Formel-E-Kommentar: Liebes Fernsehen, wo blieb die Leidenschaft?

Tobias Bluhm

Ich will mir nicht anmaßen, mich als Experte in Sachen TV zu bezeichnen. Auch bin ich um Himmels Willen nicht dazu qualifiziert, mich in aufgeplusterten Sätzen über Sendungen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu echauffieren. Ganz sicher gibt es klügere Köpfe als mich, die ganz sicher klügere Dinge schreiben können. Aber immerhin beobachten kann ich. Deswegen folgt jetzt: eine Beobachtung. Und ein Mutmacher für die nächste Formel-E-Saison.
Liebe Leser, lasst mich kurz ausholen: Immer wieder habe ich im letzten Jahr versucht, die Formel E aus der berühmten "Vogelperspektive" zu betrachten. Das ist nicht gerade einfach, wenn man Teil der Redaktion einer Formel-E-Nachrichtenseite ist und in einer Social-Media-Filterblase gefangen ist - aber es ist nicht unmöglich.
In den letzten Monaten beobachtete ich also immer wieder "von außen", wie die Formel E weltweit wächst. Wie es der Plan von Formel-E-Daddy Alejandro Agag vorhergesagt hat, ist die Serie zuletzt tatsächlich aufgegangen wie ein Hefekloß. Gerade in Deutschland, einem der Schlüsselmärkte der Automobilbranche, scheint die Elektroserie derzeit - jedenfalls bei den Automobilherstellern - durch die Decke zu gehen. Ich wage sogar zu behaupten, dass jeder, der sich hierzulande auch nur ein bisschen mit Autorennen beschäftigt, inzwischen schon einmal von der Formel E gehört hat.
Eurosport, Eurosport 2, ARD und ZDF, dazu Sendungen im Schweizer Fernsehen bei SRF zwei und MySports sowie beim österreichischen ORF SPORT+ - in kaum einer anderen Sprache ist das TV-Angebot in der abgelaufenen Saison so groß gewesen wie im Deutschen. Keine Frage, dass diese Bandbreite dem Wachstum der Serie maßgeblich geholfen hat. Doch trotzdem blieb auch in der abgelaufenen Saison jede Menge Potenzial ungenutzt.
Die Schweizer wissen, wie man's macht!
Den Preis für die beste deutschsprachige Übertragung in diesem Jahr bekommt ohne Frage die Schweiz. Mit MySports, einem privaten Bezahlsender mit Sitz im Kanton Zürich, bekommt die Formel E genau das Programm, das sie verdient. Ein gut informierter Moderator führt souverän durch die Sendung im großen und interaktiven Studio, während ein leidenschaftlicher Kommentator, der zwischen Studiogespräch und Renngeschehen immer so entzückend zwischen Schwyzerdütsch und Hochdeutsch tänzelt, gemeinsam mit einem qualifizierten Experten durch die Übertragungen aller Qualifyings und Rennen der Saison führt. Mega!
Auch die Trainings sind im englischsprachigen Kommentar bei der UPC-Tochter verfügbar. Das, was MySports im letzten Jahr auf die Beine gestellt hat, ist ganz großes Damentennis. Einzig der Preis - im Monat sind es etwas mehr als 20 Euro - trennt den Sender von der absoluten Bestnote. Wer auf hohem Niveau meckern möchte, darf auch noch die fehlenden Reporter an der Strecke kritisieren - aber die hat außer Fox Sports sowieso niemand.
Auch die SRF-Übertragung des Zürich E-Prix im Juni, den der Sender mit Manuel König und Marc Surer begleitete, schien mir sehr gelungen, wenngleich ich dank fehlender Muße und Geo-Blocking nur einzelne Ausschnitte der Übertragung bei SRF zwei gesehen habe. Kurzfazit: Die Schweizer wissen, wie man's macht. La Suisse, douze points!
Eurosport ohne Sensationen…
Doch zurück nach Deutschland, wo der Münchener Sportsender Eurosport die Formel-E-Lizenz für alle Rennen der Elektroserie innehat. Nach dem Hin und Her zwischen Eurosport und DMAX in den vorausgegangenen Saisons blieb die Formel E, mit Ausnahme vom Rennen in Zürich, endlich auf einem einzigen Sendeplatz im Eurosport-Hauptprogramm. Das freut nicht nur jeden Fan, sondern auch mich, der den TV-Teil in unseren Rennvorschauen nicht mehr für jedes zweite Rennen umtexten musste.
Die Saison war für Eurosport trotzdem eher durchschnittlich. Es gab keinen absoluten Tiefpunkt - doch die wirklichen Sensationen blieben auch aus. Oft fehlte trotz hochdramatischer Szenen auf der Strecke die Dramatik in den Stimmen der Kommentatoren hinter dem Mikrofon. Highlight der Saison waren ganz ohne Frage die Übertragungen mit Patrick Simon und Oli Sittler, die seit Jahren ein eingespieltes Duo sind, mit ikonischen Stimmen gesegnet wurden und die Materie Formel E verstehen. Besonders Simon, der gelegentlich auch mal lauter werden konnte und regelmäßig unterhaltsame Phrasen ("Der hat den Koffer mal so richtig eingeplankt!") drosch, dabei aber nie unseriös wurde, gefiel mir sehr.
Doch ohne Kritik an der technischen Umsetzung der Sendungen kommt Eurosport nicht aus diesem Text heraus. Einmal ganz abgesehen von der erschütternden Audioqualität der Übertragungen - es klingt tatsächlich stellenweise so, als würde jemand durch einen Joghurtbecher hindurchkommentieren -, frage ich mich doch ernsthaft, was die bezahlenden Eurosport-Player-Zuschauer dem Sender angetan haben, dass sie nicht nur keinen Zugang zum Weltsignal ohne Werbepausen während der Rennen haben, sondern die Übertragungen vor allem stellenweise erst nach Rennbeginn ins Wohnzimmer geliefert bekommen. Und dann auch noch mit einer unerträglichen Verzögerung von teilweise 40 Sekunden. Zählt das überhaupt noch als "Live-Fernsehen"? Eurosports Formel-E-Jahr lässt sich wohl am besten mit den Worten vom Dichter und Denker Kimi Räikkönen zusammenfassen: "Bwoah."
… ARD ohne Emotionen
In den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern bot sich leider noch ein düstereres Bild. Selbstverständlich ist es sensationell, dass sich sowohl das Erste als auch das ZDF für die Formel E interessieren und für teures Geld Sublizenzen von Eurosport gekauft haben. Und selbstverständlich ist es klar, dass die erste Übertragung eines Rennens wohl immer noch weit von einem Glanzstück der TV-Geschichte entfernt ist. Trotzdem hatte ich nach beiden Rennen in den öffentlich-rechtlichen Sendern das flaue Gefühl, welches man am dritten Tag ohne Zähneputzen auf der Zunge hat. Nur am ganzen Körper.
Angefangen mit der ARD, die nach dem Elfmeterschießen im Frauen-Finale des DFB-Pokals mit einer Viertelstunde Verspätung in die Sendung startete und gerade so rechtzeitig zum Rennstart nach Berlin-Tempelhof schaltete. Wegen der Wichtigkeit des Events - Fußball hat nun mal in Deutschland Vorrang - sei das geschenkt.
Durch die Verspätung musste Kommentator Philipp Sohmer die Hintergrunderklärungen, die sich Claus Lufen so schön zurechtgelegt hatte, übernehmen. Keine Frage, dass da auch das Renngeschehen in Teilen in den Hintergrund treten musste. Ebenfalls geschenkt. Dass der Berlin E-Prix aber zum bewegten Desktop-Hintergrund für das ausschweifende E-Mobility-Geblubber von Co-Kommentator Heinz-Harald Frentzen wird, war vorsichtig ausgedrückt enttäuschend.
Der ARD-Übertragung fehlten wie schon zu DTM-Zeiten die Emotionen, der Esprit und die brennende Leidenschaft für den Motorsport. Und das, obwohl Daniel Abt - gerade als Frentzen irgendwas von induktivem Laden erzählte - das Rennen seines Lebens fuhr und auf den Sieg beim Heimrennen zustürmte.
Da die Formel E ohnehin schon von vielen kritisch beäugt wird, tat die - es tut mir leid - langweilige ARD-Übertragung der Elektroserie nicht unbedingt gut. Aufmerksamkeit bekam die Elektroserie allemal, es schalteten immerhin 1,46 Millionen Zuschauer - Rekord-TV-Kulisse - ein, doch die Übertragung wurde den Emotionen, die uns in Berlin geboten wurden, nicht gerecht und wirkte auf mich aus meiner Vogelperspektive eher abtörnend.
2018: Da, wo nur ein Stream gleichzeitig geht
Besser lief es da im Zweiten Deutschen Fernsehen, das für das Saisonfinale in New York einen Live-Stream im Internet anbot. Aris Donzelli ist zwar ebenfalls kein derart leidenschaftliches Bündel wie der Kommentator aus dem britischen TV, der hinter dem Mikrofon regelmäßig wie Rumpelstilzchen im Kreis springt. Aber wenigstens schaffte er es, den Fokus halbwegs beim Renngeschehen zu halten.
Schade nur, dass das ZDF den geplanten Samstags-Stream wegen des Wimbledon-Finales kurzfristig und ohne Ankündigung aus dem Programm strich und Formel-E-Fans somit ins Leere laufen ließ. Na klar, der Sieg von Angelique Kerber war schon eine tolle Sache ("ganz großes Damentennis"). Aber das erklärt noch lange nicht, warum man als öffentlich-rechtlicher Fernsehsender in 2018 nur einen Live-Stream zur gleichen Zeit anbieten kann. Noch dazu war das Finale drei Stunden (!) vor dem Formel-E-Lauf beendet. Falls ihr da mehr wisst als ich: Ich werde sehr gerne in den Kommentaren aufgeklärt! Das ZDF legte uns den Gedanken nahe, man habe keinen Kommentatorenersatz gehabt. Hätte man aber haben können, denn die Chancen auf einen deutschen Tennis-Sieg standen immerhin bei gut 50 Prozent.
Sehr gut gefiel mir der Beitrag in der ZDF SPORTextra-Sendung am Sonntag, in dem irgendwo zwischen Triathlon und Rudern in bester sportstudio-Manier der ausgefallene Stream vom Vortag in zehn Minuten zusammengefasst wurde.
Mehr Spannung in der Übertragung
Was die Formel E im nächsten Jahr braucht, ist eine lange, gut recherchierte, emotionsgeladene und mitreißende Formel-E-Übertragung. Wir Deutschen haben die Angewohnheit, dass wir sehr lange brauchen, bis wir uns an neue Dinge gewöhnen - aber wenn wir erst einmal warm mit einer Sache geworden sind, dann sind wir vor lauter Herzblut nicht mehr von der Sache fernzuhalten.
Damit das erträumte Wachstum von Cheffe Alejandro Agag also noch zusätzlich katalysiert wird, benötigen die Formel-E-Übertragungen in der nächsten Saison einen ordentlichen Schuss Emotion. Selbstverständlich sind auch Hintergrundinfos, Sachlichkeit und Co. von großer Wichtigkeit. Auch das induktive Laden lasse ich mir gern noch einmal erklären. Aber wenn es eines Tages an den Rennkursen ähnliche Gefühlsausbrüche wie nach dem Vettel-Ausfall auf der Innentribüne in Hockenheim geben soll, braucht es deutlich mehr Leidenschaft in den TV-Übertragungen.
Inmitten all dieser Kritik ist es übrigens leicht zu vergessen, dass die Formel E gerade einmal ihr viertes Jahr beendet hat. Jetzt schon Übertragungen in den öffentlich-rechtlichen Sendern Deutschlands und der Schweiz zu bekommen, ist eine herausragende Errungenschaft für die junge Elektroserie, für die ich auch die Sender loben möchte. Aber es gibt eben - und das wollte ich in meinen letzten 1.400 Worten eigentlich sagen - noch jede Menge ungenutztes Potenzial.
Immerhin: Das Formel-E-Rennen hat den öffentlich-rechtlichen Sendern offenbar Spaß gemacht, zumal die DTM weg ist. Hinter den Kulissen sollen bereits Gespräche über weitere Übertragungen stattgefunden haben. Schließlich verabschiedete sich auch Kommentator Donzelli mit den Worten "Und vielleicht gibt's im nächsten Jahr (bei uns) noch mehr" aus seiner Sendung. Zu hoffen wäre das allemal. Denn wenn das ZDF oder die ARD die Elektroserie tatsächlich häufiger und tiefgründiger bringen würden, wäre der Siegeszug der Formel E in Deutschland wohl kaum mehr aufzuhalten.
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