Formel E

Formel-E-Teamchefs schwärmen vom Gen3-Auto: "Technologie nicht weit weg von unmöglich"

Timo Pape

Timo Pape

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Noch steckt die Formel E mitten in ihrer letzten Gen2-Saison, doch bereits im nächsten Meisterschaftsjahr wird das vollkommen neue Gen3-Fahrzeug an den Start gehen. Die Teamchefs von Jaguar und Envision - James Barclay und Sylvain Filippi - schwärmen bereits jetzt von den bahnbrechenden Technologien, die die Formel E mit ihrer dritten Generation einführen wird.

Das künftige Gen3-Auto (zur Bilder-Galerie) wird nicht nur leichter, sondern auch deutlich schneller. Der Elektromotor stellt künftig 350 kW anstatt der heutigen 250 kW Leistung zur Verfügung. Hinzu kommt eine enorm hohe Rekuperationsleistung (600 kW) und - damit verbunden - fehlende Heckbremsen sowie geplante Schnellladeboxenstopps während der Rennen.

"Wenn die Fahrer im Qualifying-Mode mit 350 kW fahren, werden wir häufig durchdrehende Räder sehen. Wir haben schließlich keine Slicks, und der Leistungssprung ist schon enorm", prophezeit Jaguar-Motorsportchef Barclay in einer virtuellen Medienrunde, an der auch 'e-Formel.de' teilnahm. "Zudem werden wir deutlich leichter - etwas leichter als ein Formel-1-Auto." Schon Formel-E-Testfahrer Benoit Treluyer hatte vor einigen Wochen von seinen Fahreindrücken und der Leistungsfähigkeit des Gen3-Autos geschwärmt.

Mit Stolz blickt Barclay auf die Entwicklung der Formel E in den vergangenen sieben Jahren zurück und freut sich auf die nächsten Etappenziele. "In Gen1 sollten die Rennen eigentlich rund 20 Minuten lang sein. Dann hat man aber festgestellt, dass du für eine TV-Übertragung schon um die 45 Minuten brauchst. Die Autos waren dafür aber nicht gebaut worden, deshalb hatten wir zwei Autos pro Fahrer und den Wechsel zur Mitte des Rennens."

Schnellladen als nächster Evolutionsschritt

"Es war klar, dass wir in Gen2 davon wegkommen mussten", erinnert sich Barclay, der mit Jaguar zur dritten Saison in die Formel E kam. "Gleichzeitig wollten wir die Leistung erhöhen. Wir haben das erreicht, indem wir die Batteriekapazität erhöht und die Antriebsstränge effizienter gemacht haben. In Gen3 lautet die Story 'schneller und leichter', und gleichzeitig kommt das Schnellladen hinzu. Das wird ein zentraler Punkt und wohl das größte Gesprächsthema in der Gen3-Ära."

Barclay verspricht sich in sportlicher Hinsicht einige Vorteile durch die neue Schnellladetechnologie: "Wir werden sehen, wie genau das im Rennen aussehen wird - ob wir während des Rennens eine Art Schnellladevorgang haben werden. Das ist jedenfalls das, was wir alle erwarten. Es wird spannend zu sehen, ob es dann verschiedene Boxenstoppstrategien gibt. Undercuts oder Overcuts, wie wir sie aus der Formel 1 kennen."

Für den Südafrikaner besitzt das Schnellladen neben der Formel E eine große Relevanz für den Straßenverkehr: "Die meisten Autos haben inzwischen ausreichend Akkukapazität, deshalb ist die Ladeinfrastruktur (für Autofahrer) das Hauptthema. Die Durchschnittszeit beim herkömmlichen Auftanken beträgt ungefähr 4,5 Minuten. Beim Schnellladen soll es in Zukunft ähnlich sein, und das wollen wir demonstrieren."

Barclay findet fehlende Heckbremse "wirklich unglaublich"

Ein weiteres großes Gen3-Thema ist für ihn die Tatsache, dass das neue Auto hinten keine Bremsen mehr haben wird. "Das ist wirklich unglaublich, wenn man mal darüber nachdenkt", findet Barclay. "Nur die Rekuperation des Motors wird letztlich für die Verzögerung sorgen. Der Mix aus mechanischer Frontbremse und regenerativer Heckbremse wird entscheidend für die Balance des Autos sein - es muss sich (für die Fahrer) richtig anfühlen. Das wird echt cool."

Die fehlende Heckbremse werde auch mit Blick auf die Leistung der Piloten sehr relevant: "Für die Fahrer ist das Vertrauen in ihr Bremspedal absolut maßgeblich, wenn sie mit Volltempo auf eine Mauer zusteuern. Dem Piloten dieses Selbstbewusstsein zu geben - Runde für Runde -, wird entscheidend sein. Ganz sicher wird uns das Thema auch einige Kopfschmerzen bereiten. Zumindest basierend auf dem, was unsere Simulationen bisher zeigen, aber es ist natürlich noch sehr früh."

Außerdem könnte auch diese Technologie Einzug in den Straßenverkehr halten, "denn auch Bremsstaub ist eine Emission, die wir loswerden wollen", gibt Barclay zu bedenken. "Das Thema Rekuperation ist ein Alleinstellungsmerkmal für E-Autos. Die Formel E ist also auch an dieser Stelle eine großartige Testplattform. Das ist schon eine echt coole Ergänzung für Gen3."

Filippi: Mit Technical-Roadmap "ein echtes Zeichen gesetzt"

Envision-Racing-Teamchef Sylvain Filippi, ebenfalls Teil der Medienrunde, rückt diese einzelnen Aspekte des Gen3-Autos in einen größeren Kontext: "Die Technical-Roadmap (der technische Fahrplan der Formel E) sieht wirklich vielversprechend aus. Als Kollektiv haben wir gemeinsam mit der FIA ein echtes Zeichen gesetzt, glaube ich. Es sollte alles gerade so umzusetzen sein, aber wir sind nicht weit weg von unmöglich. Wir sind wirklich ambitioniert, was die Technologie in den Autos angeht."

Der Franzose lobt den Ansatz, die Vorteile eines E-Autos immer konsequenter auszunutzen. "Bei einem Verbrenner kannst du zwar die Leistung erhöhen, aber dann geht das auch einher mit dem Gewicht. Wir hingegen haben die Möglichkeit, jede einzelne Matrix für sich zu verbessern: Leistung, Gewicht, Effizienz. Die Fahrzeuge werden gigantisch."

"Und diese Technologie steckt immer noch in den Kinderschuhen", gibt Filippi zu bedenken. "Dennoch pushen wir manche Bereiche schon jetzt an ihre Limits. Bei der Effizienz sind wir schon nah an Perfektion. Das liebe ich so an der Formel E: Wir arbeiten nicht nur am Limit, sondern verschieben tatsächlich die Grenzen des Machbaren. Das ist einfach superaufregend."

Teamchefs warten auf Gen3-Reglement: "Echt nicht viel Zeit"

Filippi gibt ein Beispiel für den Pioniergeist in der Formel E: "Um allein die 600 kW Rekuperationsleistung mal in Relation zu setzen: Der Jaguar I-Pace, also ein aktuelles Straßenauto, erreicht ca. 80 kW. 600 kW würden die Bremsen eines Straßenautos regelrecht zerschmettern." Die Formel E zeige somit, was die Autos der Zukunft können werden. "Wir werden unsere Batterien viel schneller laden als alles, was da draußen auf dem Markt bisher existiert. Du wirst ein Auto künftig ganz anders designen können."

Wann die FIA die Sportlichen Regularien für die nächste Saison bekannt geben wird, ist noch unklar. Nicht nur die Fans lechzen nach weiteren Gen3-Details: "Wir warten auf das Sportliche Reglement - das kennen wir noch nicht", gibt Barclay zu. Filippi erklärt: "Die Regeln werden erst in ein paar Monaten vor dem ersten Rennen veröffentlicht. Dann müssen wir die Software und alles Mögliche entwickeln. Das ist echt nicht viel Zeit."

Die neunte Formel-E-Saison beginnt voraussichtlich Ende dieses Jahres oder Anfang 2023. Ein erster Rennkalender-Entwurf dürfte in etwa drei Monaten veröffentlicht werden.

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