Formel E

Formel E: 4 Dinge, die wir aus den Vorsaison-Testfahrten 2022 in Valencia gelernt haben

Timo Pape

Timo Pape

Formel-E-Gen3-Autos-von-hinten

Die erste grobe Standortbestimmung der Gen3-Ära liegt hinter uns. Bei den Vorsaison-Testfahrten der Formel E in Valencia legten die Fahrer insgesamt 5.128 Runden zurück. Das entspricht einer kumulierten Teststrecke von mehr als 17.300 Kilometer - in etwa die doppelte Distanz der Reiseroute von Valencia nach Mexiko-Stadt, wo am 14. Januar die Saison 2023 beginnt. Doch was bleibt nach den vier Testtagen hängen? Wir haben die vier wichtigsten Erkenntnisse herausgearbeitet.

1. Maserati & DS sind setzen den Maßstab

Maximilian Günther stellte am Freitag in 1:25.127 Minuten einen neuen Rundenrekord für die Formel E in Valencia auf. Die ganze Woche über war der deutsche Maserati-Neuling ganz vorn dabei und bewies wie schon in der Vergangenheit, dass ihm der Circuit Ricardo Tormo gut liegt. Viel wichtiger war jedoch die Erkenntnis, dass DS Automobiles offenbar einen starken Antriebsstrang gebaut hat. DS und Maserati werden zwar offiziell als zwei Hersteller gewertet, nutzen jedoch die gleiche Hardware.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch das Team DS Penske in Valencia ganz vorn mitspielte. Der Antrieb des PSA-Konzerns war der schnellste auf eine Runde und schien auch auf die Distanz gesehen gut zu laufen. So konnte Günther den McLaren von Jake Hughes im Testrennen am Mittwoch bis zuletzt unter Druck setzen.

"Ich denke, wir sind in einer starken Position", sagt Edo Mortara, dem überraschend vier Zehntelsekunden auf seinen neuen Teamkollegen Günther fehlten. Sein Teamchef, James Rossiter, gibt sich ebenfalls zufrieden: "Diese Woche war ein großer Lernprozess für uns. Zum jetzigen Zeitpunkt sind unsere Ergebnisse sehr positiv, und wir haben bereits eine Menge über die Gen3-Autos und unser technisches Paket gelernt. Wir haben diese Woche das große Potenzial von Maserati MSG Racing und unserer beiden Fahrer gesehen."

Mit geringem zeitlichem Abstand folgte der neue Nissan. Besonders das Kundenteam McLaren konnte bereits jede Menge Pace aus dem Boliden herauskitzeln. "Ich weiß, warum sie zweimal die Meisterschaft gewonnen haben", sagte Formel-E-Rückkehrer Rene Rast am Mittwoch. "Als ich gesehen habe, wie das Team arbeitet und wie die Struktur dahinter ist, hat mir das die Augen geöffnet, um ehrlich zu sein. Sie performen auf einem sehr, sehr hohen Niveau."

Das Nissan-Werksteam muss sich "warm anziehen", um an die viel zitierte Exzellenz des amtierenden Weltmeisterteams - ehemals Mercedes-EQ - heranzukommen. Norman Nato erreichte immerhin die siebtschnellste Zeit der Woche. "Wir haben uns am ersten Tag auf die Abstimmungsarbeit konzentriert und das angewandt, was wir in der Fabrik gelernt haben", erklärt Teamchef Tommaso Volpe. "Am zweiten und dritten Tag haben wir dann versucht, unsere Leistung zu verbessern und konnten einige gute Ergebnisse erzielen."

Platz Hersteller Bestzeit
1 Maserati / DS 01:25.127
2 Nissan 01:25.284
3 Mahindra 01:25.317
4 Jaguar 01:25.388
5 Porsche 01:25.893
6 Nio 333 01:25.966

 

Ebenfalls mit geringem Zeitabstand stellen sich hinter Maserati und Nissan die Hersteller Mahindra und Jaguar an. Alle vier OEMs liegen innerhalb von etwas mehr als zwei Zehntelsekunden. Davon profitieren auch die Kundenteams ABT Cupra und Envision. Dann klafft jedoch eine Lücke: Mit mehr als sieben Zehntelsekunden Rückstand auf Maserati folgen Porsche und - ein weiteres Zehntel dahinter - Nio 333.

Florian Modlinger, Formel-E-Leiter bei Porsche, sieht jedoch keinen Grund zur Panik: "Vier harte Testtage liegen hinter uns. Wir haben unser Programm so durchgezogen, wie es geplant war. Alles in allem war das ein positiver letzter Test, und wir fahren jetzt mit dem Gefühl nach Mexiko, für den Saisonstart gut vorbereitet zu sein. Wo wir im Vergleich zu unseren Wettbewerbern im Endeffekt stehen, werden wir in Mexiko nach dem ersten Qualifying wissen."

Auch wenn die Pace auf eine Runde noch nicht berauschend war - Porsche könnte womöglich Vorteile bei der Effizienz haben, vermutet zumindest Roger Griffiths, Teamchef des Porsche-Kundenteams Andretti: "Was wir anfangs gesehen haben, war, dass das Porsche-Paket sehr gut in Sachen Energieeffizienz war, aber als das Tempo dann ein wenig anstieg, begannen wir zu kämpfen. Ich denke, wenn wir uns mehr auf das Energiemanagement konzentrieren können, das ja die DNA der Meisterschaft ist, dann ist das besser für uns", so der US-Amerikaner bei 'The Race'.

2. Gen3-Auto hat noch viel ungenutztes Potenzial

Auch nach dem vierten Testtag ließ sich festhalten, dass das neue Gen3-Auto trotz 100 kW mehr Leistung und geringerem Gewicht nicht so viel schneller als sein Vorgänger ist, wie es die meisten erwartet hätten. Die möglichen Gründe hierfür haben wir bereits in einem anderen Artikel behandelt. McLaren-Pilot Rast gibt zu bedenken: "Niemand hat bisher die Grenzen ausgelotet, und wir werden im Laufe der Saison noch viele Runden drehen müssen. Nach ein oder zwei Jahren werden wir viel schneller sein. Das Auto selbst war trotzdem sehr schnell, besonders auf einer Vollgasrunde mit 350 kW."

Mahindra-Fahrer Oliver Rowland stimmt ein: "Im Moment sind wir uns noch nicht zu 100 Prozent sicher, wie wir die Feinheiten herausholen können. Es wird spannend zu sehen, wie die anderen Teams und Fahrer im Laufe der Saison aufholen." Auch Max Günther meint: "Es können noch mehr Variablen auf der Softwareseite zusammen mit den Ingenieuren gesteuert werden. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind ziemlich spannend. Das Auto wird auf Straßenkursen schnell sein, weil man viel mehr Leistung hat."

Dazu trägt auch das kompaktere Design des Gen3-Autos bei. Für Formel-E-Routinier Oliver Turvey, der vergangene Woche als Ersatzfahrer bei DS Penske angeheuert hat, ist dies sogar mit dem bloßen Auge erkennbar gewesen: "Man kann sehr deutlich an den Richtungswechseln sehen, dass die Autos viel agiler sind", erklärt er bei 'The Race'.

Der Brite hat jedoch noch eine weitere interessante Beobachtung gemacht: "Eigentlich gibt es keinen so großen Unterschied zwischen 300 und 350 kW, denn prozentual ist er kleiner (als beim Wechsel zwischen Rennmodus und Attack-Mode im Gen2-Auto). "200 bis 250 kW früher waren 25 Prozent, während es bei 300 bis 350 kW prozentual weniger sind (17 Prozent). Der Unterschied, den man spürt, ist also nicht so groß." Das Auto fühle sich jedoch grundsätzlich deutlich schneller an.

3. Haltbarkeit hat sich verbessert, doch Sorgen um fehlende Notbremse bleiben

Nach den zahlreichen Schwierigkeiten bei privaten Testfahrten in den vergangenen Monaten verlief die Woche in Valencia einigermaßen problemfrei. Andretti-Teamchef Griffiths spricht gerade mit Blick auf die Batterie, einst die Achillesferse des Gen3-Autos, von einer "angenehmen Überraschung". Williams Advanced Engineering hatte Anpassungen am Akku vornehmen müssen, nachdem dieser bei privaten Testfahrten reihenweise ausgefallen war.

"Wir waren in der Lage, mit einer Batterie zu fahren, und hatten in dieser Hinsicht nicht wirklich Probleme. Zwar hatten wir - wie viele andere in der Boxengasse - schon auch unsere Schwierigkeiten mit der Batterie, dem Ladegerät oder der Brake-by-Wire-Einheit, aber wir haben Lösungen gefunden, um sie zu umgehen. Vielleicht hatten wir Glück, oder das (Porsche-) Paket, das wir haben, ist von Natur aus zuverlässiger." Auch Pascal Wehrleich meint: "Ich war überrascht, wie zuverlässig der Porsche 99X Electric Gen3 schon ist."

 

Das Thema der Testwoche war jedoch das Bremsversagen am Kundenjaguar von Sebastien Buemi. Wie schon bei mehreren Privattests in den vergangenen Monaten fiel vermeintlich der Motor aus, und damit auch die Heckbremse. Schließlich verzögert das Gen3-Auto hinten ausschließlich über die Rekuperation des E-Motors. So krachte Buemi in die Reifenstapel, blieb dabei aber zum Glück unverletzt. Dennoch schürte der Zwischenfall die Angst vor einem schwerwiegenden Unfall in der kommenden Saison.

Zwar will die Formel E alle Autos mit einer "Notbremse" an der Hinterachse aufrüsten. Diese wird voraussichtlich jedoch erst nach den ersten drei Rennen zur Verfügung stehen. Der Buemi-Unfall hat allen Beteiligten noch einmal die Bedeutung dieser Thematik vor Augengeführt. Und der Formel E einen Denkzettel verpasst, die Entwicklung der Sicherheitsbremse zu priorisieren und zu beschleunigen. Trotzdem bleibt unter dem Strich festzuhalten, dass wir in Mexiko (hoffentlich) kein Batterie-Massensterben oder ähnliches befürchten müssen.

4. Neuling mit Potenzial

Neben Max Günther hat vor allem ein Fahrer kontinuierlich für Aufsehen gesorgt: Jake Hughes. Der einzige echte Rookie der Formel-E-Saison 2023 "gewann" nicht nur das Testrennen am Mittwoch, sondern war mit seinen Rundenzeiten auch sonst stets ganz vorn dabei. Am Ende reichte seine persönliche Bestzeit zu Rang 4 im Wochen-Klassement. Damit war der McLaren-Neuling der Schnellste der vier Nissan-Piloten.

Die Vergangenheit hat uns gelehrt: Große Formel-E-Talente, die sich in der Serie etablierten, waren zumeist vom ersten Tag an "bei der Musik" - denken wir zum Beispiel an Jean-Eric Vergne oder Jake Dennis. Hughes scheint sich sehr schnell auf die Formel E eingestellt zu haben und könnte eine der positiven Überraschungen der Saison 2023 werden. Dabei profitiert er - wie auch Teamkollege Rast - vom hohen operativen Level bei McLaren.

Der zweite - mehr oder weniger - Neue hat sich hingegen eher schwergetan. Sasha Fenestraz hat zwar bereits in Seoul (nicht unbedingt beeindruckend) debütiert, steht jedoch vor seiner ersten vollen Formel-E-Saison. Am Ende der Testwoche reichte seine beste Rundenzeit nur zum vorletzten Platz. Er lag dabei 1,2 Sekunden hinter Rookie Hughes im gleichen Auto.

"Es ist ein anderer Fahrstil gefragt, an den man sich erst gewöhnen muss, aber ich habe mich im Auto wohl gefühlt und konnte meine Leistung gut umsetzen", meint Fenestraz. "Wir hatten ein paar kleine Probleme, aber nichts allzu Ernstes, und ich konnte viel lernen. Es war ein wirklich guter Test und ein wichtiger für mich als Rookie." Warten wir mal ab, wie Fenestraz beim Saisonstart auftritt, wenn es ernst wird.

Die neunte Formel-E-Saison beginnt am 14. Januar mit dem Mexico City E-Prix.

Zurück

0 Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 2 plus 9.
Advertisement