Formel-E-Saisonstart unter Flutlicht: Die XXL-Vorschau auf den Diriyya E-Prix 2022
Tobias Bluhm
Die achte Saison der Formel-E-Weltmeisterschaft beginnt: Beim Diriyya E-Prix fällt am Freitag der Startschuss zur Saison 2022. Vor einem Jahr legte Nyck de Vries (Mercedes) in Saudi-Arabien den Grundstein für seinen Titelgewinn. Einige Piloten möchten es ihm nachmachen, darunter auch der Vorjahresdritte Jake Dennis, der als Fahrer von Avalanche Andretti das Erbe von BMW antritt. Auch Audi ist nicht mehr mit an Bord, sodass erstmals seit der Saison 2018/19 nur noch elf Teams antreten werden. Indes wartet ein neues Qualifying-System auf die 22 Formel-E-Fahrer. Alles, was du vor dem Diriyya E-Prix sonst noch wissen musst, liest du in unserer Rennvorschau.
Stadt, Land, Fluss
Die Formel E gastiert in Saudi-Arabien in der Stadt Diriyya, einem Vorort von Riad. Vor mehr als 200 Jahren zählte Diriyya zu den einflussreichsten Städten auf der Arabischen Halbinsel, wurde jedoch durch die Belagerung der Osmanen im Jahr 1818 beinahe vollständig zerstört.
Die historische Altstadt ist heute eine archäologisch wertvolle Ausgrabungsstätte. Der Stadtteil At-Turaif gehört seit 2010 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das moderne Diriyya, in dem die Formel E seit 2018 gastiert - seit 2021 bei Nacht -, entstand erst in den 1970er-Jahren. Die Rennveranstaltung der Elektroserie gehört zu den größten Events des Jahres in der 30.000-Einwohner-Stadt. Diriyya und auch die Formel E spielen eine zentrale Rolle in der "Vision 2030" des saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman.
Galerie: Der Diriyya E-Prix 2021 in Bildern
Rückspiegel | Was in der Saisonpause passierte
Durch die Ausstiege von Audi und BMW verkleinerte sich die Formel-E-Startaufstellung von 24 auf nur noch 22 Autos. Mit neuem Hauptsponsor Avalanche startet Andretti aber trotzdem noch ein weiteres Jahr mit BMW-Antriebssträngen, auch Jake Dennis ist immer noch dabei. Neu ist jedoch sein Teamkollege Oliver Askew, der 2019 in den USA die Indy-Light-Nachwuchsserie gewann. In Diriyya geben außerdem der ehemalige Formel-1-Fahrer Antonio Giovinazzi (Dragon) und Dan Ticktum (Nio 333) ihre Formel-E-Debüts.
Zwischen den Saisons 2021 und 2022 gab es auch im bestehenden Fahrerfeld verheißungsvolle Wechsel: Lucas di Grassi fährt ab sofort statt Norman Nato bei Venturi, Oliver Rowland anstelle von Alex Lynn bei Mahindra. Das zwischenzeitlich freie Rowland-Cockpit bei Nissan übernahm der Deutsche Maximilian Günther.
Die Zeit seit dem 2021er-Saisonfinale nutzte die Formel E, um weitere Details für ihre künftige "Gen3"-Ära zu finalisieren. Das neue Auto absolvierte in Frankreich seine Jungfernfahrt, hinzu kam die Veröffentlichung erster Teaser-Fotos. In den ersten zwei Gen3-Jahren wird mit Porsche wohl nur ein deutscher Hersteller in der Elektroformel antreten. Mercedes bestätigte im vergangenen Sommer, dass das Formel-E-Engagement nach der Saison 2022 enden wird. Neu dabei ist stattdessen Maserati: Die Marke mit dem Dreizack kündigte im Januar den Einstieg zur nächsten Saison an.
Außerdem stellte die Formel E ein gänzlich neues Qualifying-Format vor (zuklappen zum Überspringen).
Gruppenphase bestimmt die Top 8
Das Qualifying beginnt mit einer Gruppenphase. Das derzeit aus 22 Fahrzeugen bestehende Feld wird dafür in zwei Gruppen zu je elf Fahrzeugen aufgeteilt. Die Aufteilung erfolgt anhand des aktuellen WM-Standes: Piloten auf den ungeraden Positionen der Gesamtwertung (1, 3, …) treten in Gruppe A an, Fahrer auf geraden Positionen (2, 4, ...) in Gruppe B. Fahrer, die am Rennwochenende nicht teilnehmen, werden vorher aus der Reihung entfernt, neue hinten angestellt. Vor einem ersten Saisonrennen muss jedes Team entscheiden, welcher seiner Fahrer in Gruppe A starten soll und welcher in Gruppe B.
Jede Gruppe erhält zehn Minuten Zeit, um schnelle Rundenzeiten mit 220 kW Leistung (= Rennmodus) zu setzen. Dabei kann jeder Fahrer so viele Runden fahren, wie er will, ist jedoch verpflichtet, innerhalb der ersten fünf Minuten mindestens eine schnelle Rundenzeit zu setzen. Am Ende ziehen die Piloten auf den Plätzen 1 bis 4 jeder Gruppe ins K.o.-System ein. Jene Fahrer auf den Positionen 5 bis 11 werden später auf den Startplätzen 9 bis 22 einsortiert - wo genau, entscheidet sich erst zum Schluss. Fest steht jedoch bereits: Die Gruppenplatzierung eines Fahrers entspricht seiner Startreihe, unabhängig von seiner Bestzeit. Die insgesamt schnellste Runde der Gruppenphase wird mit einem WM-Punkt belohnt.
Duelle bis zum Finale, Pole-Position für ganze Gruppe relevant
Für die Top 8 beginnt nun die K.o.-Phase, in der stets zwei Piloten im Einzelzeitfahren mit der Maximalleistung von 250 kW gegeneinander antreten. Im Viertelfinale 1 tritt der schnellste Fahrer aus Gruppe A zum Duell gegen den Viertplatzierten aus Gruppe B an. Es folgen der Zweite aus Gruppe A gegen den Dritten aus Gruppe B usw. (siehe Grafik). Beide befinden sich zum Duell gleichzeitig auf der Strecke, wobei der in der Gruppenphase schlechter Platzierte zuerst seine schnelle Runde drehen muss (plus je eine Out- und Inlap). Die Sieger ziehen ins Halbfinale ein, die Verlierer erhalten die Startpositionen 5 bis 8 auf Grundlage ihrer Rundenzeiten.
Das gleiche Prozedere wiederholt sich in den beiden Halbfinalduellen sowie im Finale, in dem es um die Pole-Position und drei WM-Punkte geht. Außerdem ist der Ausgang des Finales entscheidend für die eingangs erwähnten Startplätze 9 bis 22: Alle Fahrer aus der Gruppe des Pole-Sitters starten ebenfalls auf einer ungeraden Position, erhalten also die bessere Ausgangslage in ihrer bereits definierten Startreihe.
Zeitplan | Das Formel-E-Rennen in Saudi-Arabien
Anders als in westlichen Staaten ist in islamisch geprägten Ländern der Freitag der wöchentliche Feiertag. Der erste Formel-E-Lauf in Saudi-Arabien findet daher bereits am 28. Januar statt, damit möglichst viele Fans den E-Prix sowie das Rahmenprogramm an der Strecke besuchen können. Genau wie 2021 wird das 1. Freie Training hierfür auf den Donnerstag vorgezogen.
Alle weiteren Trainings und Qualifyings finden anschließend wie gewohnt an einem Tag statt. Die Rennen beginnen um 20 Uhr Ortszeit, also deutlich nach Sonnenuntergang. In Deutschland ist es dann 18 Uhr. Um dennoch für gute Sicht zu sorgen, beleuchten große LED-Flutlichtanlagen den Kurs. Der hierfür benötigte Strom stammt aus nachhaltigem, hydriertem Pflanzenöl.
Session | Donnerstag (27.01.) | Freitag (28.01.) | Samstag (29.01.) |
Shakedown | 14:00 Uhr | ||
1. Freies Training | 16:00 Uhr | ||
2. Freies Training | 11:30 Uhr | ||
3. Freies Training | 11:30 Uhr | ||
Qualifikation | 14:00 Uhr | 14:00 Uhr | |
Rennen | 18:04 Uhr | 18:04 Uhr |
Strecke | Technisch anspruchsvoll
Auf 2,495 Kilometern warten in Diriyya insgesamt 21 technisch anspruchsvolle Kurven auf die Formel-E-Fahrer. Besonders in den ersten zwei Streckendritteln erfordern zahlreiche geschwungene S-Kurven einen gekonnten Umgang mit dem Strompedal. Mit hohem Risiko sorgte in den letzten Jahren insbesondere der "Bobbahn-Abschnitt" zwischen den Kurven 8 und 12 für spektakuläre TV-Bilder im Qualifying.
Die beste Überholmöglichkeit bietet sich in der 90-Grad-Rechtskurve (Kurve 18) am Ende der Startgeraden. Auf der Außenseite von Kurve 19 befindet sich weiterhin die Attack-Zone, in der die Fahrer ihren 250-kW-Modus aktivieren können (bislang 235 kW).
TV & Livestream | Saisonstart der Formel E in Saudi-Arabien
Nach einem Jahr bei Sat.1 zieht die Formel E 2022 in Deutschland zum größeren Schwestersender um: Mit dem Diriyya E-Prix überträgt zum ersten Mal ProSieben ein Rennen der Elektroformel. Durch die "ran racing"-Sendungen führen weiterhin Eddie Mielke (Kommentator), Andrea Kaiser (Moderatorin) und Daniel Abt (Experte). Live aus Saudi-Arabien berichten zudem Matthias Killing und Christian Danner. Die Übertragungen der Rennen beginnen jeweils 30 Minuten vor dem Start, also um 17:30 Uhr. Einen deutschsprachigen Kommentar bietet darüber hinaus der Pay-TV-Sender Eurosport 2 an.
Zudem sind diesmal die Qualifyings live im Free-TV zu sehen: Das K.-o.-Zeitfahren um die besten Startplätze zeigt der kleinere Schwestersender ProSieben Maxx am Freitag und Samstag jeweils ab 13:30 Uhr live. Beide Qualifikationen sowie die Rennen sind auch im Stream auf ran.de zu sehen.
Alle anderen Sessions - insgesamt drei Freie Trainings - können Formel-E-Fans auf e-Formel.de im Livestream verfolgen. Wir begleiten das Rennwochenende zudem in unserem Liveticker, der sich auch gut als "Second Screen" für zusätzliche Informationen oder als Lösung für unterwegs anbietet.
>>> TV- & Livestreams zum Formel-E-Rennen in Saudi-Arabien
Für Formel-E-Fans in Österreich zeigt ORF Sport+ Zusammenfassungen beider Renntage: Der Saisonauftakt wird am Freitag ab 22:15 Uhr wiederholt, samstags startet die zeitversetzte Übertragung des zweiten Rennens um 23:00 Uhr. In der Schweiz hat der Bezahlsender MySports die Lizenzvereinbarung mit der Formel E verlängert und wird auch 2022 alle Sessions der Elektro-WM ausstrahlen.
Wettervorhersage | Temperatur-Differenz mit Konsequenzen
Vor dem Diriyya E-Prix bereiten sich die Teams und Fahrer auf einen typischen Januar in Saudi-Arabien vor: Im Verlauf beider Renntage steigen die Temperaturen auf bis zu 18 Grad Celsius. Die Regenwahrscheinlichkeit liegt dank meist klarem Himmel voraussichtlich bei null Prozent. Entscheidend könnte allerdings der Umgang mit dem Tag-Nacht-Wechsel werden: Zum Rennstart um 20 Uhr Ortszeit könnten die Temperaturen bereits in Richtung der 10-Grad-Celsius-Marke sinken - nachts wird es mit nur sechs Grad Celsius eher kühl. Die Sonne geht an den Renntagen um 17:45 beziehungsweise 17:46 Uhr Ortszeit unter.
Fast Facts | Diriyya
- Unfälle sind auf der Hochrisiko-Strecke in Diriyya nicht ungewöhnlich. Bei jeder Ausgabe des E-Prix gab es eine Rennneutralisierung: Die Safety-Car-Wahrscheinlichkeit in Saudi-Arabien liegt statistisch bei 100 Prozent!
- Diriyya soll entweder im Jahr 1446 oder 1447 von Mani' Al-Muraydi, dem ältesten Vorfahren der heutigen Königsfamilie Saudi-Arabiens, gegründet worden sein. Die Stadt ist aber nicht die älteste im Formel-E-Kalender: Rom, Seoul, Monaco und Berlin haben eine längere Historie als Diriyya.
- Im Jahr 2030 soll Diriyya aufgrund seiner "Historie und Rolle als Kultursymbol" zur arabischen Kulturhauptstadt werden. Dies kündigte die Organisation für Bildung, Kultur und Wissenschaft der Arabischen Liga (ALESCO) im vergangenen Dezember an.
- Antonio Giovinazzi gibt beim Diriyya E-Prix 2022 sein Debüt in der Formel E. Er ist nach Jean-Eric Vergne, Sebastien Buemi, Stoffel Vandoorne, Pascal Wehrlein, Lucas di Grassi und Andre Lotterer der insgesamt siebte Fahrer im aktuellen Feld, der vor seiner Zeit in der E-Serie in der F1 startete. Dabei hat er die meisten Grands Prix bestritten.
- Insgesamt 170 LED-Flutlichtmasten erhellen die Formel-E-Strecke in Diriyya bei Nacht. Sie werden errichtet von der Schweizer Firma DZ Engineering. Zur Stromversorgung verlegt die Elektroserie mehr als 50 Kilometer Kabel.
"No Turning Back" - Der offizielle Trailer zur Formel-E-Saison 8
Prognose | "Welpenschutz" für Rookies, Erwartungen an Werksteams
In der vergangenen Saison war Mercedes-Fahrer Nyck de Vries in Diriyya das Maß aller Dinge. Der Niederländer dominierte am ersten Renntag des Jahres alle Sessions und gewann souverän, ehe ihm am zweiten Tag eine Qualifying-Sperre einen Strich durch die Rechnung machte. Da die Hardware der Antriebe zwischen 2021 und 2022 nicht verändert wurde, ist auch in diesem Jahr mit den "Silberpfeilen" beziehungsweise deren Kundenteam Venturi zu rechnen.
Ungewiss ist, wie sich Andretti und das jüngst umbenannte Team Envision (ehemals: Virgin) schlagen werden. Beide treten ebenfalls mit Kundenantrieben aus 2021 an, jedoch wurde der werksseitige Support der Zulieferer BMW und Audi auf ein Minimum reduziert. Fahrerisch können Robin Frijns, Nick Cassidy und Jake Dennis gewiss vorn mithalten. Dem Rookie Oliver Askew gestehen wir noch einen gewissen "Welpenschutz" zu.
Rund die Hälfte des Fahrerfeldes zählt in Diriyya nichtsdestotrotz zum Favoritenkreis. DS Techeetah hegt nach einer einigermaßen "verkorksten" Saison 2021 mit Gesamtrang 3 Rachegelüste. Jaguar will mit seinem Topduo Mitch Evans/Sam Bird in Saudi-Arabien eine WM-Titelkampagne starten, und Porsche schielt auf den ersten Sieg in der Formel E. Eine Rolle wird dabei auch die von 200 auf 220 kW erhöhte "Standardleistung" der Autos spielen. Von den Teams ist einerseits mehr Effizienz denn je gefordert, andererseits erhöht sich durch die Extrapower auch der Verschleiß der ohnehin streng limitierten Reifen.
Ein großes Augenmerk wird in Diriyya zudem auf dem neuen Qualifying-Format liegen. Das K.-o.-System soll für mehr Ausgeglichenheit sorgen, zugleich aber auch die Spannung des bisherigen Super-Pole-Systems wahren. Nach einem Probelauf bei den Vorsaison-Tests in Spanien verlängerte die FIA die Zeit der Gruppenphase von zehn auf zwölf Minuten. Wir sind gespannt, wie gut das neue Qualifying funktioniert!
Übrigens: Auch in der Formel-E-Saison 2022 haben unsere Leser:innen eine kostenlose Community-Tippspiel-Runde organisiert. Wer mitmachen möchte, hat noch bis zum Wochenende Zeit, die ersten Tipps abzugeben oder sich neu anzumelden!
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