"Reine Glückssache!" - Diskussionen über Track-Limits nach Strafenchaos im Formel-E-Qualifying von Indien
Tobias Wirtz
Die Einhaltung der "Track-Limits" war eines der großen Themen bei der Formel-E-Premiere in Indien. Im Viertelfinale des Qualifyings wurden gleich fünf der acht gefahrenen Rundenzeiten gestrichen. Die betroffenen Fahrer hatten während ihrer gezeiteten Runde allesamt die Strecke verlassen. Die Folge waren hitzige Diskussionen über die Linienführung auf dem Hyderabad Street Circuit und ein "Duell gegen sich selbst".
Jaguar-Pilot Sam Bird war einer der Fahrer, die nach dem Viertelfinale im Auto saßen und auf den Beginn ihres Halbfinalduells warteten. Nach rund zwanzig Minuten erhielt der Brite allerdings die Mitteilung, dass seine Runde gestrichen wurde. Bird war alles andere als erfreut: Der Brite stieg wutentbrannt aus dem Auto, warf seine Handschuhe und seine Balaklava durch die Box.
"Wenn ich es mir im Nachhinein aus diesem Winkel anschaue, sieht es so aus, als wäre ich leicht über der Linie gewesen", gestand Bird sein Überschreiten der Track-Limits später im TV-Weltsignal. "Ich vermute aber, dass jeder dort an irgendeiner Stelle drüber gefahren ist. Das Fahrzeug steuert in eine gewisse Richtung, aber sie haben dort eine Linie hingemalt, die in die entgegengesetzte Richtung führt. Es muss also jeder diese Linie an einer Stelle überfahren. Ehrlich gesagt ist das reine Glückssache."
"Ich denke, das ist sehr, sehr hart", so Bird über die Löschung seiner Rundenzeit durch die Rennkommissare. "Ich bin nicht einverstanden damit. Wir hatten nach anderen Lösungen (für die Schikane) gefragt. Dies war die Lösung, die sie gefunden haben. Für mich hätten sie damit einen besseren Job machen können. Es ist wirklich eine Schande. Ich war das gesamte Wochenende der Schnellste hier. Das Duell zu gewinnen und danach den Sieg wieder weggenommen zu bekommen, ist einfach entsetzlich."
Birds Jaguar-Teamchef James Barclay stimmt ihm zu: "Seht euch nur die Anzahl an Autos an, die da von der Strecke gefahren sind. War der noch drin? Oder war er draußen? Das ist die Art von Diskussionen, die wir im Moment führen."
Vergne: "Entscheidungen waren korrekt"
Einer der Profiteure der Strafen war Jean-Eric Vergne: Der DS-Penske-Pilot hatte nach der Streichung der Rundenzeiten keinen Gegner im Halbfinalduell, das er folglich allein bestritt. Für den Franzosen stellt dies jedoch kein Problem dar.
"Ich glaube, sie haben grundsätzlich nicht an die Möglichkeit gedacht, dass beide Fahrer (in einem Duell) die Streckenbegrenzungen missachten", nimmt Vergne auf Nachfrage von 'e-Formel.de' die Regelhüter in Schutz. "Daher gab es nur einen Fahrer im Halbfinale. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was sie hätten anders machen können. Die Entscheidungen waren korrekt. Ich weiß allerdings nicht, ob sie die Entscheidungen nicht etwas schneller hätten treffen können."
"Die Regeln sind die Regeln", findet der zweifache Formel-E-Champion. "Wenn man die Streckenbegrenzungen überschreitet, ist die Rundenzeit ungültig. Sie haben die Regeln korrekt angewendet. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen."
"Ich denke, wir sollten dort eine Mauer oder eine TecPro (-Barriere) haben", schwebt Bird bei 'Motorsport.com' als Verbesserung vor.
Di Grassi schlägt Technologie-Lösung vor
Lucas di Grassi hingegen bringt eine andere Option ins Spiel. Der Brasilianer will die Überwachung der Streckenbegrenzungen mit Lasern durchführen. Im Falle eines Verstoßes soll vollautomatisch eine Bestrafung erfolgen. "Das kann alles Mögliche sein: Leistungsreduzierung für ein paar Sekunden, Energiereduzierung oder Streichung einer Runde", schreibt di Grassi bei 'LinkedIn'. "Und es geschieht sofort, ohne dass ein Mensch eingreifen muss."
"Ich würde das jedenfalls sehr gerne in den nächsten Jahren in der Formel E sehen", schreibt di Grassi weiter. "Es würde uns das Leben so viel einfacher machen. Besonders bei einigen Schikanen auf Straßenkursen."
Kommentar von Tobias Wirtz: "Track Limits ja, aber bitte nicht so!"
Täglich grüßt das Murmeltier - das mag man denken, wenn man die gefühlt eintausendste Diskussion über Streckenbegrenzungen der letzten Jahre hört. Zugegeben, ganz so schlimm wie im Qualifying für die 24 Stunden von Spa-Francorchamps im Jahr 2020 war es in Hyderabad nicht. Damals hatte die Rennleitung vor der Session angekündigt, dass außer in der "Raidillon"-Kurve keine Track-Limit-Verstöße geahndet würden. Das Resultat war, dass die Fahrer gefühlt jedes asphaltierte Stück Boden in ganz Belgien ausnutzten, um abzukürzen oder mehr Schwung aus den Kurven mitzunehmen.
Daher wundert es mich nicht im Ansatz, dass die Formel-E-Piloten in Hyderabad am Ausgang von Kurve 1 reihenweise die Strecke verließen. Die Idee der Rennleitung, die schnelle Rechtskurve für das Formel-E-Rennen in eine Schikane umzuwandeln, um eine zusätzliche Möglichkeit zur Energierückgewinnung zu schaffen, mag gut gewesen sein. Die Umsetzung, dies lediglich durch eine weiße Linie auf der Strecke zu erreichen, jedoch nicht. Im Gegensatz zu einem echten Randstein oder einer Mauer ist eine weiße Linie für ein Rennauto und einen Rennfahrer bekanntlich kein Hindernis.
Was jedoch absolut amateurhaft ist: Wie lange die Rennkommissare dafür brauchten, diese Entscheidungen im Qualifying zu treffen. Die meisten der Verstöße waren im TV-Bild glasklar zu erkennen. Allerspätestens in der ersten Zeitlupe sah man deutlich, dass Bird, Mortara und Rast die Strecke verlassen hatten. Wofür dann rund 25 Minuten vergehen mussten, bis das Halbfinale starten konnte? Ich weiß es beim besten Willen nicht.
Es wirft kein gutes Bild auf eine FIA-Weltmeisterschaft, wie die Verantwortlichen in Indien gearbeitet haben. Und mal ganz ehrlich: Die Formel E will auch Zielgruppen erreichen und für ihre Rennen begeistern, die ansonsten mit dem Thema Motorsport nur wenig zu tun haben. So wird ihr das definitiv nicht gelingen.
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