Formel E

Formel E: Homologationsprozess für Gen3 gestartet, neuer Porsche-Antrieb absolviert "etliche Renndistanzen" auf Prüfstand

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Porsche-Car-Formula-E-Valencia-Preseason-Test

Die Formel E steckt mitten in ihrer Saison 2022, doch die Vorbereitungen für das nächste Motorsportjahr laufen bereits auf Hochtouren. Nachdem die Hersteller in den vergangenen Monaten ihre Antriebspakete für die erste Gen3-Saison entworfen haben, nimmt der Homologationsprozess der Aggregate in diesen Tagen Fahrt auf. Bei Porsche läuft der neue Antrieb bereits erfolgreich auf dem Prüfstand.

Mit der Homologation stellt der internationale Automobil-Dachverband FIA sicher, dass alle Formel-E-Antriebsstränge den Vorgaben des Regelwerks entsprechen. Hierzu zählen einerseits technische Eckdaten der Motorenpakete, andererseits aber auch sicherheitsrelevante Eigenschaften. Der Begriff hat seinen Ursprung im Altgriechischen, wo "homologein" so viel wie "einverstanden sein" beziehungsweise "übereinstimmen" heißt.

In der Formel E dürfen die Konstrukteure alle zwei Jahre einen neuen Antrieb entwerfen. Der Prozess für die Homologation zur Saison 2022/23 begann schon vor rund drei Monaten während der offiziellen Vorsaison-Testfahrten für 2022. Zu diesem Zeitpunkt mussten alle Hersteller die Testbatterien und -chassis bei den FIA-Zulieferern Williams Advanced Engineering und Spark Racing Technologies bestellen.

Porsche-Antrieb läuft auf dem Prüfstand, Jaguar arbeitet "seit 1,5 Jahren" an Gen3-Paket

In der zweiten Januarwoche 2022 reichten die Konstrukteure schließlich ihre formellen Homologationsbewerbungen bei der FIA ein, woraufhin sie Anfang Februar auch die für den Rennbetrieb benötigten Batterien und Chassis bestellen durften. Nicht zu verwechseln ist die Homologationsbewerbung mit der Herstellerbewerbung: Die Frist für die Einschreibung als Formel-E-Konstrukteur lief bereits im März 2021 ab.

Die Antriebsentwicklung selbst läuft bei einigen Herstellern aber schon deutlich länger. "Wir arbeiten sehr hart daran, unsere Gen3-Komponenten zu entwickeln", erläutert Jaguars Technikchef Phil Charles gegenüber 'e-Formel.de'. "Es gibt einige starke Teams und Hersteller in dieser Meisterschaft, weshalb wir unsere Konkurrenz nicht unterschätzen dürfen. Deshalb widmen wir uns seit über eineinhalb Jahren den Eigenschaften des Gen3-Autos."

Und auch bei Porsche nehmen die Vorbereitungen Fahrt auf. Gesamtprojektleiter Florian Modlinger erklärt gegenüber 'e-Formel.de': "Der im letzten Jahr zeitlich sehr straff aufgesetzte interne Plan verläuft nach unseren Vorstellungen und wird von unserer Entwicklungsmannschaft eingehalten. Unser Antrieb wird bereits seit Ende letzten Jahres auf dem Prüfstand betrieben und hat schon etliche Renndistanzen absolviert."

Homologation erklärt: FIA-Präsentationen bereits ab nächster Woche

Hinter den Kulissen läuft zugleich auf Seiten der FIA die erste formelle Überprüfung aller Gen3-Fahrzeugprojekte. Neben Jaguar und Porsche stammen diese - zumindest für den ersten Homologationszyklus der Saisons 2022/23 und 2023/24 - von den Konstrukteuren Mahindra, Nissan, DS Automobiles/Maserati und Nio 333. Zunächst nahm auch Penske Autosport, der Hersteller hinter dem Dragon-Team, den Einschreibungsprozess auf. Die US-Amerikaner zogen die Bewerbung laut Medienberichten inzwischen aber wieder zurück.

Spätestens in der kommenden Woche (KW 10) lädt die FIA ihre Konstrukteure zu einer offiziellen Präsentation der Antriebsstränge ein. Bei diesem Meeting stehen die technischen Eigenschaften der Antriebspakete im Vordergrund. In der letzten Märzwoche (KW 13) überprüft die FIA ein zweites Mal die vorgeschlagenen Projekte der Hersteller. Zeitgleich bereiten die Konstrukteure ihre privaten Testfahrten vor, die sie zwischen dem 1. Mai 2022 und 31. Dezember 2023 durchführen dürfen.

Hersteller-Testfahrten beginnen im Mai 2022

"Die ersten Baustufen des kompletten Triebstrangs stehen bereits bei uns im Entwicklungszentrum zur Verfügung", erklärt Modlinger weiter. "Wir freuen uns sehr auf die anstehenden Tests Mitte des Jahres und gehen im Moment von einer Einhaltung unseres Zeitplans aus."

Die Tests sind pro Hersteller auf zwölf Tage limitiert, jeder mit einer Länge von höchstens zwölf Stunden zwischen 06:00 und 20:00 Uhr Ortszeit. Insgesamt dürfen die Konstrukteure nicht mehr als 3.300 kWh Energie bei den Tests verbrauchen. Diese Regeln haben einen kuriosen Hintergrund: Vor einigen Jahren reiste das Audi-Kundenteam Virgin (inzwischen: Envision) im Sommer zu einem Testtag nach Norwegen, um dort vom späten Sonnenuntergang zu profitieren und "länger" zu testen. Die strengeren FIA-Fristen sollen diesem Einfallsreichtum einen Riegel vorschieben.

Übrigens: Beliefert ein Konstrukteur mehr als ein Team, steigt das Testkontingent um acht Tage. Mindestens die Hälfte dieser Zusatztage stehen dem Kundenteam zur Verfügung, sollte es darum bitten. Der künftige Jaguar-Kundenrennstall Envision Racing kann in diesem Jahr also mindestens vier Testtage mit dem neuen Aggregat bestreiten, darf dabei aber ebenfalls nicht mehr als 2.200 kWh Energie verbrauchen.

Die Testfahrten finden dabei stets mit einem noch nicht homologierten Fahrzeug statt. Denn erst in der 25. Kalenderwoche 2022, kurz vor dem Vancouver E-Prix, wird die Abgabe von ausgefüllten Formularen zur Sicherheit der Antriebe fällig. Die Crashtests müssen spätestens in der KW 30 dieses Jahres abgeschlossen sein, also in den Tagen unmittelbar vor dem London E-Prix.

"Der interne Prozess zur Vorbereitung der Homologation und die Abarbeitung der geforderten und auch selbst gesetzten Meilensteine laufen im Moment nach Plan", betont Modlinger, der in der zweiten Jahreshälfte mit der finalen FIA-Inspektion rechnet. Überstehen die Hersteller auch diese Untersuchung im September/Oktober 2022, muss die FIA dem Antrag zur Homologation des Antriebspakets spätestens in der KW 41 zustimmen.

Der abschließende Katalog, der alle Dokumente zur Bauweise und Sicherheit des Autos umfasst, muss dann in der KW 42 bei der FIA eingereicht werden, also spätestens bis zum 23. Oktober 2022. Erst wenn dieser Katalog vorliegt, gilt das Fahrzeug für die nächste Saison als offiziell homologiert.

Übersicht: Die Homologationsfristen der Formel-E-Hersteller

Zeitpunkt* Was passiert?
KW 48 (2021) Hersteller bestellen Testbatterie & -chassis
KW 2 (2022) Übermittlung der offiziellen Homologationsanfrage an die FIA ("H1-Formular")
  Überweisung der Registrierungsgebühr (300.000 Euro) - bis zum 15. Februar auf FIA-Konto
KW 5 Hersteller bestellen Rennbatterie & -chassis
KW 9 1. FIA-Überprüfung des Herstellerauto-Projekts
KW 10 Herstellerpräsentation in Meeting mit der FIA (Eigenschaften des Antriebs)
KW 13 2. FIA-Überprüfung des Herstellerauto-Projekts
KW 17 (ab 1. Mai 2022) Beginn der Hersteller-Testtage
KW 25 Übermittlung des ausgefüllten Fragebogens zur Crashtest-Prozedur
KW 26 Präsentation des Homologationsformulars (vorläufiger Entwurf)
KW 30 Ende der Crashtests
KW 39/40 Finale Homologationsinspektion der FIA
KW 41 FIA stimmt Homologationsantrag zu
KW 42 Übermittlung des finalen Katalogs mit Angaben zum Herstellerauto

* das FIA-Regelwerk gibt nur die Kalenderwochen als Frist vor

Jaguar-Mann Phil Charles gibt sich angesichts des derzeitigen Entwicklungsfortschritts optimistisch: "Bislang sind wir sehr zufrieden mit unseren Modellen und Optimisierungstools", so der Brite. "Wir sind uns sicher, dass sie uns in eine gute Entwicklungsrichtung geführt haben. Im Mai geht es dann das erste Mal mit dem Testfahrzeug auf die Strecke."

Unvorhergesehene Probleme habe es seitens Jaguar bislang nicht gegeben. "Aber die Änderungen vom Gen2- zum Gen3-Wagen sind nicht zu unterschätzen. Das Fahrzeug ist leichter, es gibt 100 kW mehr Leistung an der Hinterachse und erstmals Rekuperation an der Vorderachse. Wir müssen in den ersten Testtagen also vorsichtig unser Programm durchlaufen, während wir die zusätzliche Performance des Gen3-Pakets erforschen."

Porsches Technischer Projektleiter, Martin Füchtner, präzisiert: "Zum Beispiel bezüglich des Fahrzeuggewichts haben sich die Hersteller und FIA hohe Ziele gesetzt. Um diese zu erreichen, sind wir neue Wege beim Gesamtkonzept, technologischen Lösungen und Fertigungstechniken gegangen. Das Gen3 ist ein sehr ambitioniertes Fahrzeug."

Gen3-Vorsaisontests spätestens im November 2022

Die Entwicklung der neuen Antriebspakete stellt die Konstrukteure der Formel E nicht nur vor eine technische Herausforderung, sondern auch vor eine personelle. Bereits in den vergangenen Jahren stellten Jaguar, Nissan und Co. eigene "Entwicklungsteams" mit Mitarbeiter:innen ab, die ausgegliedert aus dem Tagesgeschäft des Rennteams die Antriebsstränge entwickelten.

Wie gut die Hersteller auf diese Herausforderung reagieren, wird sich wohl erst im Spätherbst 2022 zeigen. Spätestens in der ersten Novemberwoche - voraussichtlich aber etwas früher - soll auch in diesem Jahr ein kollektiver Vorsaison-Test in Valencia stattfinden, bei dem sich medienöffentlich alle Hersteller mit ihren neuen Gen3-Fahrzeugen eine Strecke teilen.

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