Formel E

Di Grassi äußert Formel-E-Zukunftsvision über Gen3: "Vermutlich das am schnellsten beschleunigende Auto, das es gibt"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Lucas di Grassi ist nicht nur der nach Punkten erfolgreichste Fahrer der Formel-E-Geschichte, er hat durch seine Arbeit auch sehr viel zu dem beigetragen, was die Elektroserie heute ist. Aber auch für die mittelfristige Zukunft hat der Brasilianer Visionen, wie die Formel E weiterhin Maßstäbe setzen könnte.

Als einer der ersten Angestellten der Formel E war di Grassi in den Jahren 2012 und 2013 maßgeblich an den Test- und Entwicklungsfahrten beteiligt, um die Formel E in die Innenstädte dieses Planeten bringen zu können. Es ist daher keine Überraschung, dass di Grassi, der unter anderem als CEO der Rennserie Roborace auch an der Weiterentwicklung des autonomen Fahren beteiligt war, einen Blick in die Zukunft der Rennserie wirft.

"Die Beschleunigung (der Gen3-Boliden) ist jetzt auf dem gleichen Niveau wie in der Formel 2, also extrem schnell", vergleicht di Grassi im Podcast von 'Formula Nerds' die kommenden Formel-E-Boliden mit der höchsten Formel-Nachwuchsklasse im internationalen Motorsport. Die Formel 2 geht mit rund 450 kW starken Turbomotoren an den Start.

"Es ist eines der Fahrzeuge mit der schnellsten Beschleunigung, die ich jemals gefahren bin. Natürlich ist das Leistungsgewicht geringer als in der Formel 1 oder der LMP1", schränkt er ein. Ihm schwebt jedoch vor, das müsse nicht für die komplette Gen3-Ära so bleiben. "Es hat das Potenzial für ein höheres Leistungsgewicht als in der Formel 1. Mit dem Wechsel auf Gen3 haben wir auch an der Vorderachse einen Motor. Der vordere Motor leistet 250 kW, der hintere Motor 350 kW."

"In der ersten Saison wird der Frontmotor nur zur Rekuperation verwendet", beschreibt der Formel-E-Champion von Saison 3 weiter. "Aber er könnte auch zum Antrieb des Fahrzeugs verwendet werden. Wenn man also beide Motoren mit voller Leistung benutzt und damit einen Allradantrieb hat, liegt das Leistungsgewicht konstant bei mehr als einem PS pro Kilogramm."

Das Wort "konstant" spielt für ihn dabei die entscheidende Rolle, denn anders wie ein Verbrennungsmotor liefert ein Elektromotor die Leistung in jeder Situation. "Das ist sehr wichtig, denn wenn man über die Formel 1 oder andere Serien spricht, redet man über die Spitzenleistung, da die Motoren eine hohe Leistungsspitze haben. Man spricht also immer nur über die Maximalleistung des Autos, obwohl das eigentlich gar nicht wichtig ist", findet di Grassi.

"Wenn man ein Auto mit 1.000 PS hat, aber im fünften Gang steckt, bringt das wenig", erklärt der Mahindra-Pilot. "Diese Leistung erreicht man niemals bei 7.500 Umdrehungen pro Minute. Es ist also sehr wichtig, von der durchschnittlichen Leistung zu sprechen. Und wenn die Leistung im Durchschnitt bei mehr als einem PS pro Kilogramm liegt, ist das Auto ein echtes Biest."

Ob es dazu wirklich kommen wird, ist derzeit noch offen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Antriebe auch in der Gen3-Ära immer für je zwei Saisons homologiert werden, wäre eine derart umfangreiche Umstellung vermutlich erst zu Saison 11, also Ende 2024 oder Anfang 2025 durchführbar.

"Das Auto hat ein riesiges Potenzial"

"Es wäre vermutlich das am schnellsten beschleunigende Auto in jeder Kategorie, die es gibt", mutmaßt di Grassi über ein Superlativ des Allrad-Gen3-Boliden. "Der Wagen wäre dann von 0 bis 200 km/h nur durch den Grip limitiert, also könnte man erst bei etwa 200 km/h Vollstrom geben. Das Auto hat ein riesiges Potenzial."

Auch wenn die Beschleunigung der Gen3-Allrad-Autos auf Top-Niveau wäre, bedeutet das jedoch nicht, dass man die gleichen Rundenzeiten wie die Formel 1 oder die Fahrzeuge der Hypercar-Kategorie in der Langstrecken-Weltmeisterschaft fahren könne.

"Der Nachteil des Autos ist, dass es nur sehr wenig Abtrieb hat", erklärt di Grassi weiter. "Das ist einer der Gründe dafür, weshalb man so stark durch den Grip limitiert ist."

Das liege aber nicht nur an der Aerodynamik. "Die Reifen sind dafür gemacht, mehrere Events zu überstehen. Man kann aktuell einen vollständigen Testtag ganz locker mit nur einem Reifensatz absolvieren", beschreibt er seine Erfahrungen von den ersten Mahindra-Testfahrten in den vergangenen Wochen. "Die Reifen sind also recht hart."

"Das wird die Dynamik des Rennwochenendes verändern"

"Der Grund dafür ist, dass man in Bezug auf den Verbrauch der Reifen nachhaltiger sein wollte und das Auto zudem rutschen lassen wollte", sieht er überwiegend politische Gründe für diese Entscheidung. "Je weniger Grip man hat, desto schwieriger ist ein Auto zu fahren. Je mehr Abtrieb oder Haftung durch die Reifen da ist, desto einfacher ist das Auto zu fahren. Man wollte auch weiterhin ein Auto haben, das schwierig zu fahren ist."

Er will seine Äußerungen jedoch ausdrücklich nicht als Kritik an Hankook verstanden wissen, die nach acht Jahren Michelin als Einheitslieferant der Allwetterreifen ablösen. Im Gegenteil, er findet sogar, dass die Südkoreaner einen guten Job gemacht haben.

"Der Reifen hält seine Temperatur sehr konstant", hebt er hervor. "Mit den Michelin-Reifen musste man nach einer schnellen Runde die Reifen wechseln lassen. Jetzt kann man viele Runden nacheinander fahren. Das wird die Dynamik des Rennwochenendes verändern."

Das erste Rennen der Gen3-Boliden wird am 14. Januar 2023 in Mexiko-Stadt ausgetragen. Ab dem 11. Dezember finden zuvor die offiziellen Vorsaison-Testfahrten in Valencia statt.

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