Formel E: Jaguar-Technikchef Phil Charles erklärt zunehmende Bedeutung von Datenanalyse & -verarbeitung
Tobias Wirtz
Daten und Datenverarbeitung sind heute aus der Welt des Motorsports nicht mehr wegzudenken. Das gilt natürlich auch für die hochtechnische Formel E. Jaguar arbeitet in diesem Bereich mit dem Unternehmen Micro Focus und seinem Datenanalyse-Spezialisten Vertica Systems zusammen. Gemeinsam entwickelte man eine Reihe von leistungsstarken Analysetools, die auf der Grundlage von maschinellem Lernen arbeiten. Dies soll dem Team helfen, fundiertere Entscheidungen zu treffen.
"Wir haben uns für Micro Focus entschieden, weil das Unternehmen genau die Art von Analyse- und Visualisierungstechnologie anbietet, nach der wir gesucht haben", sagt Jaguar-Technikchef Phil Charles bei 'Techmonitor.ai'. "Wir konnten uns in ihr System einklinken und es sofort in Betrieb nehmen. Das ist perfekt für uns."
"Bei unserer digitalen Transformation haben wir uns stark auf Simulationen konzentriert - das hat sich seit der Pandemie verdoppelt. Während wir früher vielleicht ein getrenntes Programm mit einigen Simulationen und einigen physischen Tests durchgeführt haben, sind es jetzt wesentlich mehr virtuelle Tests, und dies erzeugt eine riesige Menge an Daten", erklärt Charles weiter.
Der Brite ist nach zehn Jahren in der Formel 1 seit vier Jahren für die Formel-E-Technik bei der britischen "Raubkatze" verantwortlich. Hier war Charles, der zuvor für Renault und Toro Rosso gearbeitet hatte, maßgeblich am Aufstieg von Jaguar zu einem der Topteams der Elektrorennserie beteiligt.
"Je besser man informiert ist, desto bessere Entscheidungen kann man treffen"
Das Team nutzt virtuelle Simulationen beispielsweise zur Optimierung der Leistung seines Antriebs. "Man hat vielleicht zehn Parameter, die man verändern kann, aber nur einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung", fährt Charles fort. "Also muss man wissen, mit welcher Änderung man das beste Rennergebnis erzielt."
Die Tools bieten dabei viel mehr Optionen als klassische Versuche auf Prüfständen: "Wir können 2.000 Simulationen mit jeder Parameteränderung ausführen und diese Daten räumlich visualisieren. Wir stellen ein Performance-Mapping zusammen und untersuchen, wie man die Parameteränderungen und ihre Auswirkungen miteinander verknüpfen kann."
Aber nicht nur bei der Entwicklung des Antriebs, sondern auch am Rennwochenende selbst profitiert Jaguar von den neuen Möglichkeiten, welche die Software bietet.
"Wir können jetzt wirklich schnell eine Vielzahl von Daten in das System eingeben. Außerdem haben wir leistungsstarke Werkzeugpalette, die einige clevere Algorithmen ausführen, die Verarbeitung beschleunigen und Visualisierungen liefern kann, für die wir sonst keine Zeit hätten", so Charles weiter. "In einer Rennsituation kann man nicht immer alles richtig machen. Aber je besser man informiert ist und je mehr Echtzeit-Datenverarbeitung man machen kann, desto bessere Entscheidungen kann man treffen."
"Es gibt viele Hinweise, dass alle das Gleiche tun"
Was die Verwendung von Cloud-Technologie angeht, hält sich der Technikchef jedoch bedeckt. Zu groß ist die Angst, Informationen an die Konkurrenz weiterzugeben. "Wir haben eine Mischung aus verschiedenen Softwaretypen, und ein Teil der von uns entwickelten Software ist cloudbasiert", bleibt er bei diesem Thema durchaus vage. "Ein Teil unserer Analysen wird in der Cloud ausgeführt." Datenverarbeitung erfolge aber auch vor Ort. Die Server an der Rennstrecke seien jedoch an die Cloud angebunden, sodass die Daten auch in der Fabrik des Teams in Grove zur Verfügung stehen.
Charles glaubt jedoch nicht, dass Jaguar mit diesem Ansatz im Starterfeld allein ist. Auch die anderen Formel-E-Teams würden ähnliche digitale Tools einsetzen, um die Performance ihrer Fahrzeuge zu verbessern. "Man spricht nicht wirklich darüber, aber es gibt viele kleine Hinweise darauf, dass wir alle das Gleiche tun", fährt er fort. "Man stolpert über Berichte oder kleine Analysen, und es ist offensichtlich, dass wir alle auf eine ähnliche Weise die Prozesse optimieren."
Cyber-Attacken nehmen aufgrund höherer Bekanntheit der Formel E zu
Gerade in den vergangenen Jahren hat das Thema Cybersecurity an Bedeutung gewonnen. Auch hier sei die Partnerschaft hilfreich, da eine Bewertung von Jaguars Cyber-Sicherheit vorgenommen und das Team bei der internen Softwareentwicklung unterstützt wird. Der Schutz des geistigen Eigentums hat dabei oberste Priorität. "Wir haben wirklich hart gearbeitet und viel Geld dafür ausgegeben, um den besten Wechselrichter und Motor zu bauen, den wir bekommen können. Das Letzte, was wir wollen, ist, Details davon preiszugeben", erklärt Charles.
Die wachsende Bekanntheit der Formel E bedeute aber auch, dass die Teammitglieder zunehmend Ziel von Phishing-Attacken werden. "Wir werden dazu ermutigt, in den sozialen Medien für unsere Arbeit zu werben", beschreibt der Technikchef. "Das macht uns anfällig für Spear-Phishing."
Bei Spear-Phishing handelt es sich um eine gezielte Betrugsmasche, um an Informationen zu gelangen. Dabei werden Personen meist mit gefälschten E-Mails, die jedoch äußerst professionell und aufwendig gestaltet wurden, zur Preisgabe von Informationen oder zum Herunterladen von Schadsoftware gebracht. Da die Mails in der Regel täuschend echt aussehen und dort aufgeführte Fakten in vielen Fällen aufwendig recherchiert und daher korrekt sind, sind Angriffe nur schwer zu identifizieren.
"Wir sind sichtbar, und die Leute können leicht Informationen über uns herausfinden", so Charles weiter. "Deshalb führen wir mit Micro Focus Workshops durch, um herauszufinden, wo wir anfällig sind, und um sicherzustellen, dass wir alle potenziellen Probleme abdecken."
Jaguar liegt nach den ersten drei Saisonrennen der Formel-E-Weltmeisterschaft 2022 mit 13 Punkten auf dem siebten Platz der Teamwertung. Am 9. und 10. April haben Sam Bird und Mitch Evans in Rom die Gelegenheit, das Punktekonto des britischen Teams weiter auszubauen.
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