Formel E im Krisenmodus: Porsche kündigt Beschwerde gegen Wehrlein-Disqualifikation an, Agag entschuldigt sich bei den Fans
Tobias Bluhm
Pascal Wehrlein ist der "Pechvogel" des Formel-E-Wochenendes in Puebla: In beiden Mexiko-Rennen erreichte er das Podium, wurde jedoch nach beiden E-Prix durch Strafen aus den Top 3 gespült. Porsche hat inzwischen angekündigt, eine offizielle Beschwerde gegen Wehrleins Disqualifikation im Samstagsrennen einzulegen. Mit einer Entschuldigung bei den Fans versucht Alejandro Agag indes, die Wogen zu glätten.
Die FIA-Stewards begründeten die Entscheidung mit einem Formfehler des Teams aus Weissach. Porsche habe Wehrleins Reifensatz vor dem Rennen nicht bei der FIA angemeldet, heißt es. Michelin konnte somit, so die FIA-Argumentation, "nicht die notwendigen Reifendrücke messen."
Porsche plant inzwischen, gegen diese Entscheidung rechtlich vorzugehen. Noch in dieser Woche will das Team mit der Zusammenstellung von Argumenten beginnen, um eine formale Beschwerde beim FIA-Berufungsgericht in Paris einzureichen.
"Wir werden Protest einlegen, weil wir der Meinung sind, dass die Strafe unter diesen Umständen zu schwerwiegend war", erklärt Porsches Teamchef Amiel Lindesay bei 'Autosport'. "Das Auto fuhr (durch die nicht deklarierten Reifen) nicht schneller. Es handelt sich dabei um einen administrativen Fehler auf unserer Seite, für den wir Verantwortung übernehmen. Aber die Performance des Fahrzeugs wurde davon nicht beeinträchtigt, der Ausgang des Rennens wäre derselbe gewesen."
Technischer Fahrzeugpass als Disqualifikationsgrund
Offenbar hatte Porsche den korrekten Reifensatz in das Kommunikationssystem mit der FIA eingetragen, die Eingabe jedoch nicht mit einem Mausklick bestätigt. Der Technische Fahrzeugpass, der digital gespeicherte Informationen zu den eingesetzten Fahrzeugen enthält, war somit nicht vollständig.
Schon in der Vergangenheit führten ähnliche bürokratische Unaufmerksamkeiten zu Disqualifikationen in der Formel E. Unvergessen ist ein Zwischenfall mit Beteiligung des damaligen Audi-Fahrers Daniel Abt, der seinen ersten Formel-E-Sieg in Hongkong 2017 aufgrund einer falschen Inverter-Kennnummer im Wagenpass verlor. Erst vor wenigen Wochen führte ein Zahlendreher im Pass zur Aberkennung von Stoffel Vandoornes Pole-Position in Valencia.
Die aktuellen Vorgaben im Technischen Wagenpass müsse sich die FIA "ansehen", findet Lindesay. "Ich habe mit der FIA gesprochen. Das ist etwas, das wir als Gruppe bearbeiten sollten, sodass solche Dinge nicht über den Ausgang der Meisterschaft entscheiden. So etwas sieht einfach nicht gut (für die Formel E) aus. Wir werden uns das in der Sportlichen Arbeitsgruppe ansehen und finden hoffentlich eine Lösung, bei der solche Fehler keinen Effekt auf das Resultat haben."
Agag versteht Frust der Fans: "Hätte vor Wut jemanden umbringen können!"
Die Elektroserie schaltete vor dem Hintergrund der zahlreichen Fan-Beschwerden schon am Sonntag in den kommunikativen Krisenmodus. Alejandro Agag, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Serie, gab dem englischsprachigen TV-Weltsignal ein Interview und schlug sich auf die Seite des Publikums.
"Ich war sehr wütend, weil ich echten Motorsport liebe. Pascal und Porsche haben eine fantastische Show geliefert, deswegen war ich selbstverständlich nicht damit einverstanden, dass sie nicht gewinnen", pflichtet Agag vielen Fans bei. "Wir müssen daraus Lehren ziehen, und das machen wir auch."
"Wir müssen uns ebenso bei den Fans entschuldigen, denn sie konnten nicht wissen, was passiert ist. Die Erkenntnis aus diesem Vorfall ist simpel: Alle müssen vor dem Rennen sicherstellen, dass sie die richtigen Reifen montiert haben. Das ist alles. Jetzt versteht ihr, warum ich gestern so wütend war. Ich hätte jemanden umbringen können!"
Dass Wehrlein ausgerechnet am Sonntag ein zweites Puebla-Podium durch eine Strafe verlor, sorgte wohl auch bei Agag für erneuten Unmut. Der Deutsche wurde für einen "unzureichenden FANBOOST-Einsatz" mit einer 5-Sekunden-Zeitstrafe belegt.
Durch einen geringen Akkustand gab sein Motor nicht die erforderliche Mindestleistung von 240 kW ab und nutzte nicht die vollständige FANBOOST-Energie (100 kJ), was einen Verstoß gegen Artikel 37.4 b) des Sportlichen Reglements darstellte.
Die Strafe warf Wehrlein vom zweiten auf den vierten Rang zurück. In der Fahrerwertung rutscht er durch den Punkteverlust auf Platz 12 ab und steht somit auf derselben Position, die er schon vor dem Puebla-Wochenende belegte. Porsche ist in der Gesamtwertung der Teams nur noch Neunter.
Meinung von Tobias Bluhm: Zeit, dass sich was dreht
In der Causa Wehrlein blieb den FIA-Stewards nur wenig Handlungsspielraum. In Artikel 25.6 des Sportlichen Reglements heißt es wörtlich: "Die Nutzung von Reifen ohne die angemessene Identifikation kann zu einer Strafversetzung oder zur Disqualifikation vom Rennen führen."
Zwar beinhaltet dieser Passus das Wort "kann", gibt den Stewards statt einer Handlungsanweisung also nur eine Handlungsempfehlung. Aufgrund vorhergehender Entscheidungen (z. B. Vandoorne in Valencia 2021) blieb den Regelhüter:innen jedoch keine andere Wahl, als den Porsche-Fahrer zu disqualifizieren.
Der Schuldspruch war, bei allem Verständnis für den damit ausgelösten Frust, alternativlos. Der Deutsche hätte theoretisch genauso gut mit Formel-1-Slicks oder Fahrradreifen am Rennen teilnehmen können. Diskussionen über Regeländerungen gleichen somit dem Versuch, nach einem verschossenen Elfmeter eine Verlegung der Torpfosten zu fordern.
Dennoch teilen im Fahrerlager der Elektroserie inzwischen viele die Meinung, dass sich die Formel E keinen Gefallen damit tut, wenn in jedem zweiten Rennen reihenweise Fahrer bestraft und die Ergebnistabellen mehrere Stunden nach der karierten Flagge geändert werden.
Vor den Fernsehbildschirmen erlebten Millionen Fans zum wiederholten Male, wie einem Fahrer, der trotz des Regelverstoßes weder schneller noch effizienter fahren konnte, der Sieg aufgrund eines Formfehlers entrissen wird. Ohne das Wissen zu den Details des Regelwerks gleicht dies einer zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit.
Auch in unseren Kommentarspalten häuften sich die Beschwerden über die Strafenkultur in der Formel E. Ein Twitter-Nutzer bringt den Frust auf den Punkt: "@FIAFormulaE, niemand interessiert sich für Strafen wegen Overpower-Spikes, falschen Reifennummern und ungültigen FANBOOST-Einsätzen. Ihr sorgt für gutes Racing, begeht mit diesen lächerlichen Regeln aber Selbstmord. Hört auf, Leute aus Gründen zu disqualifizieren, die uns egal sind!!"
#FormulaE @FIAFormulaE no one cares about overpower spike penalties for going over a bump,incorrect tyre numbers,or fanboost invalid uses. You're producing great racing then committing suicide with these rediculous rules! Stop disqualifying people for stuff we don't care about!!
— FE GeEK (@FormulaEgeek) June 21, 2021
Ich verstehe diesen Ärger gut, zumal Wehrleins Ausschluss vom Samstagsrennen schon die 19. (in Worten: neunzehnte!) Disqualifikation eines Fahrers in der Gen2-Ära ist. Übrigens wurden aus demselben Grund auch Andre Lotterer und die zwei Nissan-Piloten disqualifiziert. Die Stewards agierten in allen vier Fällen richtig, weshalb ich Porsches Protest nur geringe Chancen einräume. Trotzdem heißt das nicht, dass die im Fall der Disqualifikation angewendete Regel nicht hinterfragt werden sollte.
Die drakonische Maßnahme gegen den 26-Jährigen reiht sich in eine lange Liste kontroverser Situationen in dieser Saison ein. Zum Beispiel wurden Vergne und Cassidy in Diriyya bestraft, weil sie wegen einer roten Flagge ihren zweiten Attack-Mode nicht nutzen konnten. Im Qualifying setzte Sette Camara seinen Dragon-Renner in die Mauer, bestraft wurden aber die hinter ihm fahrenden Autos, weil sie die gelben Flaggen ignorierten. Einen zweiten Versuch für ihre Qualifying-Runden hätten sie allerdings auch nicht bekommen, weil die Session nicht abgebrochen wurde. Oliver Rowlands Runde in der Monaco-Super-Pole wurde nicht gewertet, weil er es, 60 Sekunden nachdem die Rennleitung den Startzeitpunkt der Super-Pole bekannt gab, nicht schaffte, die Boxengasse rechtzeitig zu verlassen.
All diese Strafen fußen auf einem Paragraphen im Regelwerk und wurden somit vollkommen zurecht ausgesprochen. Das interessiert den/die Gelegenheitszuschauer:in aber nicht. Bei vielen Fans bleibt nur das Unverständnis über die extremen Strafen hängen, die den sportlichen Wettkampf zum wiederholten Male in den Hintergrund drängen.
Vielleicht wäre es deshalb gar nicht so unklug - im Interesse der Fans - im Regelwerk der nächsten Saisons hier und da über eine kleine Versetzung der Torpfosten nachzudenken.
2 Kommentare
Florian ·
Ich halte es für vollkommen richtig!
Regeln sind da um die Formel sicher und fair zu gestalten.
Ich finde bevor man die „Schiris“ wieder die Schuld geben sollte.
Sollte man überlegen warum kommt es im Fahrerlager zu solchen grotesken Fehlern.
Warum ein Fahrer mit einer Formel Lizenz nicht in der Lage ist sofort auf gelbe Flaggen zu reagieren.
Oder warum Ingenieure es nicht gebacken bekommen ihr Papierkram auf die Reihe bekommen.
Wenn ich meine Dokumente nicht zum richtigen Zeitpunkt abgebe bin ich auch mit Verwarnung oder Kündigung bestraft.
Und wenn wir schon richtig gesagt wurde Torpfosten verbreitet werden dann sehen die Tore bald so aus das sie von der Mittellinie starten und bis zur Seitenlinie vergrößert werden.
So lächerlich wie es klingt. Die Teams müssen sich ihrer Verantwortung zum Rennstall und zur Rennserie langsam bewusst werden.
Wenn sie nicht langsam mit dem Ernst wie WEC ,WRC oder F1 rann gehen dann Schaufeln sie tatsächlich ihr eigenes Grab
Und ich würde es schade finden denn soviel Action und Ausgewogenheit sieht man selten im Motorsport
dvdl ·
"Der Deutsche hätte genauso gut mit Formel-1-Slicks oder Fahrradreifen am Rennen teilnehmen können. Diskussionen über Regeländerungen gleichen somit dem Versuch, nach einem verschossenen Elfmeter eine Verlegung der Torpfosten zu fordern."
Mit Verlaub: Was für ein Unsinn!
Wenn man während des Rennens bemerkt, dass ein Teilnehmer auf einem nicht gemeldeten Reifensatz unterwegs ist, schaut man sich den bei Rennende sofort an. Dabei würden die "Formel-1-Slicks" wohl auffallen (abgesehen davon, dass weder die, noch die "Fahrradreifen" in der Formel E einen Vorteil bringen dürften).
Das Team dann gleich zu disqualifizieren ist jedenfalls immer unsportlich, auch schon in dem Fall, dessentwegen man jetzt nicht anders konnte.
Hinzu kommt, dass bei der Meldung über ein elektronisches System feststellbar sein dürfte, ob und wann die Meldung eingegeben wurde, auch wenn es versäumt wurde, sie explizit abzuschicken.
Im Übrigen müsste mir mal jemand erklären, wozu es im Reglement eine Untergrenze für die Nutzung des Fanboosts gibt. Damit man - wie im Falle von Pascal Wehrlein - Fahrer für etwas kann, das ihnen sowieso nur zum Nachteil gereicht?
Antwort von Tobias Bluhm
Hi dvdl! Ich befürchte, da ist die Ironie etwas untergegangen: Dieser Absatz war selbstverständlich nicht wörtlich sondern sinnbildlich gemeint. Natürlich ist das Unsinn - das soll es auch sein. ;) Rein praktisch hätte ein anderer Reifentyp einen Unterschied gemacht, das ist richtig. "Rechtlich" betrachtet wäre es bei der FIA-Untersuchung aber egal gewesen , ob Wehrlein nun mit nicht nicht deklarierten, und damit im übertragenen Sinn "illegalen", Gummis in der FE-Homologation oder mit vier Schubkarrenreifen antritt: Er wäre in jedem Fall disqualifiziert worden.
Die Mindestleistung beim FANBOOST gibt es, weil die FE dafür sorgen will, dass er tatsächlich als kurzer Schub für wenige Sekunden eingesetzt wird. Sonst könnte man die 100 kJ Zusatzenergie auch sehr langsam mit 210 kW verfeuern, wobei der Fahrer einen längeren (aber nicht so deutlichen) Vorteil hätte. Ich hoffe, das hilft weiter. :)
LG Tobi
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