Formel E

Deutscher Ingenieur hilft Oliver Askew durch Formel-E-Debütjahr: "Wie aus einem Feuerwehrschlauch trinken"

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

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Als einer von drei Neulingen im Fahrerfeld steht Oliver Askew (Andretti) vor zahlreichen Herausforderungen in der Formel E. Im Exklusiv-Gespräch mit 'e-Formel.de' resümiert der US-Amerikaner seine ersten Wochenenden in der Elektroserie, berichtet über Jetlag-Probleme und schwärmt von der Arbeitsmoral seines deutschen Renningenieurs.

Man muss schon zweimal hinsehen, um die Ähnlichkeiten zwischen einem Formel-E-Rennen und Tanzchoreografien zu erkennen. Während in der Elektroserie, wie auch im Motorsport allgemein, das reine Tempo zählt, entscheiden in Tanzwettbewerben allzu häufig künstlerische Nuancen. Die Formel-E-Boliden sind alles andere als filigran. Sie dürften in der Gen3-Ära gerüchteweise noch avantgardistischer werden, bestechen vor allem durch ihre brachiale Beschleunigung und Wendigkeit auf Straßenkursen.

Bei genauerer Betrachtung einen Formel-E-Fahrer und Tänzer:innen dennoch mehrere Eigenschaften. Die Fähigkeit zum Umgang mit psychischen und physischen Anspannungen während eines Wettkampfes etwa, oder die von allen Seiten geforderte Perfektion in der Ausführung von Manövern. Und nicht zuletzt wäre da die ununterbrochene Kommunikation, die während der Performance wahlweise zwischen den Tanzpartner:innen oder den Fahrer:innen mit ihrem Team hinter der Boxenmauer geschieht.

Die Anforderungen in der Hochspannungswelt der Formel E führten schon so manchen "Rookie" an seine Grenzen. Die eigentlich herausragenden Motorsporttalente Kamui Kobayashi, Felipe Nasr oder Brendon Hartley kommen in den Sinn - sie kehrten der Formel E jeweils nach nur wenigen Starts mehr oder weniger desillusioniert den Rücken. Nur, wer sich zu 100 Prozent den Erfordernissen der Formel E stellt, kann in der FIA-Weltmeisterschaft auf Dauer bestehen. Für Rookies muss die Aufgabe, die Komplexität der Elektroformel zu meistern, der Besteigung eines Gipfels im Himalaya gleichen.

Und dennoch stellen sich auch 2022 wieder drei Neulinge der Formel E. Antonio Giovinazzi fand nach seinem Formel-1-Aus Rennsportasyl bei Dragon, während Dan Ticktum, das überaus talentierte Enfant terrible der vergangenen Formel-2-Saisons, bei Nio 333 andockte. Der dritte Formel-E-Neuzugang füllte bei Avalanche Andretti die Lücke, die der inzwischen bei Nissan unter Vertrag stehende Maximilian Günther hinterließ: Oliver Askew.

"Die Lernkurve verlief sehr steil", sagt Askew im Gespräch mit 'e-Formel.de' über seine ersten Veranstaltungen in der Formel E. "Es war ein bisschen so, als würde ich Wasser aus einem Feuerwehrschlauch trinken. Das Umfeld ist komplett anders, die Fahrweise des Autos ebenfalls. Die Abläufe (in der Formel E) sind echt überwältigend."

Aus der IndyCar in die Formel E

Als einziger Pilot im aktuellen Fahrerfeld wurde Askew vorrangig im US-amerikanischen Motorsport sozialisiert. Nach erfolgreichen Jahren im Kartsport legte der Floridianer 2016 seine ersten Meter in einem Formelfahrzeug zurück, ehe er in Mazdas "Road to Indy"-Nachwuchsprogramm aufgenommen wurde. Über die USF2000- und Pro-Mazda-Kategorien arbeitete er sich so in die Indy-Lights-Serie vor, wo er 2019 mit Andretti den Titel gewann.

Der bis dato größte Erfolg seiner Karriere garantierte ihm im Folgejahr bei mindestens drei Rennen der IndyCar-Serie einen Platz in der Startaufstellung, darunter das berüchtigte 500-Meilen-Rennen von Indianapolis. Arrow McLaren SP nahm ihn sogar für die vollständige Saison 2020 unter Vertrag, in der er, abgesehen von einem dritten Platz auf dem Iowa-Ovalkurs, aber nur wenige Ausrufezeichen setzen konnte. Nach dem Saisonfinale entließ McLaren Askew und ersetzte ihn mit dem schnellen Dänen Christian Lundgaard.

Als Reservefahrer blieb Askew 2021 bei verschiedenen IndyCar-Rennställen aktiv, außerdem startete er bei einigen Langstrecken-Events. Im Spätsommer brachte er sich schließlich für Andrettis freies Formel-E-Cockpit ins Gespräch. Der Rest ist Geschichte: Askew wurde als Stammfahrer ins Elektroprogramm von Andretti aufgenommen. Bei seinem Debüt in Saudi-Arabien wurde er zum ersten US-amerikanischen Starter seit 2.442 Tagen (Scott Speed, Berlin E-Prix 2015).

"Je mehr Zeit man in der Serie bekommt, desto natürlicher fühlt es sich an", führt Askew aus. "Und erst dann kann man sich Gedanken darüber machen, wie man das Auto fährt. Aber: Das alles macht großen Spaß. Bislang bin ich sehr glücklich hier, was für mich das Wichtigste ist."

Das neue Formel-E-Engagement des 25-Jährigen ist auch verbunden mit einem "Umzug" nach Europa. Andrettis Werkstatt befindet sich in Großbritannien, der Simulator steht im BMW-Hauptquartier in München - rund 7.900 Kilometer und ein Ozean entfernt von seinem Heimatort Jupiter. "Ich habe die Fabrik (in Großbritannien) bisher nur einmal gewesen, das war bei meiner Sitzanpassung."

"Sobald die Autos die Halle verlassen, reisen sie um die Welt, und wir sehen sie erst am Ende der Saison wieder. Die Hälfte unserer Ingenieure stammt aber ohnehin aus verschiedenen Ländern. Ich selbst verbringe mehr Zeit im Simulator in München als anderswo", gesteht Askew, der in den vergangenen Wochen zwischen den USA, der BMW-Basis in Deutschland und Schweden, dem Geburtsland seiner Mutter, pendelte. "Dieses ständige Reisen ist echt verrückt. Ich leide immer noch ziemlich unter dem Jetlag. Deswegen habe ich mich jetzt entschieden, hauptsächlich in Europa und Schweden zu bleiben. Es ist sehr gut, diese Basis zu haben."

Coaching von Ex-Abt-Ingenieur: "Unglaublich, wie viel Zeit er opfert"

Bei seinen ersten drei Formel-E-Wochenenden sammelte Askew zwei WM-Punkte. In Rom ging er zuletzt leer aus, nachdem ihn eine Zeitstrafe am Rennsonntag aus den Top 10 spülte. Bei der Gewöhnung an die Formel E erhält er maßgebliche Unterstützung von seinem Renningenieur, dessen Stimme am Teamfunk vor allem deutschen Fans bekannt sein dürfte.

"Er ist ein ehemaliger Ingenieur vom Audi-ABT-Team aus der Formel E, wo er mit Daniel Abt zusammengearbeitet hat. Sein Name ist Daniel Grünwald", sagt Askew und scherzt auf unsere Nachfrage, wie die Zusammenarbeit laufe: "Er ist sehr deutsch! Aber das ist nichts Schlechtes. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, dachte ich, dass es echt schwer werden könnte, ihn zum Lachen zu bringen."

"Ich hatte echt ein wenig Angst, dass das Jahr ziemlich lang werden könnte, und dass es schwer sein würde, mit ihm zu arbeiten. Aber das komplette Gegenteil ist der Fall. Seitdem ich seine Schale 'knacken' konnte, haben wir gemeinsam großen Spaß. Er arbeitet sehr hart. Es ist unglaublich, wie viel seiner Zeit er hierfür opfert."

Eine gute Beziehung zu seinem Renningenieur sei enorm wichtig, "denn so wird die Kommunikation während des Wochenendes besser. Man bringt die Abläufe schneller hinter sich, auch in der Vorbereitung auf ein Rennen." Ebendieser kommunikative "Tanz" zwischen Askew, Grünwald und allen weiteren Teammitgliedern soll dabei helfen, ihn bald regelmäßiger in die Punkteränge zu bringen.

Nach den ersten fünf Saisonläufen rangiert der US-Amerikaner zunächst nur auf dem 18. Rang im Gesamtklassement der Formel E. Zuletzt litt Askew unter anderem an Setup- und Effizienzproblemen, die das Team bis zum nächsten Rennen in Monaco beheben will. Der E-Prix an der Cote d'Azur findet am 30. April statt.

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