FIA verzichtet auf Strafen nach Entgleisungen am Formel-E-Teamfunk in Jeddah: "Keine Maßnahmen erforderlich"
Tobias Wirtz

Adam Pigott / Spacesuit Media
Seit einigen Wochen gibt es neue Vorgaben des Automobil-Weltverbandes FIA, welche Strafen Rennkommissare im Fall von verbalen Entgleisungen der Fahrer aussprechen sollen. WRC-Fahrer Adrien Fourmaux bekam vor wenigen Tagen eine Geldstrafe, weil er bei der Rallye Schweden in einem Interview "We fucked up yesterday" gesagt hatte. Mitch Evans und Dan Ticktum, die im öffentlich zugänglichen Team-Radio beim Freitagsrennen in Jeddah förmlich darum gewetteifert hatten, welcher Fahrer das F-Wort häufiger sagt, kamen jedoch beide ohne Strafe davon. Möglicherweise hat die FIA damit nun einen Präzedenzfall geschaffen.
Für große Diskussionen unter Motorsportfans sorgte kürzlich die Veröffentlichung von Anhang B für den International Sporting Code der FIA, der "Strafen-Richtlinie für Rennkommissare": Von übertriebener "Political Correctness", Maulkörben und sogar Zensur sowie Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch ein autoritäres Regime war die Rede. Als Verantwortlicher hinter den strengen Benimmregeln wird oftmals FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem persönlich angesehen.
Nachdem bereits im vergangenen September, also noch vor Veröffentlichung des neuen Anhangs, Formel-1-Weltmeister Max Verstappen wegen einer ähnlichen Aussage im Rahmen des Großen Preises von Singapur zu Sozialstunden im Rahmen der FIA-Gala in Ruanda verdonnert wurde, nahm die Diskussion mit der Strafe für Formaux erneut Fahrt auf. Insbesondere die Aussagen von Dan Ticktum am Teamfunk, von denen Abschriften bereits während des Rennens in den Sozialen Medien kursierten, ließen viele Leuten aufhorchen.
Keine Strafen beim Funk mit dem eigenen Team
Knapp ein dutzend Mal kamen ihm dabei Worte über die Lippen, die - wenn man sich die Strafe für Fourmaux ansieht - sanktionierungswürdig erscheinen. Der Teamfunk von Mitch Evans war keineswegs besser, ganz im Gegenteil: Der Neuseeländer kam auf eine zweistellige Anzahl an verbalen Entgleisungen, als er sich über den Auffahrunfall mit Pascal Wehrlein und die Tatsache, dass er beim anschließenden Reparaturboxenstopp überrundet wurde, aufregte.
Doch weder Evans noch Ticktum, der in der Vergangenheit bereits häufiger mit der Verwendung von nicht jugendfreier Sprache im Teamfunk aufgefallen ist, müssen Angst vor einer Strafe haben, wie die FIA bestätigte.
"Die Rennkommissare wurden darauf aufmerksam gemacht und haben entschieden, dass keine weiteren Maßnahmen erforderlich sind, da dies im Rahmen einer Funkkommunikation mit dem Team und nicht während eines Medieninterviews geschah", wird ein FIA-Sprecher bei Autosport zitiert. Hat man damit einen Präzedenzfall geschaffen und möglicherweise einen Freibrief für die Fahrer ausgestellt?
Kommentar von Tobias Wirtz: Richtige Entscheidung, aber ein Fragezeichen bleibt
Allein schon die Tatsache, dass die FIA sich über den International Sporting Code das Recht herausnimmt, Fahrer für die Verwendung von "unangemessener" Sprache zu Geldstrafen und sogar Sperren zu verdonnern, finde ich fragwürdig. Natürlich ist es im Interesse eines Verbandes, dass kein schlechtes Licht auf den Sport geworfen wird. Aber die Formulierung im International Sporting Code lässt auch durchaus einiges an Interpretationsspielraum zu. Oder kann jemand mit Sicherheit sagen, welche Worte als grob oder unhöflich empfunden werden können, und welche nicht?
Hyundai-Fahrer Formaux für die Aussage "We fucked up yesterday" zu bestrafen - auf Deutsch in etwa "Gestern wir haben es verkackt" -, mag manch einer dabei als gerechtfertigt ansehen. Mache sehen das aber auch anders. Natürlich sollte sich ein professioneller Sportler, gerade in einer Weltmeisterschaft, in einem Medieninterview durchaus anders ausdrücken können. Vollkommen egal, ob er Rennfahrer, Fußballer oder Schachspieler von Beruf ist.
Beim Wettkampf selbst fallen durchaus häufiger schon mal Worte, die man vielleicht nicht unbedingt beim ersten Kennenlerntreffen mit den Schwiegereltern sagen sollte. Das ist angesichts des Adrenalins und der emotionalen Belastungen der Sportler aber auch kein Wunder. Der Unterschied ist, dass zum Beispiel das Wortgefecht zwischen Zinedine Zidane und Marco Materazzi beim Finale der Fußball-WM 2006, woraus sich der berühmte Kopfstoß entwickelte, nicht über eine App von unzähligen Fans live mitgehört oder sogar im TV-Weltsignal ausgestrahlt werden konnte. Nicht umsonst erscheint in der Formel-E-App auch immer eine Warnung: "Vorsicht, der Teamfunk ist unzensiert."
Ich persönlich finde es gut, dass die FIA hier im Sinne des Sports entschieden hat und die Regeln in diesem Fall nicht angewendet hat. Aber im International Sporting Code ist das keineswegs so verankert. Ob man das dort auch genauso sehen wird, wenn sich ein Fahrer am Funk mit ähnlichen Worten über eine Strafe aufregen sollte? Wenn er FIA-Personal wie zum Beispiel den Rennleiter, die Rennkommissare oder gar den FIA-Präsidenten mit dem F-Wort betiteln sollte? Ich bin mir da nicht so sicher.
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