Formel E

Exklusiv: Formel-E-Renndirektor ignoriert Safety-Car-Vorgaben - "Durfte eigentlich gar nicht mehr hereingeholt werden"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Das Safety-Car führt das Feld in Kurve 13, im Hintergrund wird der Cupra Kiro von David Beckmann von einem Bergungsfahrzeug von der Strecke gefahren

Es war die rennentscheidende Szene beim Mexico City E-Prix: Oliver Rowland konnte beim Neustart nach der ersten Safety-Car-Phase seinen Vorteil durch den Attack-Mode nutzen und überholte die drei vor ihm liegenden Fahrer - sein Weg zum Sieg. Ein paar Tage nach dem Rennen tauchen jedoch Ungereimtheiten auf: Hat Renndirektor Scot Elkins seine eigenen Vorgaben ignoriert und das Safety-Car in Runde 30 zu einem Zeitpunkt an die Box zurückbeordert, als es dafür eigentlich schon viel zu spät war?

Das deutet Florian Modlinger, Teamchef und Gesamtprojektleiter Formel E bei Porsche, uns gegenüber an. Durch die viel zu spät getroffene Entscheidung wurde der in Führung liegende Antonio Felix da Costa der Möglichkeit beraubt, das Tempo vor dem Neustart zu verzögern, um den Attack-Mode von Rowland vor dem Neustart ablaufen zu lassen.

"Für einen Restart nach dem Safety-Car ist in der Information des Renndirektors festgelegt, dass zwischen den Kurven 12 und 13 die Info 'Safety Car in this Lap' kommt. Gleichzeitig müssen die Lichter des Safety-Car ausgehen", beschreibt Modlinger auf Anfrage von e-Formel.de das Neustart-Prozedere. "Als das Safety-Car zwischen Kurve 12 und 13 war, waren die Lichter noch an, und das Kiro-Fahrzeug (von David Beckmann) hing am Kran. Man kann ganz klar im TV-Bild sehen (siehe Artikelbild), dass das Safety-Car mit angeschalteten Lichtern durch Kurve 13 fährt."

"Das ist der eigentlich späteste Punkt, wo das Safety-Car - laut seiner eigenen Dokumentation - vom Renndirektor hereingeholt werden kann", so Modlinger weiter. "Als die Meldung 'Safety Car in this Lap' von der Rennleitung kam, war das Feld kurz vor Kurve 17 - also eigentlich nachdem das Safety-Car gar nicht mehr hereingeholt werden darf oder soll."

"Gemischtes Verlangsamen bis zur Mitte von Kurve 19"

Ein Verzögern des Neustarts, um Rowland seinen Vorteil zu nehmen, war für Porsche somit nicht mehr möglich. "Rowland hatte noch 1:30 Minuten Attack-Mode übrig. Bis zur Startlinie kann man aber (ab diesem Punkt) nicht mehr 1:30 Minuten herausnehmen", erklärt Modlinger. Zu diesem Zeitpunkt war das Rennen für die beiden Porsche-Fahrer an der Spitze de facto bereits verloren.

"Wenn man den Job nur halb machen kann, also wenn man bis zur Ziellinie langsam fährt und dann beschleunigt, hat der Allradantrieb einen solchen Traktionsvorteil, dass er (Rowland) alle drei Autos vor ihm auf der Start-Ziel-Gerade schon überholt", erteilt Modlinger auch dieser möglichen Taktik eine Absage. "Deswegen war es ein gemischtes Verlangsamen bis zur Mitte von Kurve 19, um noch zügig aus der Kurve zu kommen, damit der Traktionsvorteil auf Start/Ziel nicht so entscheidend ist, und Rowland maximal ein Auto vor Kurve 1 überholen kann."

"Das hat geklappt", sieht er die Strategie beim Neustart erst einmal bestätigt. "Aber dann wurde es sehr schwer, weil Rowland extrem viel Risiko eingegangen ist. Er hat in Kurve 4 schon Pascal attackiert, der die Linie in Kurve 5 nicht mehr halten und verteidigen konnte. Aus der Schikane heraus konnte Antonio auch nicht verteidigen, sodass Rowland innen vorbeigegangen ist."

Modlinger: "Vielleicht sind wir ein andermal die Profiteure"

"Sehr, sehr unglücklich - unglückliches Safety-Car, unglückliches Hereinholen", fasst Modlinger zusammen. "Mich würde die Motivation interessieren, warum der Renndirektor seine eigenen Vorgaben nicht eingehalten hat. Alles in allem kam das Safety-Car zur falschen Zeit für uns - das war Pech. Vielleicht sind ein andermal aber auch wir die Profiteure."

Dennoch werden bei Motorsportfans Erinnerungen an den Großen Preis von Abu Dhabi 2021 wach, als F1-Rennleiter Michael Masi ebenfalls die Regeln teilweise missachtete, was Max Verstappen in der letzten Runde ein Überholmanöver gegen Lewis Hamilton und den Gewinn seines ersten WM-Titels ermöglichte. Eine Untersuchung des Automobil-Weltverbandes FIA sprach im Nachhinein von "menschlichem Versagen", Masi verlor in der Folge seinen Posten als Rennleiter.

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3 Kommentare

Derbe_klopp_te ·

ganz ehrlich, ich verstehe nicht, wie ein Rennleiter sowas entscheiden kann.
Wieso kommt man auf die Idee, sich über solch eine Regel hinwegzusetzten, wenn es doch direkt einfluss auf den Rennverlauf nimmt.
Wenn das ein Saisonfinale gewesen wäre und der titel dabei gewechselt hätte, hätten wir einen handfesten Skandal an der Hand!

Der_Neue ·

Na ja, wenn es keine SC phase gegeben hätte würde Roweland die volle Zeit des Attack Modes nutzen können. Eine SC Phase benachteiligt im Endeffekt immer jemanden.

EffEll ·

Die beiden Porsche hatten sich schon einen ordentlichen Vorsprung auf der Strecke herausgefahren und auch einen Energievorteil gegenüber des Nissans. Demnach wäre es sich vermutlich im Rennverlauf ohne Unterbrechung für Porsche mit Position 1 und 2 ausgegangen. Aber auch mit SC hätte es Porsche bewerkstelligen können, wenn sich die Rennleitung ans Protokoll gehalten hätte, weil man das Tempo dementsprechend rechtzeitig angepasst hätte, wie im Artikel beschrieben. In dem speziellen Fall zu sagen, dass auch Rowland Einbußen durch das Safety-Car hatte und er im normalen Rennverlauf ohnehin gewonnen hätte, da er den Attack-Mode im vollen Umfang hätte nutzen können, ist m. E. n. nicht richtig. Es lief alles für den Nissan Piloten und da die SC-Phase so kurz war und keine Runden addiert wurden, spielte auch die Energie keine Rolle. Rowland war schlicht der Glückspilz des Tages und die Abweichung vom Regelwerk der Rennleitung lässt einen bitteren Beigeschmack zurück.

Antwort von Tobias Wirtz

Das sehe ich genauso, Flo.

Rowland, der bereits vor seinem zweiten Attack-Mode einen Energienachteil von rund einem Prozent gegenüber den beide Werks-Porsche-Fahrern hatte, hat durch das Safety-Car den Rückstand von mehr als vier Sekunden aufholen können, ohne dafür seine ohnehin schon knappe Energie investieren zu müssen. Ohne Safety-Car hätte sich sein Energienachteil vermutlich auf rund 3 Prozent summiert, wenn er die beiden Porsche-Fahrer im Attack-Mode überholt hätte.

Danach hätte er dann aber so viel sparen müssen, dass diese vermutlich problemlos an ihm vorbeigegangen wären. Aber: hätte, hätte, Fahrradkette - Fakt ist, dass durch die späte Entscheidung von Rennleiter Scot Elkins Porsche jede taktische Möglichkeit genommen wurde.

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