Formel E

Formel E: Konzept für Gen3-Auto mit 450 kW kurz vor Finalisierung

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Das aktuelle "Gen2"-Fahrzeug der Formel E hat gerade einmal ein Viertel seines Lebenszyklus hinter sich. Nichtsdestotrotz steht das Konzept seines Nachfolgers ab 2022 beinahe fest. Nun wurden erste konkrete Details zur geplanten Technik der dritten Fahrzeuggeneration bekannt. Laut 'e-racing365' dürfte sich die Leistung der Boliden auf mindestens 450 kW (612 PS) erhöhen und damit nahezu verdoppeln.

Noch rund 36 Monate sind es bis zum Start der neunten Saison. Dann bekommt die Formel E abermals einen vollkommen neuen elektrischen Einheitsrennwagen - "Gen3". Was nach einem Tag in ferner Zukunft klingt, ist bei genauerer Betrachtungsweise gar nicht so weit weg, bedenkt man den Entwicklungszeitraum. Der Zeitpunkt, an dem die ersten Eckpunkte zur Planung der neuen Antriebsstränge festgezurrt werden müssen, steht kurz bevor.

Die in der Formel E vertretenen Hersteller - immerhin zehn an der Zahl - benötigen durchaus einiges an Zeit für die Entwicklung und Konstruktion ihrer Elektromotoren und Inverter. Immerhin sollen diese mit den aktuell verwendeten Antrieben wenig gemeinsam haben. Bis auf die Tatsache natürlich, dass sie elektrisch angetrieben werden.

Daher kommt es auch wenig überraschend, dass hinter den Kulissen bereits intensiv an der technischen Basis für die Saison 2022/23 und Folgejahre gearbeitet wird. So soll das Konzept zwischen den beteiligten Parteien bereits abgestimmt sein und vom Automobilverband FIA innerhalb der kommenden Wochen vorgestellt werden.

Die Ausschreibungsunterlagen für das Chassis, die Batterie und die Reifen der Gen3-Boliden sollen auf der Sitzung des Weltmotorsportrates am 4. Dezember 2019 bereits beschlossen worden sein, eine Veröffentlichung ist ebenfalls in Kürze geplant.

Deutlich mehr Leistung geplant

Statt 250 kW (340 PS), wie bislang, dürften die Antriebe dann eine Maximalleistung von 450 kW haben - ein gewaltiger Sprung für die elektrische Rennserie. Auf eine mechanische Bremse an der Hinterachse soll dann sogar komplett verzichtet werden - hier kommt stattdessen ein rein elektrisches Brake-by-Wire-System zum Einsatz. Aber nicht nur an der Hinterachse soll rekuperiert werden: Erstmals erwägt die Formel E eine Energierückgewinnung an den Vorderrädern. Bis zu 150 kW sollen hier zusätzlich zurückgewonnen werden, so zumindest das Ergebnis der jüngsten Sitzungen der Technischen Arbeitsgruppe.

Aber selbst das war einigen noch nicht genug: Es wurde sogar über eine Erhöhung der Maximalleistung auf 600 kW diskutiert - mehr als 800 PS würde ein solcher Antrieb auf die Straße bringen. Da es jedoch aktuell keine technische Möglichkeiten gibt, auch nur annähernd so viel Energie beim Bremsen zurückzugewinnen, wurde diese Idee wieder fallen gelassen.

Außerdem soll es wieder Boxenstopps in der Formel E geben - wenngleich nicht zum Fahrzeugwechsel. Wie Formel-E-Gründer Alejandro Agag erstmals öffentlich im Interview mit e-Formel.de verriet, sollen die künftigen Batterien tatsächlich rund 30 Sekunden lang mit 450 kW Leistung aufgeladen werden. Theoretisch könnten so bis zu 3,75 kWh mit einem Halt nachgeladen werden.

Streckensicherheit: Berlin muss nachbessern

Bei aller Euphorie über die stärkeren und schnelleren Rennwagen ist die Sicherheit der Rennstrecken ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium. So muss mit den deutlich leistungsstärkeren Boliden die Sicherheit von Fahrern, Zuschauern und weiterem Personal auf den überwiegend temporären Stadtkursen jederzeit gewährleistet sein. Es ist erforderlich, dass die neuen Fahrzeuge auf sogenannten "Grade 2"-Rennstrecken fahren dürfen. Eine "Grade 1"-Zertifizierung, wie sie aktuell für Formel-1-Rennstrecken notwendig ist, dürfte nur mit deutlich höherem materiellen und finanziellen Aufwand zu stemmen sein.

Bislang darf die Formel E sogar auf "Grade 3"-Strecken fahren, was ab 2022 definitiv obsolet würde. Als Berechnungsgrundlage dient das Leistungsgewicht: Bei mehr als 2 kg pro PS sind "Grade 3"-Strecken zulässig, bei mehr als 1 kg pro PS muss es sogar eine "Grade 2"-Strecke sein. Während die aktuellen Formel-E-Fahrzeuge mit einer Maximalleistung von 250 kW und einer Masse von 900 kg ein Leistungsgewicht von 2,65 kg pro PS haben, läge ein 450 kW starker Elektrorenner bereits bei 1,47 kg pro PS - und das, ohne die zusätzlich geplante Gewichtsreduzierung zu berücksichtigen.

Dies brächte Probleme für einige aktuelle Formel-E-Rennstrecken mit sich. Die aus deutscher Sicht prominenteste "Grade 3"-Strecke im Kalender ist sicherlich der Kurs auf dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof, die nach unseren Informationen aber ohnehin in Zukunft neu designt werden soll. Aber auch die bei den Piloten ungeliebte Kurzanbindung in Monaco sowie die Strecken in New York City, Paris, Diriyya, Rom, Santiago und Sanya verfügen laut der aktuellen FIA-Liste lediglich um eine solche Einstufung.

Ausrüster-Ausschreibungen starten in Kürze

Die deutlich leistungsstärkeren Antriebe erfordern natürlich auch Anpassungen an vielen weiteren Bereichen der Fahrzeuge. So hat die FIA an ihrem Hauptsitz in Genf detaillierte Simulationen durchgeführt, wie die nächste Formel-E-Generation mit den stärkeren Motoren mit der nutzbaren Energie umgehen könnte.

Diese Tests dienten als Grundlage für die Definition der neuen Batterien, was Abmessungen und Kapazität angeht. Neben McLaren Applied Technologies (MAT), dem aktuellen Batterieausrüster, ist auch Williams Advanced Engineering (WAE), Einheitslieferant der ersten Fahrzeuggeneration (2014-2018), an der Entwicklung der neuen Batterie interessiert. Mehrere andere Unternehmen sollen ebenfalls eine Bewerbung vorbereitet haben. Wie groß der neue Einheitsakku sein soll, ist noch nicht bekannt.

Auf Chassis-Seite gilt erneut die Firma Spark Racing Technologies, die auch die Formel-E-Autos der beiden ersten Generationen entwickelte, als Favorit. Dennoch wird es auch hier eine Ausschreibung geben. Gleiches gilt für die Reifen: Auch hier ist Michelin - bereits seit Saison 1 Reifenpartner der Rennserie - der Favorit. Das Ergebnis der Ausschreibungen soll voraussichtlich Anfang Juni 2020 bekanntgegeben werden.

Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media

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