Formel E

"Ein neues Kapitel in meinem Leben" - Hinter den Kulissen von Nyck de Vries' Formel-E-Rückkehr

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Nyck-de-Vries-Mahindra-Announcement

Nyck de Vries ist zurück in der Formel E. Der Weltmeister der Saison 2021, der zwischenzeitlich in der Formel 1 fuhr, freut sich auf seine "Heimkehr" in den Elektromotorsport. Dabei kam der in dieser Woche verkündete Deal mit Mahindra, wie er im Exklusiv-Gespräch mit e-Formel.de verrät, nur durch eine Verkettung von Zufällen zustande.

Alles begann mit einer Verspätung. "Eigentlich hätte ich am London City Airport landen sollen, aber wir wurden umgeleitet. So kam ich stattdessen in Stansted an", erinnert sich Nyck de Vries an das Wochenende, an dem er seine Formel-E-Rückkehr in die Wege leitete. Zum ersten Mal seit seinem vorzeitigen Formel-1-Aus wollte der Niederländer beim London E-Prix "sein" altes Fahrerlager besuchen und Gespräche mit den Ex-Kollegen führen. Doch durch die Umleitung - Stansted liegt rund 45 Kilometer außerhalb Londons - blieb ihm statt des halben Renntags lediglich der Besuch des Rennens.

Aus der Not wurde für de Vries eine Tugend. Anstelle von Hinterzimmer-Treffen in Garagen oder der VIP-Loge sagte er ganz einfach auf der Startaufstellung seinen Kollegen Hallo. "Ich hatte gar keine Absicht, Fred (Bertrand, Mahindra-Teamchef) zu sehen, aber wir trafen zufällig aufeinander. Ich war nur als Tourist und Besucher da, als wir uns auf dem Grid entdeckten. Wir haben ein paar Worte gewechselt, und er hat sein Interesse ziemlich klar gemacht. Wir haben uns zu einem Telefonat verabredet und sind die Dinge von dort aus angegangen. Das war ganz natürlich."

Mahindra-Teamchef überzeugt de Vries mit Zukunftsvision

Frederic "Fred" Bertrand ist ein charismatischer, zielstrebiger Typ. Jahrelang arbeitete er bei der FIA, reformierte unter anderem das legendäre Formel-3-Rennen in Macau und etablierte die "Motorsport Games", ehe er der Formel-E-Verantwortliche des Auto-Weltverbands wurde. Als er vor der Saison 2023 das Mahindra-Zepter von Dilbagh Gill übernahm, begrüßte ihn das Paddock daher mit einem gewissen Argwohn: Ist ein FIA-Insider wirklich die richtige Besetzung für einen Teamchef-Posten? Den Vorwurf, Bertrand habe durch geheime Informationen einen Wettbewerbsvorteil, weist der Franzose strikt von sich.

Und ohnehin: Das von Mahindra und ZF entwickelte Antriebspaket lässt derzeit kaum zu, dass etwaige Wettbewerbsvorteile sichtbar werden. Binnen kürzester Zeit wurde Bertrand zum Krisenmanager und stellte fest, dass nur ein Umbau der Teamstruktur dabei helfen kann, Mahindra von seiner Hinterbänklerposition zu lösen. Das betrifft auch die Fahrerpaarung. So ist es nicht überraschend, dass sich Bertrand um de Vries' Gunst bemühte, als beide an jenem verregneten Sonntag in der Londoner Startaufstellung aufeinandertrafen.

"Er lief gerade mit Alejandro Agag am hinteren Ende des Feldes von der Startaufstellung entlang, als ich ihn zu mir rief und sagte: Falls du interessiert bist, suche ich nach Fahrern, die mir nächstes Jahr helfen, aus diesem Bereich rauszukommen und nach vorn zu gelangen", sagt Bertrand. "Ich kannte ihn von vielen Diskussionen aus meiner Zeit bei der FIA. Ein, zwei Wochen später haben wir telefoniert, und ich habe ihm das Projekt und unsere Ambitionen erklärt."

"Ich hatte schon gedacht, du wärst nicht interessiert!"

"Dann hatten wir für zwei Wochen keinen Kontakt mehr, das war schon Mitte August. Er sagte: 'Ich habe nie wieder etwas von dir gehört', und ich wiederum: 'Ich aber auch nicht von dir! Ich hatte schon gedacht, du wärst nicht interessiert.' Das hat uns den Vertragsabschluss erleichtert, denn wir haben gemerkt, dass wir gut zusammenpassen", lacht Bertrand. "Ab diesem Zeitpunkt ging alles sehr schnell. Ich mag an ihm, dass er das Verständnis eines Weltmeisters hat. Sein Zugang ist praktisch und effizient, ohne dass er allzu verrückte Sachen mit den Ingenieuren ausprobieren will. Es war toll, den Jungs und dem Mahindra-Management schließlich diese Meldung zu verkünden."

Bei Mahindra trifft de Vries unter anderem auf Tony Ross, Mercedes' ehemaligen Formel-E-Chefingenieur und einst Nico Rosbergs Formel-1-Renningenieur. Ross verstärkt 2024 das Team-Management von Mahindra - eine weitere Schlüsselverpflichtung von Bertrand. "Wir waren bis hierhin das 'nette Team'. Das wollen wir auch bleiben, aber die anderen sollen sich wieder mehr vor uns fürchten", fasst der Franzose seine Vision zusammen, wohlwissend, dass dieser Prozess ein langwieriger wird. Bertrand hat einen 3- und 5-Jahresplan, mit dem er Mahindra zurück zu Siegen führen will.

De Vries lässt F1-Aus hinter sich: "Zu oft auf die Ziele statt auf die Reise fokussiert"

Ebenjene Weitsicht war es auch, die de Vries überzeugte. "Ich glaube fest an das Projekt und die Ziele des Teams. Es fühlt sich an, als würde ich in eine vertraute Umgebung nach Hause kommen. Allen ist klar, dass der Start in die Gen3 holprig war. Aber wir stehen zusammen, und ich freue mich, auf diese Reise mit Mahindra zu gehen", so der 28-Jährige.

Mit seinem unrühmlichen Ausscheiden aus der Formel 1 - nach nur zehn größtenteils erfolglosen Rennen war bei AlphaTauri schon Schluss - habe er abgeschlossen. "Im Leben geht man durch verschiedene Phasen. Das war ein Kapitel in meinem Leben. Natürlich tut es weh, dass es zu früh vorbei war. Aber ich hatte genügend Zeit und Abstand, um die Dinge zu reflektieren. Hauptsächlich ziehe ich daraus, dass das Leben kein Ziel, sondern eine Reise ist", philosophiert de Vries. "Oft sind wir nur fokussiert auf einzelne Ziele, weil wir glauben, dass wir dann am Endziel ankommen. Aber es gibt keine Endziele."

"Das Leben ist eine Reise mit verschiedenen Kapiteln. Und jetzt startet für mich ein neues. Darauf freue ich mich sehr."

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