Formel E

Formel-E-Saisonfinale 2018: Das Ende einer Ära

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Wenn am 15. Juli 2018 die karierte Flagge in New York City fällt, endet für die Formel E eine Ära. Vom ersten E-Prix in Peking 2014 bis zum Doppelfinale am "Big Apple" war es ein wilder Ritt für die Elektroserie. Nicht immer lief alles nach Plan, mehrmals hatte es die Meisterschaft äußerst schwer. In ihren ersten 45 Rennen hat die Formel E trotzdem bewiesen, dass sie hier ist, um zu bleiben. Und dass der Serie für die nächsten Jahre keine Grenzen gesetzt sind. Unser Adieu an die erste Generation des Motorsports der Zukunft.

Als sich am 13. September 2014 insgesamt 20 elektrisch angetriebene Fahrzeuge vor der Startampel in Peking aufreihten, wusste niemand genau, was bevorstehen würde. Kaum ein Team verstand die Bedeutung der Rekuperation oder der Taktik-Optionen beim Autowechsel. Die TV-Kameras setzten die Elektro-Flitzer teils falsch in Szene, die Autos wirkten langsam und behäbig, das Rennen dadurch beinahe einschläfernd.

Peking-Crash als "Make or Break"-Moment

Der "2014 FIA Formula E Evergrande Spring Beijing ePrix" wäre nach heutigem Formel-E-Standard eigentlich ein Rennen zum Vergessen gewesen. Kaum Überholmanöver, kaum Kontroverse und eine öde Streckenführung um das Pekinger Olympia-Stadion von 2008 machten das Rennen zu einem glanzlosen Auftakt in die erste Saison. Das Einzige, was aus Peking blieb, ist die eine unvergessene Szene aus der finalen Runde des Rennens, ohne die die Formel E heute vielleicht nicht die wäre, die wir kennen. In der Tat gäbe es die Serie ohne jene Szene womöglich überhaupt nicht mehr.

Gemeint ist selbstverständlich der wilde Crash von Nick Heidfeld und Nico Prost, dem Sohn von Ex-Formel-1-Champion Alain. Im Kampf um den Rennsieg kollidierten die beiden auf der Zufahrt zur letzten Kurve des 25 Runden langen E-Prix. Heidfeld hob auf einem erhöhten Randstein ab, überschlug sich und landete im Fangzaun. Die Szenen von Heidfeld, der sich wenig später glücklicherweise unverletzt aus seinem auf dem Überrollbügel liegenden Auto schälte und über die Strecke rannte, gingen in den sozialen Netzwerken viral. So angsteinflößend die Situation in dem Moment auch war - ein "besseres" Rennende hätte Hollywood der Formel E nicht schreiben können.

Zu den nächsten Rennen, die glücklicherweise sehenswerter wurden, schalteten nach dem Peking-Unfall mehr Zuschauer ein. Die Strecken wurden anspruchsvoller, die TV-Bilder dynamischer, die Teams experimentierfreudiger. Unvergessen ist der fliegende Bruno Senna in Monaco. Oder die Pole-Runde vom frischen Formel-1-Konvertiten Jean-Eric Vergne bei seinem Debüt in Punta del Este. Die Trulli-Pole und di-Grassi-Disqualifikation in Berlin. Oder der epische Fünfkampf um den Titel in London, in dem sich Nelson Piquet jr. mit nur einem Punkt Vorsprung gegen Sebastien Buemi durchsetzte und zum ersten Formel-E-Champion der Geschichte gekürt wurde.

Generation "Klick"

Von Piquets Titelgewinn an war die Formel E nicht mehr zu bremsen. Auch wenn die Serie, gegründet vom Unternehmer Alejandro Agag, dem Schwiegersohn des ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Aznar, mehrmals kurz vor dem wirtschaftlichen Aus stand, fasste sie immer weiter Fuß im Motorsport. Neue Sponsoren unterstützten die Serie finanziell, erste Hersteller begannen, an ihren Antriebssträngen zu basteln, und die Fahrer und Teams entdeckten die sozialen Medien für sich.

Das Publikum der Formel E war von Anfang an klar definiert: Besonders jüngere Zuschauer, die keine langjährigen Motorsport-Fans sind und selbst interagieren wollen, sollten angesprochen werden. Mit hübschen YouTube-Clips, kurzen Snapchat- und Instagram-Reportagen und frechen Tweets eroberte die Formel E das Internet. Ganz zu schweigen vom revolutionären FANBOOST, mit dem die Fans direkt ins Rennen eingreifen können. Kaum eine andere Motorsport-Serie ist über soziale Netzwerke so erreichbar wie die Formel E, was maßgeblich zum ihrem Siegeszug beigetragen hat.

Auf dem Weg nach oben

Doch vor allem sportlich entwickelte sich die Formel E weiter. Während die Motoren von Jahr zu Jahr immer höher drehen durften, gaben sich erstklassige Fahrer wie Jacques Villeneuve oder Esteban Gutierrez die Ehre in der E-Serie. Die Formel E fuhr in Weltstädten wie Mexiko-Stadt, Moskau, New York oder Hongkong, begeisterte erst Zehntausende, dann Hunderttausende, dann Millionen TV-Zuschauer in aller Welt.

Sebastien Buemi gewann nach seiner bitteren Niederlage von London 2015 im Folgejahr nach einer Startkollision mit seinem Titelkonkurrenten di Grassi in einer epischen Rundenzeiten-Schlacht die Meisterschaft. Die Formel E fuhr um das Grab Napoleons in Paris und entlang der Pazifikküste von Long Beach. Vergne und Bird gerieten als Virgin-Teamkollegen in Frankreich aneinander, Robin Frijns feierte in der legendären Putrajaya-Hitzeschlacht ein sensationelles Podium und ABT sorgte nach einer verpatzten Teamorder für lange Gesichter beim Heimrennen am Alexanderplatz in Berlin-Mitte.

Auch im dritten Jahr blieb die Formel E voller Action. Die FIA fügte vor der Saison eine zweite Frontflügelplatte zum Auto hinzu, die den Look der Elektroboliden, inzwischen regelrechte High-Tech-Computer auf Rädern, auffrischte. Die Formel E fuhr erstmals zwischen Wolkenkratzern in Hongkong, in der Wüste von Marokko und vor der Skyline von New York City.

Der Triumphzug der elektrischen Rennserie ist spätestens seit dem historischen Event am "Big Apple" unverkennbar. In einem hochdramatischen Finale in Montreal gewann Lucas di Grassi nach einer furiosen Punktejagd im dritten Anlauf schließlich die Fahrer-Meisterschaft - und Jean-Eric Vergne mit dem vor der Saison gegründeten Techeetah-Team endlich sein erstes Rennen.

Der letzte Akt

Zwölf Monate später, wenige Stunden vor dem großen Saisonfinale 2018, könnte Vergne diesen Rennsieg in seinen ersten Titel umwandeln. Die Situation in der Fahrermeisterschaft ähnelt jener von vor einem Jahr: Vergne braucht sechs Punkte mehr als sein Rivale Sam Bird, um den Titel schon am Samstag klarzumachen. Doch während am Rennwochenende alles auf den Titelkampf blickt, heißt es auch, Abschied zu nehmen.

Abschied von der ersten Generation der Formel E. Vom SRT_01 E, dem aktuellen Einheitschassis aller Teams. Wir sagen den 28-kWh-Batterien von Williams Advanced Engineering ciao, winken dem Fahrzeugwechsel ein letztes Mal zu, sagen goodbye an die Qualifying-Lotterie. Nach dem New York E-Prix wird die Formel E nie mehr so, wie sie aktuell ist.

Melancholie? Mitnichten. Immerhin wartet ab Ende des Jahres eine Formel E auf uns, die größer, schneller, sexyer und radikaler ist als je zu vor. Wir freuen uns auf ein neues Chassis mit einem riesigen Diffusor, einer fast doppelt so großen Batterie und auf den Attack-Mode, durch den den Fahrern im Rennen noch mehr Leistung zur Verfügung steht als im aktuell höchsten Qualifying-Mapping.

Wenn am 15. Juli 2018 in New York die karierte Flagge fällt, endet eine Ära. Es war ein wilder Ritt. Nicht immer lief alles nach Plan, doch die ersten 45 Rennen der Formel E haben bewiesen, dass die Serie hier ist, um zu bleiben. Adieu und danke an die erste Generation der Rennserie der Zukunft. Jetzt geht es richtig los, von nun an geht es nur noch bergauf. Auf die Zukunft!

Die Highlights des Peking ePrix 2014

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