Formel E

Hankook-Ingenieur Baltes im Interview: Lauffläche des Formel-E-Reifens "aus 2 verschiedenen Gummimischungen"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Nach acht Saisons mit Pneus von Michelin geht die Formel-E-Weltmeisterschaft 2023 am kommenden Wochenende erstmals mit Reifen des südkoreanischen Herstellers Hankook an den Start. Mit der Entwicklung des Allwetterreifens Hankook iON Race betritt das Unternehmen dabei Neuland. 'e-Formel.de' hatte bei den Vorsaison-Testfahrten in Valencia die Gelegenheit, exklusiv mit dem Motorsport-Chefingenieur von Hankook, Thomas Baltes, zu sprechen.

Thomas, worauf habt ihr bei der Entwicklung des Hankook iON Race für die Formel E den Fokus gelegt?

Generell bestand die Herausforderung bei diesem Projekt darin, dass wir bei Null anfangen mussten. Es war ein völlig neues Fahrzeug und für uns von Hankook damit eine völlig neuartige Herausforderung. Wir haben die FIA-Ausschreibung für die Formel-E-Weltmeisterschaft für uns entschieden, lange bevor das Gen3-Auto entwickelt war. Das hat uns gezwungen, nach Alternativen zu suchen, um die Testreihen zu beginnen.

Wie seid ihr dabei vorgegangen?

Zuerst ging es um die Konstruktion und die Reifendimensionen, dann um die Richtung des ersten Prototypreifens. Erst als der fahrbereite Prototyp zur Verfügung stand, begann die eigentliche Reifenentwicklung unter realen Bedingungen. Im Laufe dieser Entwicklungsarbeiten wurden dann alle Parameter Schritt für Schritt aufeinander abgestimmt, um letztendlich den Reifen der Formel E für die neue Generation zu präsentieren. In Mexiko City werden wir sehen, wie das finale Ergebnis unter Wettbewerbsbedingungen performt.

Was für Vorgaben wurden denn seitens der FIA gemacht?

Für eine Weltmeisterschaft gibt es ganz klare Richtlinien, die ein Reifen zu erfüllen hat. Das sind zum Beispiel Haltbarkeit, die Trocken- sowie Nass-Performance, aber auch sehr unterschiedliche Fahrbahnbeschaffenheiten, da die Rennen ja zumeist auf Stadtkursen gefahren werden. Derartigen Herausforderungen stehen wir im Motorsport immer wieder gegenüber, allerdings ist die Formel E aus oben genannten Gründen eine sehr besondere Herausforderung für den Reifenhersteller.

Du sagtest, ihr habt versucht, das Auto zu simulieren. Wie seid ihr da vorgegangen?

Da es zu Beginn der Entwicklung noch kein Gen3-Auto gab, mussten wir uns anderweitig behelfen, um die Basis unserer Entwicklungsarbeit abzuschließen. Das taten wir mit einem stark modifizierten Formel-Fahrzeug, welches in seiner Charakteristik einem Formel-E-Fahrzeug sehr nahekam.

Lucas di Grassi sagte im Rahmen der Pressekonferenz hier in Valencia, dass die Reifen so hart seien, dass man auf einem Reifensatz die gesamte Testwoche bestreiten könne. Ist das wirklich so, oder übertreibt di Grassi?

Solche Äußerungen bewerten wir generell nicht - aber es spricht doch zwischen den Zeilen für das Produkt Hankook.

Das Thema Rundenzeiten kam hier in Valencia auch schon auf…

Natürlich liegt bei vielen das Hauptaugenmerk zunächst auf der Rundenzeit. Was dabei aber nur am Rande - wenn überhaupt - berücksichtigt wird, ist, dass in Valencia der finale Test der Teams stattfindet. Es wird zwar auch auf Zeiten geachtet, aber das Hauptaugenmerk liegt auf anderen Dingen. Dazu kommt, dass die Streckenverhältnisse hier andere sind, als sie in der Saison auf nicht permanenten Rennstrecken vorgefunden werden.

Im Sportlichen Reglement der Formel E ist seit dieser Saison verankert, dass die Fahrer auf dem Weg vom Dummy-Grid zur Startaufstellung die Reifen nicht mehr durchdrehen lassen dürfen. Gibt es aus Sicht von Hankook dafür einen Grund?

Nein, aus Sicht von Hankook gibt es dafür keinen speziellen Grund. Das Reglement wurde diesbezüglich nicht auf unseren Wunsch hin geändert. Die Vermutung liegt nahe, dass das "Aufheizen" der Reifen damit unterbunden werden soll, sodass für alle die gleichen Ausgangsbedingungen gelten.

In der letzten Saison hatten wir in New York City die Situation, dass es kurz vor Rennende zu regnen begonnen hat. Da die Reifen nicht mehr viel Profil hatten, kam es zu Aquaplaning. Wie stellt ihr sicher, dass das mit euren Reifen nicht passiert?

Das ist genau eine der großen Herausforderungen der Formel E und eines der Themen, denen wir besondere Aufmerksamkeit während der Entwicklung geschenkt haben: einen Reifen zu entwickeln, der von Anfang bis Ende eine stabile Performance gewährleistet - auch auf nasser Fahrbahn.

Es spielte also bei der Entwicklung eine Rolle, dass die Reifen auch gegen Rennende noch so viel Profil haben, damit im Falle eines Regenschauers kein Aquaplaning auftritt?

Ab einer gewissen Wassertiefe auf der Fahrbahn kann es immer zu Aquaplaning kommen. Unser Ziel ist es, dem Fahrer jederzeit - auch am Ende eines Rennens - so viel Reifenprofil zur Verfügung zu stellen, dass er solche Situationen beherrschen kann.

In der Formel 1 hat der Reifenhersteller verschiedene Reifenmischungen, aus denen er die Reifen aussucht, die für die Strecke am besten passen. Auch in der Formel E gibt es Rennen bei eher kühlen Bedingungen auf der einen Seite und Hitzerennen auf der anderen Seite. War es nie eine Option, hierfür unterschiedliche Reifenmischungen zu entwickeln?

Die Zielsetzung der Formel E ist eine völlig andere. Mit verschiedenen Mischungen an der Start zu gehen, würde derzeit nicht das sein, wofür die Formel E steht.

Es handelt sich also immer um eine Kompromisslösung?

Am Ende des Tages ist ein Reifen - für welchen Einsatz auch immer - eine Art von Kompromiss. Das gilt auch für die Formel E. Allerdings sprechen wir hier auch von High-End-Rennfahrzeugen und einem Reifen, der alle an ihn gestellten Anforderungen erfüllen muss.

Wie genau sieht denn dieser Kompromiss bei eurem Reifen aus?

Das Besondere am Hankook iON Race ist, dass es sich um einen völlig neuentwickelten Hybridreifen handelt. Vereinfacht gesagt, besteht die Lauffläche aus zwei verschiedenen Gummimischungen. Die Reifeninnenseite ist für den benötigten Nassgrip und der äußere Bereich für den Trockengrip verantwortlich. Das ist natürlich für die Fahrer eine weitere neue Herausforderung, sich an den neuen Hankook iON Race zu gewöhnen, um seine gesamte Performance auszuschöpfen.

Habt ihr das denn schon einmal gemacht - zwei verschiedene Gummimischungen bei einem Reifen verwenden?

In Versuchsreihen haben wir diese Technologie bereits seit Längerem getestet. Mit der Formel E und deren besonderen Herausforderungen hat sich Hankook entschieden, diese Technologie hier zum Einsatz zu bringen - eine neue innovative Generation von Hankook-Rennreifen für Elektro-Rennfahrzeuge.

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