Formel E

Erfahrungsbericht: Berlin-Testfahrt im Formel-E-Simulator von ABT mit Nico Müller

Timo Pape

Timo Pape

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Viele Stunden verbringen Rennfahrer vor einem WM-Lauf im Simulator. In der Formel E sind es gar besonders viele, weil es keine Möglichkeiten gibt, die temporären Stadtkurse anderweitig zu üben. Im Hauptquartier von ABT Sportsline in Kempten bekam e-Formel.de Gründer Timo Pape die Chance, den Formel-E-Simulator des deutschen Privatteams zu testen. Unter Anleitung von ABT-Cupra-Pilot Nico Müller stand der Kurs in Berlin-Tempelhof auf dem Programm, auf dem die Elektroserie in etwas mehr als einer Woche gastiert.

Ein brandneues Gebäude hat ABT für seine Motorsportabteilung auf die ehemaligen "Parkflächen" neben dem Firmensitz im Allgäu gestellt. Nach einer Führung durch Museum, Werkstätten und Büroräume steigen wir eine Treppe ins Kellergeschoss hinab. Fenster gibt es im Kommandoraum trotzdem - gut für alle Beteiligten, die hier bei der Vorbereitung auf einen E-Prix sehr viel Zeit verbringen.

Dabei geht es nicht nur darum, die Strecke kennenzulernen. Schließlich ist Tempelhof schon einige Jahre im Rennkalender der Formel E. Noch wichtiger ist das Energiemanagement, das zahlreiche Computer in Echtzeit simulieren. Sie berechnen, an welchen Stellen ein Fahrer vom Strompedal gehen sollte, um seine verfügbare Energie möglichst effizient einzusetzen und gleichzeitig so schnell wie möglich zu sein. So feilt Nico Müller zusammen mit Simulator-Ingenieur Aniello Taliercio an der perfekten Kurvendurchfahrt - für jede der zehn Tempelhof-Kurven.

Den Kontrollraum ähnelt einem Tonstudio. Hinter einer Reihe von Bildschirmen ist eine große Glasscheibe angebracht - die Trennwand zum zweiten Raum, in dem der Simulator steht. ABT hat ihn vor dem eigenen Formel-E-Comeback aufgebaut. Pünktlich zu den Testfahrten von Valencia Mitte Dezember 2022 sei er fertig gewesen - vor allem auf Druck der Fahrer hin. Seitdem freuen sich Müller (Wohnsitz in der Schweiz) und Teamkollege Robin Frijns (Wohnsitz in Belgien) über kürzere Wege zur Arbeit und mehr Zeit mit der Familie. Die Kosten für den neuen Simulator hätten im sechsstelligen Bereich gelegen, heißt es.

Wer bremst, verliert

Bevor ich im Simulator Platz nehmen darf, gibt Müller ein paar Rundenzeiten vor. Dann bin ich an der Reihe und klettere in das Gestell. Ohne Schuhe - "so hast du mehr Gefühl", erklärt Müller. In beinahe liegender Position drücke ich ein, zwei Knöpfe am originalen Formel-E-Lenkrad und fahre aus der Boxengasse. Blau blinkende LEDs am Lenkrad zeigen mir an, wenn die Reifen durchdrehen. Das ging schnell.

Da ich als alter Zocker einige Erfahrung in weniger professionellen Fahrsimulatoren habe, finde ich mich eigentlich ganz gut zurecht. Auch den "Tempelhof-Ring" kenne ich bereits. Trotzdem sieht alles etwas anders aus mit diesem überdimensionalen gewölbten Bildschirm vor mir. Ich lasse es zunächst vorsichtig angehen. Das Beschleunigen ohne Wheelspin funktioniert bei 300 kW im Rennmodus tatsächlich besser als erwartet. Dann kommt jedoch die erste harte Bremszone.

In Kurve 6, vor sich in Berlin der Attack-Mode befindet, trete ich erstmals fester auf den "Stempel". Das Auto fängt an zu schlingern, ich verpasse den Scheitelpunkt. Beim Beschleunigen folgt der erste Dreher. Bis zum Ende meines Test bekomme ich kein Gefühl für die Bremse. Denn im Gegensatz zum Strompedal bewegt sich das Bremspedal - zumindest gefühlt - gar nicht. Lediglich die Kraft, mit der ich dagegendrücke, bestimmt die Bremswirkung. Ein klares Feedback bleibt aus - bis zum nächsten Lock-up.

Zum Glück kann man im Simulator durch die Mauern hindurchfahren, wenn man sich mal verschätzt hat, und auch wieder auf die Strecke zurück. Krachen tut es trotzdem, wenn ich gegen die Betonelemente scheppere. Gefolgt von einem lauten und unangenehmen Piepsignal auf dem Kopfhörer, das auch durch den Kommandoraum dröhnt. Armer Aniello.

Servolenkung, bitte!

Die zweite Überraschung ist das starke "Force Feedback". Die Lenkung geht unheimlich schwer und mächtig in die Arme. Besonders heftig ist es bei größeren Bodenwellen. Etwa in der schnelleren Kurve 8, wo offensichtlich zwei Betonplatten nicht wirklich ebenmäßig verlegt wurden. Die Bodenwelle schlägt nur so ins Lenkrad. Ich muss viel Kraft einsetzen, um dagegenzuhalten. "Es gibt glaube ich keinen Fahrer in der Formel E, der sich nicht eine Servolenkung wünschen würde", meint auch Müller und eröffnet mir anschließend: "Wir haben das Force Feedback für dich auf 60 Prozent runtergeschraubt."

Vom eingangs erwähnten Energiemanagement bekomme ich nichts mit - vermutlich, um mich auf die Basics konzentrieren zu können. Für die Fahrer  und das Team hingegen ist dies der wichtigste Aspekt der Simulatorarbeit. In den Bremszonen erhalten sie Piepser aufs Ohr, wenn sie vom Strompedal gehen sollen. Nach jeder Kurve berechnet das Modell in Echtzeit alle weiteren Piepser für das Rennen neu - der Pilot könnte ja etwas später gebremst haben. Die exakten Zeitpunkte für die Tonsignale sind sogar auf die individuelle Reaktionszeit der Fahrer angepasst.

Drei bis vier Tage verbringen sie vor einem E-Prix im Keller von ABT Motorsport. Dabei teilen sich Müller und Frijns im Normalfall die Tage. "Nach ein paar Stunden im Simulator bist du einfach fertig", erklärt mir Müller. Kann ich nachvollziehen - nach fünf Minuten. Denn gerade bei Wendemanövern, wenn sich also die Umgebung schnell dreht, wird mir etwas schummerig. Ich klettere wieder aus dem Simulator, tupfe mir ein paar Schweißperlen von der Stirn und stelle ein leichtes Zittern in meinen Händen und Armen fest.

Big Brother trifft Mission-Control

Seit einigen Jahren ist es in der Formel E üblich, dass die Teams neben ihrem streng limitierten Personalkontingent an der Strecke weitere Mitarbeiter:innen "remote" einsetzen, also im eigenen Werk oder Firmensitz. Sie bilden während der Rennen die sogenannte Mission-Control.

ABT Cupra nutzt seinen Mission-Control-Raum während der Rennwochenenden nach eigener Aussage nur "sehr schmal". Maximal dürfen am Rennwochenende sechs Menschen im Back-Office in Kempten sitzen und Livedaten auswerten. Kontrolliert wird dies durch eine Livekamera in der oberen Ecke des Raums. Sie gehört der FIA. Der Automobilverband hat alleinigen Zugriff auf das Eingangssignal und beobachtet genau, dass sich alle Formel-E-Teams an die Regeln halten.

Als ABT noch Partner von Audi war, hätten FIA-Verantwortliche sogar einmal unangekündigt vor den Toren von Audi Sport in Neuburg gestanden, um die Situation zu begutachten, berichtet ein langjähriges Teammitglied. In Kempten war bislang noch niemand auf Kontrollbesuch.

Nach einem spannenden Tag bedanke ich mich bei ABT, seinen Mitarbeiter:innen, Nico Müller und der Formel E für die Gelegenheit im Simulator und mache mich auf den Heimweg. Für den Berlin E-Prix am 22. und 23. April fühle ich mich nun gewappnet. In der Theorie.

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