassi Racing reden, denn da arbeite ich seit 28 Jahren. Unsere Kultur legt Wert auf Gleichheit und Fairness, voneinander zu lernen und uneigennützig zu teilen. Chip Ganassi ist unnachgiebig, wenn es darum geht, dass keiner anders behandelt wird als der andere. Ein Beispiel: Wir bauen nie Teile nur für einen Fahrer, von dem wir glauben, dass er der Beste sein könnte. Die Autos sind zwar nicht immer gleich, was das Setup angeht. Aber die Fahrer verstehen, warum ein Fahrer mit seinem Ingenieur in einer bestimmten Session eine Entscheidung getroffen hat. Man hat am Renntag nur begrenzt Zeit, um Erfolg zu haben, und man verliert Zeit, wenn jemand eine persönliche Agenda hat oder bevorzugt wird.
Serienboss Alejandro Agag hat uns verraten, dass es durchaus Interesse von großen Autoherstellernan der Extreme E gibt. Hast du von einem gehört, der dabei sein will?
Wenn du etwas von einem Hersteller hörst, gib ihm doch bitte meine Nummer (lacht). Ja, wir haben mit ein paar Herstellern gesprochen, ob sie nicht gemeinsam mit uns in diese Serie einsteigen wollen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle anderen Teams dasselbe getan haben. Weiß ich im Moment von einem interessierten Hersteller? Nein. Wir würden liebend gern einen Hersteller mit seiner Technologie repräsentieren.
Chip Ganassi Racing hat fast alles im Motorsport gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Was motiviert euch, diese Geschichte in der Extreme E fortzuschreiben?
Das nächste Rennen. Wenn man zu sehr über das nachdenkt, was man erreicht hat, kann man sich nicht auf das nächste Ziel konzentrieren. Wir wollen auch in der Extreme E erfolgreich sein. Wir haben Übung darin zu gewinnen, aber das heißt nicht, dass wir immer siegen. Wir wollen natürlich alle fünf Rennen gewinnen, aber wie Chip immer sagt: 'Wenn du nicht gewinnen kannst, werde Zweiter, und wenn du nicht Zweiter werden kannst, werde Dritter. Mit dieser Einstellung haben wir durchaus schon ein paar Rennen gewonnen.
Foto: Mike Hull / Chip Ganassi Racing
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