Formel-E-Performance für Longo auch bei Gen4 nur zweitrangig: "Wettbewerb ist unsere oberste Priorität"
Tobias Wirtz
Während die offizielle FIA-Ausschreibung für den Reifenhersteller der Gen4-Ära der Formel E gerade erst gestartet wurde, ist die Frist zur Bewerbung für die Einheitslieferanten von Batterie und Chassis bereits abgelaufen. Die Rahmendaten der Ausschreibung versprechen einen großen Schritt nach vorn im Bereich der Leistung und damit auch der gesamten Performance der Fahrzeuge. Das Hauptaugenmerk der Verantwortlichen liegt jedoch auf einem engen Wettbewerb.
Die technischen Vorgaben für die Gen4-Fahrzeuge können sich sehen lassen: 600 kW Maximalleistung, Allradantrieb, 700 kW Rekuperation und Schnellladung sowie zwei unterschiedliche Aerodynamik-Konfigurationen - eine mit viel Abtrieb, eine mit weniger. Gerade letztere Neuerung könnte unterschiedliche Rennformate mit den Gen4-Rennwagen ermöglichen. Sie lässt außerdem bereits vermuten: Es geht den Entscheidern nicht ausschließlich um Performance.
"Ich denke, es ist ein Gleichgewicht, eine Balance zwischen den Kosten, der Technologie und der Entwicklung", beschreibt Alberto Longo, Mitbegründer und Chief Championship Officer der Formel E bei Motorsport.com.
"Als Motorsportfan möchte ich Wettbewerb sehen - das ist für uns die oberste Priorität, sogar noch vor der Geschwindigkeit. Wenn wir sichergestellt haben, dass es einen Wettbewerb zwischen den Teams und Fahrern gibt, dass wir drei, vier, fünf Fahrer haben, die am Ende der Saison die Meisterschaft gewinnen können, dann wäre ich definitiv auch an einem leistungsstärkeren Auto interessiert."
"Die Technologie erlaubt es uns, schnell zu wachsen", so der Spanier weiter. "Von Gen1 zu Gen2 war es ein gewaltiger Unterschied, von Gen2 zu Gen3 ebenfalls, und die Entwicklung, die wir in der Mitte des Gen3-Zyklus einführen werden, wird ebenfalls eine große Steigerung sein. Beim Gen4 wird das so weitergehen."
Longo: "Wichtig zu zeigen, dass sich die Technologie weiterentwickelt"
Damit spricht Longo die derzeitigen Planungen einer technisch überarbeiteten Version der Gen3-Fahrzeuge an, die wahlweise Gen3EVO oder Gen3.5 genannt wird. Der Frontmotor soll - zumindest im Qualifying und im Attack-Mode - neben dem Rekuperieren auch zum Beschleunigen genutzt werden. Außerdem sind eine veränderte Fahrzeugkarosserie sowie eine neue Spezifikation von Reifenhersteller Hankook geplant.
"Es ist auf jeden Fall wichtig zu zeigen, dass sich die Technologie weiterentwickelt und dass man mit einer Technologie, die ursprünglich viele Hindernisse hatte, schneller und länger fahren kann", beschreibt Longo weiter.
Dieser Unterschied im Vergleich zur ersten Fahrzeuggeneration ist unübersehbar: Vor der Einführung der Gen2-Fahrzeuge mussten die Pilot:innen zur Rennhalbzeit noch das Fahrzeug wechseln. Seit 2018 ist dies bei nahezu identischer Renndauer nicht mehr notwendig, obwohl seit 2014 die Leistung der Autos im Rennbetrieb von 150 kW auf 300 kW verdoppelt wurde.
Di Grassi: "Formel E muss die am schnellsten beschleunigenden Rennwagen haben"
Aus Fahrersicht sieht die Sache naturgemäß ein wenig anders aus. Insbesondere bei Mahindra-Pilot Lucas di Grassi, der für seine optimistischen Zukunftsvisionen in Bezug auf den Fortschritt der Formel-E-Rennwagen bekannt ist, liegt das Hauptaugenmerk auf dem Thema Performance. "Wir haben einen Punkt in der Technologie von Elektroautos erreicht, an dem wir eine Menge Leistung haben können", erklärt der Brasilianer bei Motorsport.com. "Ich denke, Performance ist wichtig, und die Formel E muss die am schnellsten beschleunigenden Rennwagen auf dem Planeten haben."
Auch aus Sicht der Öffentlichkeit dürfte ein solcher Techniksprung der Formel E Respekt verschaffen, glaubt di Grassi. "Ein normaler Mensch kann kein Auto mit 1.000 PS fahren. Das ist fast wie ein Kampfjet", beschreibt der Champion der Saison 2016/17 weiter. "Das sind so hohe Kräfte, und es ist so schnell, dass man viele Stunden Training dafür braucht. Es ist nicht so, dass eine normale Person das Formel-E-Auto nicht fahren könnte. Sie könnte es, aber nicht auf dem Niveau, wie wir fahren - nicht einmal annähernd."
Ob und wann die Leistung der Formel-E-Rennwagen auf die angesprochenen 1.000 PS (735 kW) steigen wird, bleibt abzuwarten. Den bislang bekannten Informationen über die vierte Fahrzeuggeneration zufolge, die ab Ende 2026 zum Einsatz kommen wird, dürfte dieser Punkt nicht vor dem Jahr 2030 oder gar 2032 erreicht werden.
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