Formel E

Formel E: 5 Dinge, die wir bei den Vorsaison-Testfahrten 2024 in Madrid gelernt haben

Timo Pape

Timo Pape

Fast-Charging-Pitstop-Formula-E-Madrid-Testing

18.512 Kilometer, 4.731 Runden, 21 Stunden Streckenzeit: Trotz der logistischen Herausforderung des Umzugs von Valencia nach Madrid konnten die elf Formel-E-Teams ihre Programme weitestgehend abspulen und sich auf die neue Saison vorbereiten. Die insgesamt sieben Sessions auf dem Circuit del Jarama brachten erste Erkenntnisse über die Kräfteverhältnisse in der neuen Gen3-Evo-Ära, über Technologie und über Fahrertalente.

In diesem Artikel haben wir die fünf wichtigsten Learnings der Vorsaison-Testfahrten der Formel E in Madrid zusammengefasst. Los geht's mit einem echten Kraftakt der Elektroserie.

Formel E wie in guten alten Start-up-Zeiten

Die Formel E hat nach den schweren Regenfällen in Valencia gezeigt, dass sie auch operativ schnell sein kann. Mit einer planerischen und logistischen Meisterleistung schafften es Chief Championship Officer Alberto Longo und sein Team, binnen weniger Tage eine gesamte Testwoche umzuplanen und mehr als 100 Tonnen Material von der Mittelmeerküste ins 355 Kilometer entfernte Madrid zu transportieren. 38 Lkw-Fahrten waren dafür notwendig, heißt es.

Zwar begann die Testwoche dadurch einen Tag später als geplant, aber dass die vier Testtage weitestgehend nach Plan ablaufen konnten, verdient größten Respekt. Die Formel E hat ihren positiven Start-up-Spirit der ersten Meisterschaftsjahre an den Tag wiederentdeckt und als Team zusammengearbeitet.

"Es war aus vielen Gründen eine herausfordernde Woche, aber ich bin sehr stolz darauf, wie unser gesamtes Ökosystem zusammenkam, um diesen Test in Madrid zu ermöglichen", resümiert Longo. Zudem spendete die Serie 50.000 Euro für die Flutregion Valencia.

Pit-Boost funktioniert (weitgehend)

Trotz der logistischen Schwierigkeiten konnte auch die Rennsimulation mit Schnelllade-Boxenstopps am Donnerstagnachmittag stattfinden. Der Attack-Charge wurde in dem Zuge übrigens offiziell in Pit-Boost umbenannt - vermutlich, weil der Attack-Mode auch weiterhin unabhängig vom Aufladen auf der Strecke aktiviert werden könnte. Alle Fahrer mussten einen Boxenstopp mit einer Mindestdauer von 34 Sekunden absolvieren, um zehn Prozent Energie nachzuladen.

Dabei lief fast alles rund, doch kleinere Probleme gab es auch: Nach Informationen von e-Formel.de hatte DS Penske mit einem defekten Kabel am Ladegerät zu kämpfen. Nachdem das erste Auto nicht geladen hatte, probierte es das Team trotzdem beim zweiten Fahrzeug erneut, um ein Problem am Auto auszuschließen. Max Günther kam daher ein zweites Mal an die Box und nutzte diesmal erfolgreich den Ersatz-Charger der FIA. Dieser soll übrigens auch in den Rennen die Ausfalllösung sein.

Darüber hinaus gab es offenbar ein kleineres Problem am Stecker von Nissan, wodurch Norman Nato knapp zehn Sekunden bei seinem Boxenstopp verlor. Unabhängig davon fühlten sich die Boxenstopps wie erwartet recht lang an. Um den Status des Ladevorgangs zu visualisieren, pulsierten die LEDs am Auto in immer schnellerer Frequenz, wie das untenstehende Video zeigt. Ohnehin will die Formel E die LEDs an den Autos mehr nutzen, um u. a. Gelb- oder Rotphasen anzuzeigen.

Aktuell werten FIA und Formel E die Daten der Rennsimulation aus, um endgültig zu entscheiden, inwiefern der Pit-Boost in der kommenden Saison zum Einsatz kommen wird. Nach unseren Informationen ist die realistischste Option, dass die Schnelllade-Boxenstopps jeweils beim zweiten Rennen der fünf "Double-Header" zum Einsatz kommen. Das Debüt wäre demnach der Jeddah E-Prix am 14./15. Februar. Es wird allerdings auch ein Einsatz beim Rennen zuvor in Mexiko diskutiert (11. Januar).

Gen3 Evo macht einen guten Eindruck

Optisch gesehen ist das Gen3 Evo eine wahre Evolution. Besonders in den verschiedenen Lackierungen der Teams ist der Elektrorennwagen - verglichen mit seinem eckigen Vorgänger - ein Hingucker. Vom neuen Allradantrieb, der das Auto beim Start, im Attack-Mode und im Duell-Qualifying in 1,86 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigt, zeigen sich die Fahrer begeistert.

Zu diesem Leistungssprung tragen auch die neuen Reifen von Einheitsausrüster Hankook bei. Sie sind deutlich weicher als zuvor, was zu verbessertem Grip führt. Allerdings auch zu schnellerer Abnutzung. Nach Aussage der Fahrer bauen sie bei den vollen 350 kW Leistung bereits nach einer Runde leicht ab. Die Maximalleistung wird allerdings auch nur in wenigen Situationen abgerufen. Es wird sich zeigen, inwiefern sich die Reifenstrategie künftig über ein E-Prix-Wochenende hinweg verändert.

Alte Bekannte an der Spitze - und Kiro

Sportlich betrachtet sieht es so aus, als wenn Jaguar und Porsche weiterhin diejenigen sein werden, die es zu schlagen gilt. Obwohl es für Teamweltmeister Jaguar die Woche über eher mittelmäßig lief, drehte Mitch Evans am Freitagvormittag kurz vor Schluss noch die schnelle Runde von allen. "Es gibt noch viel zu lernen, was die Leistung angeht", meint Evans. "Aber (...) ich glaube, dass wir das Auto ins richtige Fenster bekommen haben. Wir haben gute Fortschritte gemacht."

Zweite Kraft in Madrid war überraschend Kiro (vormals ERT). Dan Ticktum fehlten nur knapp 1,5 Zehntelsekunden auf die Wochenbestzeit, und auch Überraschungstester David Beckmann überzeugte als Gesamtvierter hinter Weltmeister Pascal Wehrlein. Der junge Deutsche dürfte sich in eine gute Position für ein Stammcockpit gebracht haben.

Der eigentlich ausgediente Porsche-Antrieb im Heck der beiden Kiro-Rennwagen scheint zumindest auf eine Runde genauso schnell zu sein wie das neue Gen3-Evo-Aggregat, mit dem Porsche und Andretti unterwegs sind. Im Rennen wird es aber vor allem auf die Effizienz ankommen, und in dieser Hinsicht lässt sich noch nicht viel zum Vergleich der Porsche-Antriebsstränge sagen.

Auch die Nissan- und Stellantis-Fahrzeuge machten über die Testwoche hinweg einen starken Eindruck. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass alle sechs Hersteller binnen einer Sekunde lagen. Die Verlierer des Vorsaison-Test wären wohl am ehesten die Kundenteams Andretti und Envision, die nicht über die Positionen 16 bzw. 19 hinauskamen. Die elfte Formel-E-Saison dürfte abermals spannend und umkämpft werden.

Abbi Pulling macht auf sich aufmerksam

Der Frauen-Test am Freitagnachmittag war sicherlich eine gute Ergänzung zu den Vorsaison-Testfahrten, denn erstmals waren alle Teams gezwungen, mindestens eine Pilotin ins Auto zu setzen. Die Damen bekamen somit eine gute Bühne, um sich zu präsentieren, wenn auch nur für drei Stunden. Am besten gelang dies der Britin Abbi Pulling, die mit ihrem Nissan mehr als drei Zehntelsekunden schneller war als die dreimalige W-Series-Meisterin Jamie Chadwick - und als alle anderen Frauen.

"Ich denke, dass ich im optimalen Arbeitsfenster des Reifens noch mehr Zeit hätte herausholen können, aber insgesamt bin ich mit der Leistung zufrieden", analysiert Pulling. "Die Rundenzeiten waren stark, was sehr erfreulich ist.  Ich hoffe, dass ich in Zukunft wieder die Gelegenheit haben werde, das Auto zu fahren!"

Letztlich waren Zeitabstände der Frauen zueinander deutlich weiter auseinander als bei den Männern. So lagen nur vier Fahrerinnen innerhalb von einer Sekunde. Neben Pulling und Chadwick waren dies Bianca Bustamante und Miki Koyama.

Vergleicht man die Rundenzeiten zwischen Männern und Frauen, war die Bestzeit der Männer in der ersten Session der Woche "nur" 1,6 Sekunden schneller. Aber: Während Antonio Felix da Costa dabei auf zehn Jahre Formel-E-Erfahrung zurückgreifen konnte, war es für Pulling die erste Session überhaupt im Elektrorennwagen.

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1 Kommentare

EffEll ·

"Ohnehin will die Formel E die LEDs an den Autos mehr nutzen, um u. a. Gelb- oder Rotphasen anzuzeigen."
Das wird aber auch Zeit. Ich fand es wirklich armselig, dass mit der Einführung der Gen3-Fahrzeuge die Anzeige des Attack-Modes nicht mehr möglich war und es die ganze Saison über einfach dabei belassen wurde.
"Vergleicht man die Rundenzeiten zwischen Männern und Frauen, war die Bestzeit der Männer in der ersten Session der Woche "nur" 1,6 Sekunden langsamer. "
Was, "nur"?! Es ist doch schon äußerst beachtlich, dass Pulling dem da Costa mal eben auf Anhieb 1,6 Sekunden abnimmt... ;-)

Dann sind die Holzreifen ja endlich Geschichte! Btw.: Als ich Anfang des Jahres diesen Begriff hier in den Kommentaren benutzt habe, wurde ich von Timo darauf hingewiesen, dass es keineswegs Holzreifen sind und die Nachhaltigkeit im Vordergrund steht. Das war mir jedoch durchaus bewusst. Ich hatte lediglich den Term von Wehrlein aus einem deutschen Interview (O-Ton) von ihm übernommen X-)

Antwort von Tobias Wirtz

Hallo Flo, nur die erste Session miteinander zu vergleichen, kann man machen - man muss dabei aber auch bedenken, dass die Strecke am Dienstag und Mittwoch noch extrem dreckig war, weil vor den Formel-E-Tests zuletzt die Truck-Europameisterschaft dort gefahren ist und die durchaus schon mal etwas mehr Dreck auf dem Kurs verteilen als eine Formelrennserie ;-)

Alleine durch die deutlich saubere Strecke sind die Rundenzeiten am Freitag daher mindestens um eine Sekunde schneller geworden, sagte man mir.

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