"Eigentlich nur ein Kostendeckelchen" - Großzügiger Finanzrahmen sorgt für Frust bei Formel-E-Privatteams
Tobias Bluhm
Mit dem Start in die Gen3-Ära tritt für die Teams und Hersteller der Formel E auch ein neues Regelwerk zu den Finanzen der Serie in Kraft. Das Rahmenwerk, das die Ausgaben aller Beteiligten deckelt, beschlossen die Konstrukteure einstimmig mit der Serie und der FIA. Insbesondere bei kleinen Teams sorgen die Details des Regelwerks jedoch zunehmend für Frust.
Dass es auf dem Weg zur Spitze im Rennsport keine Abkürzungen gibt, weiß Russell O'Hagan aus eigener Erfahrung. Der "Chief Operating Officer" von Nio 333 leitete über mehrere Jahre die Einsätze des internationalen Rennteams Craft-Bamboo Racing, ehe er in die Formel E wechselte. Dort lernte er bereits in seinen ersten Monaten, dass in der Vergangenheit der FIA-WM neben vieler Arbeit vor allem ein Mittel zum Erfolg führte: viele Ressourcen.
Internationale Konstrukteure wie Nissan, Jaguar, Porsche oder Mercedes stecken seit 2015 mehrere hundert Millionen Euro in ihre Formel-E-Operationen, wodurch weniger ressourcenstarke Teams und Hersteller auf der sprichwörtlichen "Strecke" blieben.
Nio 333 enttäuscht über "Kostendeckelchen"
Ab Oktober 2022 will die FIA der finanziellen Unausgeglichenheit eigentlich einen Riegel vorschieben. Kurz vor der laufenden Saison gab der Automobil-Dachverband bekannt, dass in den ersten zwei Gen3-Jahren der Formel E kein Team mehr als 13 Mio. Euro jährlich in das eigene Programm investieren darf. Ab 2024 steigt die Obergrenze auf 15 Mio. Euro pro Jahr, Herstellermannschaften wie Nio 333 stehen zudem 25 Mio. Euro für die Entwicklung ihrer Antriebspakete zur Verfügung.
Das Paket wurde zuvor einstimmig von der Team- und Herstellervereinigung der Formel E beschlossen und dürfte insbesondere die "großen Teams" treffen. Trotzdem denkt Nio-333-Co-Teamchef O'Hagan, dass der Kostendeckel das Kräfteverhältnis in der Elektroserie nicht verschieben wird. "Die Antwort für die Überschrift lautet: 'Ja, wir freuen uns über den Kostendeckel'. Er ist eine gute Sache. Für uns machen die Details ihn aber eher zu einem Kostendeckelchen", so der Brite gegenüber 'e-Formel.de'.
"Wir sind ein bisschen frustriert mit der Summe, auf die wir uns am Ende geeinigt haben - zumal es noch viele Ausnahmen gibt. Der Deckel macht die Dinge transparenter und hilft uns zu verstehen, wo wir finanziell im Vergleich zu den anderen Teams stehen. Ihnen stehen vermutlich doppelt so viele Ressourcen wie uns zur Verfügung, wahrscheinlich sogar ein bisschen mehr. Die Reihenfolge wird durch den Kostendeckel also ganz sicher nicht auf den Kopf gestellt."
Mit Zeit & Geld zum Formel-E-Erfolg
Mehrere Personen im Formel-E-Fahrerlager schätzen die Budget-Obergrenze zuletzt ähnlich ein wie O'Hagan, der sich jedoch auch aus einem allgemeineren Grund für einen niedrigeren Kostendeckel starkmacht. "Aus der Perspektive unseres Teams mache ich mir natürlich nur Gedanken über die Performance. Global betrachtet sollten wir mögliche neue Hersteller aber auch nicht vergessen", holt er aus.
Übersicht: Der jährliche Gen3-Finanzrahmen für Hersteller & Teams der Formel E
Saison (Jahr) | Kostendeckel Teams * | Kostendeckel Hersteller * |
Saison 8 (2022) | unbegrenzt | unbegrenzt |
Saison 9 (2022/23) | 13 Mio. Euro | 25 Mio. Euro |
Saison 10 (2023/24) | 13 Mio. Euro | 25 Mio. Euro |
Saison 11 (2024/25) |
15 Mio. Euro |
TBA |
* Änderungen abhängig von Rennkalender-Struktur möglich
"Wenn man mit einem weißen Blatt Papier startet und die Formel-E-Meisterschaft gewinnen will, braucht man mindestens eine Fahrzeuggeneration Zeit und viel Geld. Die Automobilfirmen, die sich ein solches Budget leisten können, sind allerdings sehr dünn gesät. Sie gehören meistens zu einem größeren Konzern wie Stellantis oder ähnlichen."
"Der Elektroautomarkt ist hingegen voll mit Herstellern, für die die Serie offen bleiben sollte", findet er und spielt dabei womöglich auf den Titelpartner des Teams an, den chinesischen Autokonzern Nio. "Diese Start-ups sind drei, fünf oder zehn Jahre alt und könnten die Serie als Mittel nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegen größere Marken zu beweisen."
"Wir müssen also vorsichtig sein, dass wir dem Erfolg keine zu großen Barrieren in den Weg stellen und zu einem Punkt gelangen, an dem wir mehr Firmen abweisen als anziehen. Heutzutage ist es eine große Aufgabe, ein führendes Team zu sein. Das ist auch gut so. Aber wir sollten achtsam dabei sein, welche Hindernisse wir (für neue Konstrukteure) aufstellen."
Auch Andretti hätte niedrigeren Kostendeckel unterstützt
Ähnlich äußerte sich vor wenigen Monaten Andrettis Teamchef Roger Griffiths, der laut eigener Aussage "auch einen niedrigeren Kostendeckel unterstützt" hätte. "Wir sind eine bescheidene Organisation, die keine übermäßigen Unkosten hat. Wenn wir für unser Programm nur zehn Millionen Euro benötigen, dann geben wir das auch aus. Es würde für uns keinen Sinn ergeben, diesen Betrag auf 13 Mio. Euro zu erhöhen", sagte der Brite gegenüber 'Autosport'.
Unabhängig vom neuen Finanzrahmen wird jedoch mindestens Nio 333 längerfristig in der Formel E bleiben: Die Chinesen verlängerten jüngst ihr Herstellerengagement in der Elektroserie. Andretti könnte der Formel E mit einem neuen Antriebspartner ebenfalls treu bleiben, wenngleich aktuell noch nicht bekannt ist, mit welchem Konstrukteur die US-Mannschaft kooperieren wird. Hinter den Kulissen dürften die Verhandlungen mit möglichen Partnern aber schon seit mehreren Monaten geführt werden - gerüchteweise unter anderem mit Porsche.
"Die Basis der Formel E sind die Teams"
Für ABT-Geschäftsführer Thomas Biermaier, der mit seinem Allgäuer Rennstall 2023 in die Formel E zurückkehren wird, war der Kostendeckel hingegen eine Voraussetzung, um das Comeback überhaupt anzustreben. "Das ermöglicht Teams wie uns oder anderen, die noch keinen Hersteller an der Hand haben, vernünftige Planungen aufzusetzen. Diese Einführung war schon ein wichtiger Punkt", so Biermaier in der vergangenen Woche gegenüber 'e-Formel.de'.
"Wenn man sich die heutige Situation ansieht, mit Corona und mit dem Krieg (in der Ukraine), ist das für niemanden einfach, Sponsoring-Gelder oder eigene Gelder für den Motorsport aufzubringen. Darum war das ein entscheidender Schritt in die Zukunft, um gesunde Teams zu haben. Die Basis für die Formel E sind die Teams. Und wenn du gesunde Teams im Grid hast, ist das immer positiv."
Parallel zu ABTs Vorbereitungen auf das Jahr 2023 laufen bei den bereits bestehenden Rennställen die Vorbereitungen auf das nächste Rennen der Formel-E-Saison 2022. Dieses findet am kommenden Wochenende (14./15. Mai) auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof statt.
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