Formel E

Formel E: Porsche auf Erkundungstour beim Berlin E-Prix

Timo Pape

Timo Pape

In diesem Sommer feiert Porsche 70 Jahre Sportwagen, doch in Zuffenhausen und Weissach richtet so mancher seinen Blick bereits auf 2019 – das Jahr des Einstiegs in die Formel E. Die elektrische Einsitzerserie hat sich seit ihrem Debüt im Jahr 2014 rasant weiterentwickelt und geht im kommenden Jahr mit einem gänzlich neuen Auto und einer Reihe namhafter Hersteller an den Start. Das Ziel: die Weiterentwicklung emissionsfreier Technologie für Straße und Rennstrecke.

Am vergangenen Wochenende fand die neunte Runde der Formel-E-Meisterschaft 2018/19 in Berlin statt. Eine kleine Porsche-Delegation machte sich auf den Weg, um sich auf heimischem Boden ein besseres Bild von der Serie zu verschaffen. Zum Team gehörten der Markenbotschafter und ehemalige Rennfahrer Mark Webber (Bild), der frühere LMP1-Teamchef Andreas Seidl und Fritz Enzinger, Leiter Konzern-Motorsport – allesamt Veteranen des Porsche-Gewinnerteams von Le Mans, die das Unternehmen nun mit ähnlichem Erfolg durch unbekanntes Terrain führen sollen.

Das Format der Formel E ist neuartig. Das Fahrzeug und die Batterieeinheit werden den Teilnehmern zur Verfügung gestellt, die dann einen maßgeschneiderten Antriebsstrang und die komplexen Nebenaggregate entwickeln müssen: Inverter, Brake-by-Wire-System, Getriebe, Differenzialgetriebe und Antriebswellen.

Für Porsche stellt dies eine große Herausforderung dar, denn die Ingenieure in Weissach erhalten das kürzlich vorgestellte Gen-2-Fahrzeug erst im Januar 2019. Bis zum Ende des Frühjahrs müssen sie ihre Eigenentwicklungen dann einer Homologation unterziehen, um einen Saisonstart im Dezember zu gewährleisten. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Entwicklung sowie die damit verbundenen Tests auf dem Prüfstand erfolgen müssen. Das Zeitfenster für die physischen Testläufe der Komponenten ist klein.

Der wirkliche Wettbewerbsvorteil

Andreas Seidl rechnet mit fairen Wettbewerbsbedingungen, da der wirkliche Wettbewerbsvorteil durch geringfügige Abweichungen in Strategie und Fahrstil erzielt wird. "Die Möglichkeiten und die Leistungsfähigkeit von Elektroautos sind bei Porsche schon lange ein zentrales Thema", erklärt er. "Hierbei ist es entscheidend, bei den Grundlagen alles richtig zu machen. Bei diesem Wettbewerb geht es vor allem darum, durch kleinere Details eine höhere Effizienz zu erreichen."

Der Umgang mit Energie sowie deren Konservierung und sorgfältiger Einsatz ist für einen Sieg in der Formel E ausschlaggebend. In dieser Hinsicht können Seidl und sein Team dank ihrer Erfahrungen mit dem 919 Hybrid bereits große Erfolge vorweisen.

Unter den aktuellen Regeln der Formel E kann jedes Fahrzeug einmal voll aufgeladen werden. Außerdem dürfen 75 Prozent der Energie durch Rückgewinnung im Rennen generiert werden, wobei die Fahrer in der Mitte in ein zweites voll aufgeladenes Auto wechseln – bei den Gen-2-Fahrzeugen wird das nicht mehr nötig sein. Es kommt darauf an, Energie zu sparen, wann immer es möglich ist – beispielsweise durch Fahren im Windschatten des Vordermanns – und diesen Leistungsvorsprung dann im richtigen Moment auszunutzen.

Das Team in Weissach hat bereits mit der Entwicklung am Antriebsstrang begonnen. Die Arbeiten hierfür finden im ursprünglich für das LMP1-Programm bereitgestellten Hochspannungslabor statt. "Unsere Komponenten werden auf den gleichen Prüfständen wie die der Mission E getestet", erklärt Seidl. "In diesem Szenario arbeiten die Ingenieure der Bereiche Motorsport und Sportwagen eng zusammen. Schließlich ist es unser gemeinsames Interesse, einen möglichst leichten elektrischen Antriebsstrang zu entwickeln."

Sehr heterogenes Publikum

Formel E-Rennen finden an einem einzigen Tag statt, also freies Training am Morgen, Qualifying am Mittag und das Rennen am frühen Abend. Die Hauptveranstaltung dauert weniger als eine Stunde. Während sich die Stände füllen, merkt man, dass die anfängliche Skepsis gegenüber der Formel E längst verflogen ist. Unter den Menschenmassen, die sich in der offenen Boxengasse tummeln, ist kein bestimmter "Typ" zu erkennen. Männer und Frauen, Mädchen und Jungen, Babys im Kinderwagen – die Formel E ist eine Familienangelegenheit, inklusiv und offen.

Und genau aus diesem Grund sehen viele der Formel E mit Wohlwollen entgegen. Es ist eine Rennserie der Spitzenklasse, in der die Interaktion mit der gesamten Fangemeinde unterstützt wird. Und all das findet an einem einzigen Tag statt, ganz in Stadtnähe.

In der sechsten Saison, die 2019 beginnt, treten nicht nur Porsche, sondern auch Mercedes-Benz, Audi und BMW an. Neben ehemaligen F1-Promis wie dem aktuellen Titelverteidiger Lucas di Grassi und Sebastien Buemi sorgte die Unterschrift des Ferrari-Veteranen Felipe Massa kürzlich für Schlagzeilen. Es wird heiß diskutiert, wer sonst noch dazu kommen wird. Seidl hat bestätigt, dass Porsche auf sein bestehendes Fahrerfeld zurückgreifen wird, um den Übergang in die Formel E zu schaffen. Das Know-how der aktuellen Fahrer kann seiner Meinung nach nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Auch Mark Webber spricht mit Hochachtung über das aktuelle Fahrerfeld, zu dem auch der ehemalige Porsche-Teamkollege Andre Lotterer gehört. Webber betont, dass die Mannschaft seinerzeit in puncto Energiemanagement beim 919 Hybrid ähnlichen Herausforderungen gegenüberstand.

Wenn das Rennen beginnt, zeigt sich das einzigartige Drama der Formel E. Man kann süchtig werden vom schrillen Lärm dieser Autos, die mit beachtlicher  Geschwindigkeit von einem engen Scheitelpunkt zum nächsten rasen und sich dabei regelmäßig gefährlich nähe kommen oder berühren. Das Einzigartige dabei ist jedoch der punktentscheidende Energieaufwand, der für jedes Fahrzeug – in immer kleiner werdenden Prozentsätzen – auf dem Großbildschirm angezeigt wird.

Der Berlin E-Prix erwies sich als voller Publikumserfolg. Nach Abschluss der Interviews und Zeremonien zerstreute sich die Menge schließlich in den warmen Berliner Abend, das riesige Gebiet um Tempelhof herum leerte sich wieder. All die Energie dieses pulsierenden, geschäftigen Ortes ist plötzlich erschöpft – ganz wie bei den Autos in der letzten Runde. Es ist für Crews und Zuschauer gleichermaßen anstrengend, ein ganzes Rennwochenende in einen einzigen, frenetischen Tag zu packen. Während sich der kollektive Puls jedoch verlangsamt und die kleine Erkundungsmission von Porsche zu Ende geht, verlässt das Team das Gelände beschwingt und in allerbester Laune.

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