Formel E

WM-Generalprobe: Vorschau auf die Vorsaison-Testfahrten der Formel E in Valencia

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Die Sommerpause 2020 ist beendet: Gut dreieinhalb Monate nach dem Berlin E-Prix steht die Formel E endlich wieder in den Startlöchern, und zwar für ihre erste WM-Saison. Ehe die Teams am 16./17. Januar 2021 beim Saisonauftakt in Chile aufeinandertreffen, beginnen am kommenden Wochenende die obligatorischen Vorsaison-Testfahrten in Valencia. Was die Fahrer und Teams erwartet, erfährst du in unserer großen Vorschau.

In den vergangenen Monaten bereiteten sich die Rennställe im Rahmen von Privat-Tests intensiv auf den inoffiziellen Saisonauftakt in Santiago de Chile vor. Durch neue Sparmaßnahmen der FIA können alle Hersteller zwar weiterhin ihre Motoren entwickeln, werden aber lediglich ein Aggregat in den nächsten zwei Jahren homologieren dürfen. Einige Rennställe werden die Saison daher direkt mit ihren neuen Motoren beginnen, andere erst im Laufe des nächsten Jahres einen neuen Antrieb an den Start bringen.

Traditionell gilt der Valencia-Test als wenig repräsentativ für das eigentliche Kräfteverhältnis. Schließlich ist der Rundkurs keineswegs vergleichbar mit den üblicherweise langsamen und kurvenreichen Straßenstrecken der Formel E. Wie gewohnt geht es in diesem Jahr also primär um die Strapazierfähigkeit der Autos, Software-Einstellungen und das vorsichtige Beäugen der Konkurrenz, weniger um Bestzeiten und Höchstgeschwindigkeiten.

Stadt, Land, Fluss

Valencia liegt im Osten der iberischen Halbinsel an der Mittelmeerküste Spaniens. Nach Madrid und Barcelona ist Valencia mit knapp 800.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes. Die Geschichte des Ortes reicht bis ins zweite Jahrhundert vor Christus zurück, als "Valentia" vom römischen Konsul Decimus Iunius Brutus Callaicus gegründet wurde. In den folgenden Jahrhunderten stand die Stadt unter wechselnden christlichen und islamischen Herrschaftseinflüssen, ehe das Königreich Valencia schließlich im Jahr 1238 zu einem Teil der Krone von Aragon wurde.

Die ereignisreiche Geschichte ist noch heute im Stadtbild zu erkennen. Zu den Wahrzeichen der Stadt gehören etwa das frühere Stadttor Torres de Serranos, die Kathedrale von Valencia, die Stierkampfarena, zahlreiche Klöster und das moderne L'Oceanografic-Aquarium. Die Formel-E-Teststrecke, der Circuit Ricardo Tormo, liegt rund 25 Kilometer westlich von Valencia, unweit der Stadt Cheste.

Fotos: Lou Johnson / Spacesuit Media

Was in der Formel-E-Sommerpause passierte

Auf dem Fahrermarkt der Formel E ging es in den vergangenen Wochen und Monaten heiß her. In Valencia wird Sam Bird seinen ersten öffentlichen Test mit Jaguar Racing bestreiten. Birds Landsmann Alexander Sims wechselte in der Sommerpause von BMW zu Mahindra, wo er Jerome d'Ambrosio (inzwischen Co-Teamchef bei Venturi) ersetzt. Sims' bisheriges BMW-Cockpit ging überraschend an den britischen Youngster Jake Dennis.

Ebenfalls neu dabei sind Nick Cassidy (Virgin) und Norman Nato (Venturi). Pascal Wehrlein wird erstmals einen öffentlichen Test für seinen neuen Arbeitgeber Porsche bestreiten, Rene Rast tritt sein neues Formel-E-Stammcockpit bei Audi an. Außerdem ist Tom Blomqvist zurück in der Formel E, nachdem er bei Nio unterkam.

Die Formel E passte in den letzten Monaten zudem ihren Rennkalender 2021 nachträglich an. Durch steigende Corona-Fallzahlen und Reisebeschränkungen wurden dabei die Rennen in Mexiko und China auf unbestimmte Zeit verlegt. Stattdessen sollen nun zwei statt ursprünglich nur einem Rennen in Chile stattfinden. Der Santiago E-Prix wird als "Geisterrennen" ohne Zuschauer ausgetragen, wie auch die Testfahrten von Valencia. Anschließend geht es zu den ersten beiden Nachtrennen der Formel E nach Saudi-Arabien.

18 Stunden auf der Rennstrecke: Der Zeitplan

Insgesamt vier Tage wird die Formel E in Valencia verbringen, einer davon ist jedoch für Medienaktivitäten reserviert. Die Boxenampel schaltet für den ersten dreistündigen Test am Samstag um 9 Uhr auf "Grün". Nach einer Mittagspause beginnt um 14 Uhr die zweite Session, die ebenfalls für drei Stunden angesetzt ist. Der Sonntagstest findet nach dem gleichen Schema statt. Der darauffolgende Montag ist für Medienaktivitäten reserviert, beispielsweise für Interviews oder das obligatorische Fotoshooting für die TV-Einblendungen. Neue Fahrer absolvieren am Montag zudem einen Sicherheitskurs, der Voraussetzung für den Erwerb einer E-Lizenz ist.

Der letzte Testtag findet am Dienstag, dem 1. Dezember, statt. Ungewöhnlich für die Formel E: Geplant ist lediglich eine Session mit einer Dauer von sechs Stunden. Der Test beginnt erneut um 9 Uhr morgens, ist allerdings bereits um 15 Uhr ohne zwischenzeitliche Pause beendet. Anschließend beginnt die Aufräumarbeit an der Rennstrecke, sodass kurz nach dem Test die Fracht aller Teams in Richtung Chile verschifft werden kann.

 

Samstag, 28.11. Sonntag, 29.11.

Montag, 30.11.

Dienstag, 01.12.

Vormittag 09:00 - 12:00 09:00 - 12:00

Ruhetag

09:00 - 15:00

Nachmittag 14:00 - 17:00 14:00 - 17:00

Ruhetag

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Rundkurs statt Straßenschluchten: Die Strecke

Auf dem Circuit Ricardo Tormo werden seit 2017 die jährlichen Vorsaison-Tests der Formel E abgehalten. Die Elektroserie nutzt die nationale Variante der permanenten Rennstrecke in Cheste. Eine wichtige Änderung in diesem Jahr: Die Schikane auf der Hauptgeraden wird für die Tests entfernt. In den letzten Saisons kam es an dieser Stelle immer wieder Unfällen, die die Reparaturkosten der Teams in die Höhe trieben. Um die Portemonnaies der Rennställe zu schonen und Reparaturzeit zu sparen, will die Rennleitung in diesem Jahr auf das "Nadelöhr" verzichten - durchaus zur Missgunst der Fahrer, weil die Strecke dadurch noch weniger repräsentativ ist.

Die neue Version des Valencia-Kurses sorgt für eine Verkürzung der Streckenlänge auf 3,099 Kilometer. Die verbleibenden zehn Kurven sind für die Formel E ausgesprochen untypisch: Statt eines für enge und scharfe Kurven abgestimmten Fahrzeugs ist für eine schnelle Runde in Spanien ein guter "Flow" vonnöten. Dieses Jahr wird die Formel E erstmals auf die Einhaltung der Streckenbegrenzungen achten und unter Umständen Rundenzeiten löschen. Besonders in der Highspeed-Kurve 1 und ausgangs der letzten Linkskurve müssen die Fahrer also auf die Streckenlimits achten.

Wettervorhersage: Das letzte bisschen Sommer

Es ist kein Geheimnis, dass die Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Wettervorhersagen über einen größeren Zeitraum teils stark eingeschränkt ist. Folgt man jedoch den aktuellen Prognosen, müssen sich die Teams auf einige ungemütliche Tage einstellen: An allen Testtagen besteht derzeit (Stand: Dienstag) eine Regenwahrscheinlichkeit. Insbesondere der erste und letzte Testtag könnten nass werden. Die Temperaturen klettern im Verlauf des Formel-E-Tests voraussichtlich bis auf 18 Grad Celsius.

Zu einem weiteren Faktor könnten an den ersten zwei Testtagen zudem die Lichtverhältnisse werden: Das Ende der Sessions ist jeweils für 17 Uhr angesetzt, und die Sonne geht bereits um 17:38 Uhr unter. Abhängig von der Bewölkung könnte dies entweder für einen goldenen November-Himmel oder für verfrühte Dunkelheit sorgen, die die Teams vom Testen abhalten könnte.

Valencia: Fast Facts

  • Mehrere Jahrhunderte lang lag Valencia am Ufer das Flusses Turia. Nach einer verheerenden Überflutung im Jahr 1957, bei der einige Straßen bis zu fünf Meter unter Wasser standen, entschied sich die Stadt kurzerhand, den Fluss umzuleiten. Das ehemalige Flussbett wurde zum größten öffentlichen Park Spaniens umfunktioniert.
  • Mehrere Kurven auf dem Circuit Ricardo Tormo sind nach bekannten Motorsport-Persönlichkeiten benannt. Die Kurven 1, 2 und 6 sind den mehrfachen Motorrad-Weltmeistern Jorge "Aspar" Martinez, Mick Doohan und Angel Nieto gewidmet, Kurve 10 dem spanischen Rennfahrer und Teamgründer Adrian Campos. Die Rennstrecke selbst bekam ihren Namen vom zweifachen 50-ccm-Weltmeister Ricardo Tormo, der 1998 an Leukämie verstarb.
  • Als wäre 2020 schon nicht genug: Das Wappentier der Stadt Valencia ist eine Fledermaus. Laut einer Legende half eine aufgeschreckte Kolonie Fledermäuse der Armee des Königs bei der Rückeroberung der Stadt von den Mauren.
  • Jahr für Jahr drehen die Formel-E-Fahrer mehr Runden in Valencia als auf allen anderen Strecken im Rennkalender. Bei den Vorsaison-Tests 2019 absolvierten die Piloten gemeinsam 3.962 Runden - das sind mehr als 12.200 Test-Kilometer!
  • Das beliebte spanische Reisgericht Paella stammt aus der Region um Valencia. Um den Kurs einmal zu umrunden, müsste man 2.681 große Pfannen nebeneinander aufreihen. Guten Appetit!

Nach dem Test nicht schlauer als vorher: Unsere Prognose

Wie in jedem Jahr gilt für Valencia: Keineswegs sollte man die Rundenzeiten zu ernst nehmen. Der Circuit Ricardo Tormo ist schlicht zu wenig repräsentativ für die üblichen Formel-E-Strecken, um Beobachtern ein klares Bild des Kräfteverhältnisses vermitteln zu können. Schnelle Runden sprechen selbstverständlich für ein gutes Auto. Doch wie konkurrenzfähig die Fahrzeuge tatsächlich sind, hängt vor allem von der Effizienz ab, und die wird sich erst in Santiago abschätzen lassen.

Außerdem ist nicht bekannt, welche "Testing Items" die Teams in ihren Rundenplänen stehen haben. Viele Hersteller wollen mit Sicherheit die Strapazierfähigkeit und Ausdauer ihrer Antriebskomponenten überprüfen. Über den Zeitpunkt und Umfang dieser Tests erfahren wir Medien allerdings genauso wenig wie die Konkurrenten. Falls ein Team den Valencia-Test nur im Mittelfeld abschließt, lässt dies keineswegs auf einen Nachteil für den Saisonstart schließen.

Alle Teams müssen die Vorsaison-Testfahrten mit den Antriebssträngen bestreiten, die sie beim Auftaktrennen in Santiago einsetzen wollen. Folglich können DS Techeetah und Nissan e.dams, die das Jahr mit ihren alten Motoren beginnen wollen, den Spanien-Test nicht für umfangreiche Programme mit ihren neuen Aggregaten nutzen. Beide Teams müssen die Zeit in Valencia daher als "Shakedown" für ihre Motoren der Saison 2019/20 nutzen, die seit dem Berlin E-Prix im August nicht eingesetzt wurden. Frühestens ab dem 1. April 2021 werden diese Hersteller mit ihren neuen Antriebssträngen antreten können.

Wie bereits in den letzten Jahren begleitet e-Formel.de selbstverständlich auch den Valencia-Test 2020 in aller Ausführlichkeit für dich. Neben Berichten, Analysen und aktuellen Meldungen von der Rennstrecke bieten wir auch dieses Jahr unseren beliebten LGT Formel E Live-Ticker an, in dem wir euch mit Echtzeit-Updates aus Spanien versorgen.

Titelfoto: Jamie Sheldrick / Spacesuit Media

VIDEO: Eine virtuelle Runde auf dem Circuit Ricardo Tormo

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