Formel E

Hongkong: DS Techeetah legte Protest wegen "zu milder Strafe" für Bird ein

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Nach einer langen Zeit des Wartens für Fahrer, Teams und natürlich auch die Fans gab die FIA rund vier Stunden nach dem Formel-E-Rennen am Sonntag in Hongkong offiziell die Entscheidung der Rennkommissare zum rennentscheidenden Zwischenfall bekannt. Der in Führung liegende Andre Lotterer hatte einen Reifenschaden hinten rechts erlitten, nachdem Sam Bird ihn beim Anbremsen von Kurve 2 getroffen hatte. Dadurch fiel der Duisburger auf Platz 14 zurück. Statt mit 26 Punkten für Sieg und schnellste Rennrunde stand Lotterer am Ende mit leeren Händen da. Im Interview hatte er die Aktion anschließend als "ekligen Move" bezeichnet.

Eine nachträglich ausgesprochene Zeitstrafe von fünf Sekunden sorgte dafür, dass Bird nur als Sechster gewertet wurde und Edoardo Mortara den Sieg erbte. Überraschend war jedoch, dass auch nach der Bekanntgabe der Strafe das Rennergebnis weiterhin als "provisorisch" deklariert war. Im Hintergrund spielte sich nämlich noch etwas anderes ab: DS Techeetah legte Protest gegen das Rennergebnis ein. Begründung: Die Strafe gegen Sam Bird sei zu milde ausgefallen. Die Rennkommissare wiesen den Protest jedoch ab. Bird bleibt somit Sechster und übernahm mit einem Punkt Vorsprung die Führung in der Fahrerwertung.

Zum regeltechnischen Hintergrund: Laut §17 des sportlichen Regelwerks der Formel E ist es nicht möglich, gegen Entscheidungen der Rennkommissare Protest einzulegen, bei denen eine Zeitstrafe, Durchfahrtsstrafe, Verwarnung oder Strafversetzung ausgesprochen wurde. Dies ist in etwa mit einer Tatsachenentscheidung eines Fußball-Schiedsrichters zu vergleichen: Nach einem Spiel kann eine wegen einer Fehlentscheidung gezeigten rote Karte gegen einen Spieler auch nicht mehr zurückgenommen werden, da die Mannschaft ohne ihn ja das Spiel fortsetzen musste. Lediglich auf eine Spielsperre könnte in diesem Fall verzichtet werden.

DS Techeetah umging die Regelung in Paragraph 17, indem der Protest also nicht gegen die Entscheidung der Rennkommissare, sondern gegen das gesamte Rennergebnis eingelegt wurde. Womit auch klar wäre, warum trotz der Bekanntgabe von Birds Strafe das Rennergebnis weiterhin provisorisch blieb. Um 21:07 Uhr Ortszeit fand dann eine Anhörung bei den Rennkommissaren statt, an der David Clark (Teammanager DS Techeetah), Pedro de la Rosa (sportlicher Berater DS Techeetah), Leon Price (Teammanager Envision Virgin Racing) und Alex Yoong (Berater der Rennkommissare) teilnahmen. Sollte jemandem der letzte Name bekannt vorkommen: Yoong fuhr 2001 und 2002 insgesamt 14 Rennen für Minardi in der Formel 1.

Die Entscheidung der Rennkommissare im Detail

In einem dreiseitigen Dokument der Rennleitung wird die 48 Minuten lange Anhörung dargestellt und der Protest vollständig abgehandelt. Nachdem die formale Korrektheit des Protestes festgestellt wurde, brachte de la Rosa folgende Punkte vor:

  1. Eine Zeitstrafe von fünf Sekunden für Bird sei zu milde.
  2. Es kam bereits vor der entscheidenden Kollision zu mehreren Kontakten der beiden Fahrzeuge.
  3. Lotterer fuhr im gesamten Rennen eine gleichbleibende Rennlinie.
  4. Lotterer bremste in dieser Runde nicht früher als in anderen Runden.
  5. Lotterer führte das Rennen vor dem Unfall 28 Runden lang an.
  6. Bird habe die Rennlinie und die Bremspunkte von Lotterer gekannt, da er ihm viele Runden lang gefolgt war.
  7. Lotterer habe als Führender das Recht, seine Linie beim Bremsen zu bestimmen.
  8. Es war ein schwerer Aufprall, der einen Reifenschaden verursachte und somit den Ausfall von Lotterer auslöste.
  9. Die Strafe sei unzureichend und stelle einen schlechten Präzedenzfall für andere Fahrer dar, mit einer Zeitstrafe von fünf Sekunden für das Verursachen einer Kollision davonzukommen.
  10. Die Strafe ermutige andere Fahrer dazu, sich zu einem früheren Zeitpunkt des Rennens das exakt Gleiche zu tun, da sie ja die Möglichkeit haben, fünf Sekunden Vorsprung herauszufahren.
  11. DS Techeetah hätte nicht protestiert, wenn Lotterer das Rennen hätte fortsetzen können.
  12. Lotterers Teamkollege Vergne habe ebenfalls für das Verursachen einer Kollision (mit Tom Dillmann) eine Zeitstrafe von fünf Sekunden erhalten, Dillmann habe das Rennen aber fortsetzen können, nachdem Vergne ihn durch die Berührung überholt habe.
  13. Die Strafe für das Abkürzen einer Schikane wurde vor dem Rennen auf eine 10-Sekunden-Stopp&Go-Strafe erhöht, nachdem die Teams sich für eine Verschärfung der Regelung ausgesprochen hatten, sodass die Strafe unverhältnismäßig war.
  14. DS Techeetah sei über die Anzahl der Kollisionen, die sich mit den aktuellen Formel-E-Fahrzeugen ereignen, besorgt.

Leon Price nahm wie folgt Stellung zu den Punkten:

  1. Es gab außer dem benannten Zwischenfall keine einzige Berührung zwischen den Fahrzeugen von Bird und Lotterer.
  2. Die einzige Beschädigung an Birds Auto sei die von dieser Kollision gewesen.
  3. Lotterer und Bird haben während des gesamten Rennens Respekt füreinander gezeigt, trotz drei Re-Starts nach Safety-Car-Phasen (womöglich eine versteckte Anspielung auf Lewis Hamilton und Sebastian Vettel bei der Safety-Car-Phase beim Großen Preis von Aserbaidschan 2017).
  4. Bird spürte in den Runden vor dem Unfall, als er Lotterer folgte, dass er eingangs Kurve 2 einen Vorteil habe.
  5. Bird war der Meinung, nah genug für einen Überholversuch zu sein.
  6. Bird hatte das Gefühl, dass sich Lotterer beim Bremsen leicht bewegt habe, um ihn zu verunsichern und seine Linie so verteidigen zu können.
  7. Bird wollte nicht weiter nach rechts fahren, da die Strecke dort noch feuchter war und er so einen noch größeren Unfall verursacht hätte.
  8. Bird dachte zunächst, er könne durch ein stärkeres Bremsmanöver den Kontakt mit Lotterer verhindern.
  9. Bird bekräftigte, dass er die Kollision keinesfalls absichtlich verursacht habe.
  10. Berührungen zwischen den Fahrzeugen werden grundsätzlich als normal angesehen, da die (Gen2-)Fahrzeuge größer geworden und die Strecken schmal und eng sind.
  11. Es gäbe deutlich weniger Überholmanöver, wenn es gar keine Berührungen zwischen den Fahrzeugen geben dürfte.
  12. Die Tatsache, dass überhaupt eine Strafe ausgesprochen wurde, sei angesichts diverser vergleichbarer Vorfälle mit den Gen2-Fahrzeugen aus seiner Sicht schon hart.
  13. Bei der Bewertung eines Unfalls sollten die daraus resultierenden Folgen nicht berücksichtigt werden. Zum Beispiel soll der entstandene Schaden an einem Fahrzeug keinen Einfluss auf die Höhe der Strafe haben.
  14. Außerdem gab er an, dass jeder Vorfall nur danach beurteilt werden sollte, was tatsächlich passiert ist und nicht danach, was sich daraus für Folgen ergaben.

De la Rosa und Clark nahmen darauf wie folgt Stellung:

  1. Sie widersprachen der Ansicht, dass die Auswirkungen eines Vorfalls nicht berücksichtigt werden sollen. Als Beispiel wurde hier wieder die Kollision zwischen Vergne und Dillmann genannt, bei der Vergne eine Zeitstrafe von fünf Sekunden erhielt, weil er infolge des Kontaktes Dillmann überholt hat.
  2. Sie legten einen Tweet des 'eRacing Magazine' vor, in dem Bird zitiert wurde.
  3. Die Anzahl der Berührungen müsse grundsätzlich reduziert werden, da sich die Fahrer über die Folgen einer Kollision zu diesem Zeitpunkt nicht im Klaren seien.

Nachdem die beteiligten Teams keine weiteren Ergänzungen abgeben oder zusätzliche Beweise vorlegen konnten, zogen sich die Rennkommissare im Anschluss zur Beratung zurück.

Fast zwei Stunden später gaben sie dann ihre Entscheidung bekannt:

  1. Der Protest von DS Techeetah wird abgewiesen.
  2. Das um 20:50 Uhr Ortszeit geänderte, provisorische Rennergebnis mit der Zeitstrafe von fünf Sekunden für Bird sei korrekt, da er eine Kollision verursacht habe und somit gemäß Paragraph 16.1 des Sportlichen Reglements bestraft wurde.
  3. Es wurden keine neuen Beweise vorgelegt, die eine Verschärfung der Strafe gegen Bird gerechtfertigt hätten.
  4. Die Folgen eines Vorfalls werden für die Ermittlung des Strafmaßes nicht berücksichtigt, sondern nur der Vorfall selbst.
  5. Die Möglichkeit, gegen das Rennergebnis Protest einzulegen, sollte von einem Wettbewerber nicht dazu benutzt werden, die Vorschriften zu umgehen, in denen bestimmte Strafen nicht angefochten werden können.
  6. Die Protestgebühr verfällt gemäß Paragraph 13 des ISC (International Sporting Code) und wird nicht zurückgezahlt.

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