Das e-Formel.de Fahrer-Rating: Die Gewinner & Verlierer des Marrakesch E-Prix
Tobias Bluhm
Formel-E-Fans kamen beim Rennwochenende in Marrakesch erneut auf ihre Kosten. Ohne die oftmals üblichen Kontakte, Unfälle und Safety-Cars lieferten die Fahrer der Elektroserie ein sehenswertes Rennen, bei dem die Podiumsplätze erst in der letzten Runde durch cleveres Energiemanagement entschieden wurden. Doch wie gut haben sich die Piloten im Einzelnen geschlagen?
Wie üblich hat sich die Redaktion von e-Formel.de auch nach diesem Rennen die Leistungen der Formel-E-Fahrer genau angesehen und Punkte an die aus ihrer Sicht besten Piloten verteilt. 10 Punkte werden an den stärksten Fahrer vergeben, 9 an den zweitbesten und so weiter. Anschließend errechnen wir den Durchschnitt aus allen subjektiven Einzelwertungen und erhalten somit ein vergleichbares Fahrer-Rating zwischen 1 und 10 Punkten.
Für die Abstimmung nach dem Marrakesch E-Prix erhielten wir wie immer Unterstützung von einem externen Medienkollegen. Dieses Mal hat uns Krzysztof Wozniak vom polnischen TV-Sender 'Motowizja' seine Top-10-Fahrer geschickt. Vielen Dank!
Das e-Formel.de Fahrer-Rating nach dem Marrakesch E-Prix
Antonio Felix da Costa | Tageswertung: 9.6 Punkte | Saison-Durchschnitt: 6.3 Punkte
Antonio Felix da Costa meldete in Marrakesch endgültig seine Ansprüche auf den Formel-E-Titel 2020 an. In jedem der drei letzten Rennen stand er auf dem Podium, zudem führt er nach seinem Rennsieg mit einem kleinen Komfort-Polster von elf Punkten die Fahrerwertung an. Der Wechsel von BMW zu DS Techeetah, der im letzten Sommer oft als "gewagt" bezeichnet wurde, scheint sich auszuzahlen.
Das Rennen in Marrakesch gewann der Portugiese durch ein geistreiches taktisches Manöver. Als er merkte, dass ihn der Zweikampf mit BMW-Pilot Maximilian Günther zu viel Energie kostete, ließ er sich bewusst hinter seinen Rivalen zurückfallen. Im Windschatten des Deutschen konnte er Strom sparen. Wenige Runden später griff er Günther im Attack-Mode an und holte sich die Führung zurück. Seine starken Leistungen im Rennen sowie im Qualifying wurden von unseren Autoren mehrmals mit der Bestnote von 10 Punkten bewertet. Mit Antonio Felix da Costa wird ganz sicher auch im weiteren Saisonverlauf zu rechnen sein.
Mitch Evans | Tageswertung: 8.8 Punkte | Saison-Durchschnitt: 6.7 Punkte
Was für eine Aufholjagd! Nach einem peinlichen Qualifying-Patzer seines Jaguar-Teams, durch den Mitch Evans nicht rechtzeitig die Startlinie überquerte, um seine Runde zu starten, kämpfte sich der Neuseeländer in meisterlicher Manier durch das Feld. Unglaubliche 18 Positionen holte er auf dem Weg zum sechsten Platz auf - ohne Unterstützung eines Safety-Cars oder durch Unfälle seiner Konkurrenten. Noch nie gab es in der Formel-E-Geschichte eine größere Aufholjagd. Genau solche Rennen sind es gewöhnlich, die einem Piloten am Ende des Jahres eine Chance auf die Meisterschaft geben.
Jean-Eric Vergne | Tageswertung: 7.8 Punkte | Saison-Durchschnitt: 3.4 Punkte
Das Rennwochenende von Jean-Eric Vergne hat das Prädikat "übermenschlich" verdient. Nach einem Quarantäne-Aufenthalt im Krankenhaus, einem negativen Test auf das Coronavirus und einem verpassten 1. Freien Training kämpfte der Franzose noch am Renntag mit Fieber. Ohne nennenswerte Vorbereitungszeit qualifizierte er sich für das Rennen auf einem annehmbaren elften Platz.
Nach 45 Minuten und einer Runde erreichte Vergne - sichtlich am Ende seiner Kräfte - Platz 3. Vor der physischen und auch mentalen Leistung, aus dieser unglücklichen Ausgangslage ein Podiumsresultat herauszuholen, ziehen wir unseren Hut. Gemeinsam mit Felix da Costa brachte er DS Techeetah in eine sehr gute Ausgangslage für die Teammeisterschaft.
Maximilian Günther | Tageswertung: 7.4 Punkte | Saison-Durchschnitt: 4.9 Punkte
In altbewährter Santiago-Form kehrte Maximilian Günther am letzten Wochenende zurück auf die Bildfläche der Formel E. Was auch immer die Ursache für das Formtief in Mexiko war - der Deutsche meldete sich in Marokko eindrucksvoll mit einem erneuten Podium zurück. Im Kampf gegen Antonio Felix da Costa war er zwar chancenlos. Dafür stellte er im Duell mit Jean-Eric Vergne unter Beweis, warum er seinen Platz im Werksfahrzeug von BMW verdient hat.
Obwohl der Techeetah-Pilot Günther zwischenzeitlich überholt hatte, blieb Günther ruhig. Auf Anweisung seines Teams hin wartete er bis zur vorletzten Kurve des Rennens ab, begann mit seinen Angriffen auf Vergne und schlug dann zwei Kurven vor dem Ziel eiskalt zu. Das sehenswerte Manöver, bei dem Günter erst einen Überholversuch außen andeutete, um schließlich innen vorbeizustechen, werden wir in den nächsten Wochen sicherlich noch in einigen Highlight-Zusammenschnitten zu sehen bekommen.
Edoardo Mortara | Tageswertung: 4.6 Punkte | Saison-Durchschnitt: 3.4 Punkte
Durch die konstant starken Leistungen von Edoardo Mortara dürfte teamintern der Druck auf Felipe Massa steigen. Während der Brasilianer auch in Marrakesch kein brauchbares Resultat einfahren konnte und nur im hinteren Mittelfeld kämpfte, fuhr Mortara im gesamten Rennverlauf um die Top-5-Plätze.
Er schaffte zum zweiten Mal in dieser Saison den Sprung in die Super-Pole und begegnete im Rennen Jean-Eric Vergne, Andre Lotterer sowie Sebastien Buemi auf Augenhöhe. Dank der späten Energieknappheit von Lotterer überquerte er den Zielstrich auf der fünften Position. Mehr und mehr wird deutlich, dass Mortara bei Venturi inoffiziell der Nummer-1-Fahrer ist. Massa muss dringend nachlegen - sonst könnte die gute Leistung von Mortara die Teamführung um Susie Wolff dazu bewegen, den Brasilianer spätestens nach dem London E-Prix zu entlassen. Mortara hingegen sitzt fester im Sattel denn je.
Sebastien Buemi | Tageswertung: 4.4 Punkte | Saison-Durchschnitt: 3.0 Punkte
In der Formel-E-Saison 2019/20 ist Sebastien Buemi der bisherige "Mr. Qualifying". Zum vierten Mal in fünf Rennen erreichte er für Nissan e.dams das Shoot-out um die Super-Pole, auch wenn es in Marrakesch nur für Startplatz 6 reichte. In einem konservativen Rennen meisterte der Schweizer alle Hindernisse, verteidigte sich gegen seine direkten Konkurrenten und ging letztlich als Vierter ins Ziel. Nach dem durchwachsenen Start in die Saison ist Buemi endlich wieder in Schlagdistanz zur Spitzengruppe und darf getrost als Siegkandidat für die nächsten Rennen betitelt werden.
Nyck de Vries | Tageswertung: 4.2 Punkte | Saison-Durchschnitt: 2.6 Punkte
Sowohl im Qualifying als auch im Rennen war Nyck de Vries überragend. Leider kostete ihn zum wiederholten Male ein technischer Fehler jede Chance auf ein gutes Ergebnis: In Marrakesch wurde er mit einer Durchfahrt durch die Boxengasse bestraft, nachdem ein Sensor festgestellt hatte, dass sein Mercedes kurzzeitig mit zu viel Leistung rekuperiert hatte.
De Vries fiel durch die Strafe auf Platz 23 zurück. Zu diesem Zeitpunkt fuhr "Überholkönig" Mitch Evans fünf Positionen vor ihm auf Rang 18. Auch beim Zieleinlauf lag er fünf Plätze hinter dem Jaguar-Fahrer. Während Evans aber wichtige Punkte sammeln konnte, ging de Vries als Elfter (0,2 Sekunden hinter Sam Bird auf Platz 10) ohne Zählbares nach Hause. Trotzdem ist mehr denn je klar: Das erste Formel-E-Podium für Nyck de Vries ist längst überfällig!
Alexander Sims | Tageswertung: 3.0 Punkte | Saison-Durchschnitt: 4.7 Punkte
Für Alexander Sims soll es in Marrakesch einfach nicht klappen. Nach seinem Unfall 2019 kollidierte er auch in diesem Jahr vor Schluss - diesmal mit Edoardo Mortara (Venturi). Beim Kontakt beschädigte er sich seine Antriebswelle, die in der letzten Runde den Geist aufgab. Statt Platz 5 und wichtigen Meisterschaftspunkten musste der Brite seinen Wagen am Streckenrand parken. Es sollte die einzige Rennaufgabe des Wochenendes werden. Sims zeigt trotzdem konstant gute Leistungen. Der ganz große Wurf, wie beispielsweise in Diriyya, blieb seit dem Jahreswechsel jedoch aus.
Andre Lotterer | Tageswertung: 2.4 Punkte | Saison-Durchschnitt: 2.5 Punkte
Der schon in den letzten Rennen erkennbare Porsche-Trend riss auch in Marrakesch nicht ab: Während Neel Jani mit seinem Fahrzeug und den Bremstemperaturen kämpfte, brachte sich Andre Lotterer im Qualifying mit einer zauberhaften Super-Pole-Runde in eine gute Ausgangslage für das Rennen. Nach einem ordentlichen Start und einigen Kämpfen in den Top 5 fiel die Pace in der zweiten Hälfte des Rennens jedoch ab. Am Ende musste er sich mit Platz 8 begnügen. Das ist sicherlich nicht das Ergebnis, auf das Porsche nach dem Podium von Diriyya gehofft haben dürfte.
Lucas di Grassi | Tageswertung: 2.0 Punkte | Saison-Durchschnitt: 3.7 Punkte
Im Qualifying leidet Lucas di Grassi weiterhin unter dem Gruppen-Format der Formel E - aber wohl schlichtweg auch an fehlendem Speed. Aus Startgruppe 1 schaffte er es nur auf den 13. Platz. Im Rennen pirschte er sich jedoch schrittweise vor und sorgte für das vielleicht spektakulärste Überholmanöver des Tages, als er zeitgleich James Calado (Jaguar) und Jerome d'Ambrosio (Mahindra) passierte.
Während seine drei Audi-Kollegen (inkl. Virgin) momentan keine glänzenden Ergebnisse einfahren können, hamstert di Grassi weiterhin solide Punkte. Ein spätes Manöver gegen Andre Lotterer brachte ihm Platz 7 in Marokko ein. Kann er seine Qualifying-Leistung verbessern, wird früher oder später auch wieder ein Podium für den 2017er-Champion drin sein. Schnelle Besserung in Rom ist vorerst aber nicht in Sicht: Auch in Italien startet di Grassi in Gruppe 1.
Foto: Peter Minnig / Spacesuit Media
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