Formel E

Jamie Reigle im Portrait: Vom Superbowl zum Formel-E-Geschäftsführer

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Los Angeles, 10. September 2017. Im ovalen Memorial Coliseum, dem Stadion des lokalen American-Football-Teams, fiebern bei Temperaturen von 30 Grad Celsius über 60.000 begeisterte Sportfans dem Saisonauftakt der heimischen "Rams" entgegen. Das Duell gegen die Gäste aus Indiana ist das erste Spiel für den jungen Cheftrainer Sean McVay, der das Team in den vorausgegangenen Monaten mit einem neuen Führungsstab verstärkt hatte.

Das Stadion tobt, während die Spieler der Rams und Indianapolis Colts mit Pyro-Effekten durch die Endzonen des Feldes laufen, um sich aufzuwärmen. Michelle Williams, einst neben Beyonce und Kelly Rowland Mitglied von "Destiny's Child", setzt kurz darauf zu ihrer Darbietung der Nationalhymne an, die im "Flyover" eines C-130-Hercules-Transportflugzeuges der US-Streitkräfte gipfelt. Es wird gejubelt, gerufen und gesungen. Dann geht es los. Kick-off. Die NFL-Saison 2017 ist eröffnet. Mittendrin: der Kanadier Jamie Reigle.

Reigle, der kürzlich als neuer Geschäftsführer der Formel E und Nachfolger von Alejandro Agag vorgestellt wurde, hatte erst wenige Wochen zuvor seinen Arbeitsvertrag in L.A. unterschrieben. In seiner damaligen Rolle als "exekutiver Vize-Präsident für Geschäftsoperationen" kümmerte er sich unter anderem um den Ticketverkauf des Teams. Auch die Führung der Finanz-, Marketing- und Strategie-Abteilungen der Mannschaft, die Beziehungspflege zu Partnern und Medien sowie die Leitung von allen weiteren geschäftlichen Angelegenheiten fielen in seinen Aufgabenbereich. In der nordamerikanischen American-Football-Liga NFL ist dies kein kleines Unterfangen, schließlich waren die Rams bereits 2017 drei Milliarden US-Dollar wert - Tendenz steigend.

"Goodbye Canada" mit 18 Jahren

Unvorbereitet ging Reigle dennoch nicht an sein neues Projekt in der "Stadt der Engel". "Ich war 18, als ich ausgewandert bin", erinnert sich der heute 42-Jährige bei 'La Presse' an seine Vergangenheit. Aufgewachsen ist Reigle in Morin-Heights in der Provinz Quebec, dem französischsprachigen Teil Kanadas. "Ich hatte schon früh das Ziel einer internationalen Karriere, wusste aber anfänglich nicht so wirklich, in welchem Feld."

"Ich war immer gut im Skifahren. Und als ich mehr mit anderen Athleten zu tun hatte, hat sich mir das Tor zur Welt geöffnet. Ich war neugierig und wollte unbedingt reisen." Sein Talent auf zwei Brettern brachte ihn anfänglich an die US-Elite-Universität in Dartmouth, wo er 1999 einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften machte und Teil des NCAA-Ski-Alpin-Teams war. Nach einer kurzen Zeit bei JP Morgan, der Carlyle-Gruppe und einem Master-Abschluss im Fach "Business Administration" in Stanford folgte 2005 ein Job-Angebot des britischen Fußball-Clubs Manchester United - ein steiler Karrierepfad.

"Das war ein echter Zufall", sagt Reigle. "Mein Chef bei JP Morgan hatte Kontakte zur Glazer-Familie. Und als sie Manchester United aufkauften, fragte er mich, ob ich mit ihm nach London gehen würde. Ich habe mich also nicht einmal für den Job beworben, gar nichts. Ich war gerade einmal 30."

Steiler Aufstieg mit Manchester United in Hongkong

Seine Karriere bei Manchester United führte ihn 2012 schließlich in den Fernen Osten nach Hongkong, wo er am Aufbau der Marke des Clubs in Asien beteiligt war. Als Vorstandsmitglied und Finanzchef des Fußballvereins leitete er später unter anderem den globalen Verkauf von Sponsoring- und Spieler-Rechten, die Marketing-Aktivierung und die geschäftliche Strategie.

Allein in Reigles Zeit in Asien stieg der Wert der "Red Devils" laut 'Forbes' von 2,2 auf 3,7 Milliarden US-Dollar. "Meine zwei Kinder sind in Hongkong geboren, aber wir wollten zurück nach Nordamerika", erklärt Reigle. Umso gelegener kam ihm der Anruf von L.A.-Rams-Eigentümer Stan Kroenke, der Reigle 2017 zurück nach Kalifornien holen wollte: "Es ist eine kleine Welt. Stan hat auch den Fußball-Club Arsenal in London besessen, den Rivalen von Manchester United. Wir kannten uns also ein bisschen. Das Projekt, das er mir vorgeschlagen hat, war wirklich einzigartig. Eine globale Marke im Kontext der NFL entwickeln zu dürfen, ist selten."

Vom Superbowl in die Formel E

Auch auf seine Zeit in Los Angeles kann Reigle mit Stolz zurückblicken. Nicht nur gewannen die Rams das 2017er-Auftaktspiel mit einem 46:9-Kantersieg gegen die Colts. Auch fand sich Reigle nur zwei Jahre später im Superbowl wieder, dem Finalspiel der NFL-Saison. Der Wert des Teams stieg in Reigles Zeit auf 3,8 Milliarden US-Dollar - Zahlen, von denen die Formel E derzeit nur träumen kann. Schätzungen zufolge liegt der Wert der Elektroserie derzeit zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro.

Trotzdem freut sich Reigle auf sein neues Projekt in der Formel E, die zu seiner bislang größten Aufgabe werden könnte. "Ich habe die Meisterschaft von Beginn an verfolgt und bewundert, wie schnell Alejandro (Agag) und sein Team eine globale Plattform für den Sport geschaffen haben. Es ist eine Ehre, die Formel E in ihre nächste Entwicklungsphase begleiten zu dürfen", lässt sich Reigle in einer Pressemitteilung zu seiner neuen Arbeitsstelle zitieren. In den nächsten Jahren wird er gemeinsam mit Agag die Leitung der Formel E übernehmen, die im November in ihre sechste Saison startet.

"Er ist einfach die beste Person für diesen Job", ist sich auch Agag vor dem Saisonauftakt sicher. "Wir haben ein unglaublich starkes Team, mit dem wir in der nächsten Zeit stark wachsen werden." Ob Reigle einem Titelgewinn in der Formel E in Zukunft womöglich zum Stellenwert eines Superbowl-Siegs verhelfen kann, steht derzeit noch in den Sternen. Wie an seinen bisherigen Karrierestationen hat er trotzdem ambitionierte Ziele. "Wir wollen", sagt er, "dass die Formel E zu einer großen Plattform für die Nachhaltigkeit wird. Und wir möchten sie zur aufregendsten Serie des gesamten Motorsports machen."

Foto: Los Angeles Rams

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