ERT-Manager O'Hagan verrät: Darum treten wir nicht als Formel-E-Kundenteam an
Timo Pape
Der chinesisch-britische Hersteller ERT - vormals Nio 333 - hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Hinterbänklerteam der Formel E entwickelt, auch wenn es zuletzt wieder leicht bergauf ging. Als Antriebskonstrukteur sei es aber eine "bewusste Geschäftsentscheidung" gewesen, nicht als Kundenteam eines Topherstellers anzutreten, verrät der stellvertretende Teamchef Russell O'Hagan. ERT will stattdessen einen großen Hersteller anlocken.
Einen möglichen Kundenteamstatus habe ERT bereits häufiger erwogen, gesteht O'Hagan. "Im Rahmen unserer laufenden Strategie überprüfen wir regelmäßig das Geschäftsmodell der Kundenteams und wie das für uns aussehen könnte. Ich habe keinen Zweifel, dass wir mit dem richtigen Lieferanten - zusammen dem Team und den Fahrern, die wir haben - sofort Rennen gewinnen könnten."
Als Kundenteam könne man sich viel mehr auf die operativen Details und eine Leistungssteigerung an den Rennwochenenden konzentrieren, meint der Brite. "Es gibt eine gewisse Klarheit, und man hat nicht das Risiko, neue Bereiche zu erforschen, wie wir es manchmal tun müssen. Besonders angesichts unserer begrenzten Testmöglichkeiten", argumentiert O'Hagan weiter pro Kundenteamstatus.
Dass mit Envision Racing in der vergangenen Saison ein Kundenteam Weltmeister geworden ist - während ERT am Ende des Feldes versumpfte -, untermauert O'Hagans Thesen. "Wir sind der fünftbeste Hersteller von sechs - hinter mächtigen Konkurrenten wie Jaguar, Porsche, Stellantis und Nissan. In einer Meisterschaft, in der vier Hersteller derzeit die Oberhand haben, kann das schnell bedeuten, dass du gegen acht Teams bzw. 16 Autos antrittst."
Warum wird ERT kein Kundenteam?
Warum also tritt ERT weiterhin als selbstständiger Hersteller an und entwickelt seine eigenen Formel-E-Antriebsstränge? "Eine gute Frage", findet O'Hagan, "aber auch eine, die sich relativ einfach beantworten lässt, auch wenn sie vielschichtig ist." Der erste Vorteil als unabhängiger Hersteller sei die Kontrolle über das Geschehen.
"Es ist uns wichtig, unser eigenes Schicksal vollständig in der Hand zu haben", erklärt O'Hagan. "Als Kundenteam kann man die Versorgung, die man benötigt, nicht zu 100 Prozent sicherstellen."
Langfristig bestehe außerdem die Möglichkeit, dass sich die Formel E wieder mehr um die Hersteller zentriert, wie es in der Gen2-Ära vor ein paar Jahren noch der Fall war. "Sobald man einmal ein Kundenteam geworden ist, wäre es aus unserer Sicht eine enorm schwierige Aufgabe, wieder Hersteller zu werden."
Auch hinsichtlich der Leistung sei der ERT-Ansatz langfristig ein Vorteil. "Trotz der bevorstehenden Herausforderungen bauen wir jede Saison auf unseren Stärken, Ressourcen, Erfahrungen und Kenntnissen auf. Wir sind alle sehr gespannt auf die Einführung unseres Gen3-Evo-Autos in der nächsten Saison, das viel effizienter sein wird."
Geschäftsstrategie: "Ziel ist, einen weiteren OEM an Bord zu holen"
Ein weiterer Aspekt ist die Rendite, schließlich sei ERT in erster Linie eine Unternehmung. "Das Gleichgewicht unserer Aktivitäten als Rennteam und Hersteller (…) ist entscheidend für den Unternehmenswert. Als Hersteller liegt unsere größte Chance in einem langfristigen Mehrwert, im Wachstum und in Erfolgen, die auf unserem Wissen und geistigen Eigentum fußen."
Offenbar soll dieses Know-how die Grundlage für den Verkauf an einen Automobilhersteller darstellen (oder zumindest dessen Einstieg). O'Hagan verrät: "Unser klares Ziel ist es, (nach dem ehemaligen Partner Nio) einen weiteren OEM an Bord zu holen." Tatsächlich brodelte die Gerüchteküche in den vergangenen Wochen und Monaten. Ein möglicher Interessent könnte demnach der chinesische E-Auto-Hersteller BYD sein.
"Es ist von großem Wert für uns, bei der Schaffung neuer elektrifizierter Lösungen und Produkte an der Spitze zu stehen. Sie werden im Laufe der Zeit in den breiteren Motorsport- und Automobil-Performance-Sektor einfließen. Wir konzentrieren uns zunehmend auf die Kommerzialisierung dieser Fähigkeit und erkennen den Wert unserer täglichen Ingenieursarbeit", preist O'Hagan sein Team weiter an. Letztlich sei dieser "Hunger" auf technologischen Fortschritt ein weiterer Grund, Hersteller bleiben zu wollen. "Wir lieben, was wir tun", so O'Hagan.
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