Formel E

Jean-Paul Driot & e.dams im Portrait: Eine Chronik des Erfolgs

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Es ist Sonntag, der 3. Juli 2016. London präsentiert sich bei strahlendem Sonnenschein und 22 Grad Celsius von seiner schönsten Seite. An den Ufern der Themse schieben sich abertausende Touristen vorbei am London Eye in Richtung der Houses of Parliament. Doch der herrliche britische Sommertag kümmert die Angestellten des Renault e.dams-Teams hinter der Boxenmauer auf dem nördlichen Abschnitt des Carriage Drive im Battersea Park nur wenig.

Sie halten stattdessen den Atem an. Sie warten auf die karierte Flagge, die die Meisterschaft von Sebastien Buemi besiegeln würde. Der Crash in Runde 1, die Arbeit aus den letzten achteinhalb Monaten und der psychologische Kampf gegen Lucas di Grassi sind vergessen. Jetzt geht es nur noch um die schnellste Rennrunde.

Dann, nach exakt 96,525 Kilometern, überquert Nico Prost die Ziellinie. Buemi steht bei seinem Team und feiert. Das Rennen ist vorbei, es ist geschafft: Der Schweizer ist die schnellste Runde gefahren. Er hat di Grassi und ABT den Titel verwehrt und sich selbst zum Meister gekrönt. Renault e.dams gewinnt gleichzeitig nicht nur das Rennen, sondern zum zweiten Mal in Folge auch den Titel in der Teamwertung der Formel E. Es ist ein Tag für die Geschichtsbücher.

Der historische Dreifach-Erfolg, der den Formel-E-Fans noch lange im Gedächtnis bleiben wird, ist das Ergebnis von jahrelanger Arbeit, brennender Leidenschaft und einem Quäntchen Glück. In der Folgesaison sollte e.dams erneut siegreich aus einem Herzschlag-Finale hervorgehen, wenngleich dieses Mal ohne den Fahrer-Titel. Wo liegt das Geheimnis für die e.dams-Triumphe in den ersten Formel-E-Jahren?

Frühe Erfolge von DAMS

Zeitsprung, Herbst 1988. Der französische Öl-Händler, Unternehmer und Motorsport-Fanatiker Jean-Paul Driot tut sich mit dem ehemaligen Formel-1-Piloten Rene Arnoux zusammen, um ein eigenes Rennsport-Team zu eröffnen. Für die Formel-3000-Saison 1989, damals die letzte Stufe auf der Karriereleiter vor der Formel 1, meldet sich das Duo mit ihrem Rennstall "Driot Arnoux Motor Sport" und zwei Fahrzeugen an. Für "DAMS", so die Abkürzung, ist es der Startschuss für eine lange, ruhmreiche Reise.

Der erste Erfolg für DAMS ließ nicht lange auf sich warten. Bereits in der Premierensaison feierten Driot und Arnoux sensationell den Vize-Titel mit Erik Comas. Im Folgejahr wurde der Franzose sogar Meister. Olivier Panis und Jean-Christophe Boullion feierten 1993 und '94 ihrerseits F3000-Titel mit DAMS - alle drei sollten später in die Formel 1 aufsteigen. "Dabei war es anfangs nur ein Hobby", lächelt Driot heute.

"Ich habe den Motorsport immer nur als Leidenschaft von mir angesehen und wollte eigentlich nie das große Geld. Ich bin im Nirgendwo des Zentralmassivs von Frankreich aufgewachsen, da gab es außer kurvigen und steilen Straßen nichts", erinnert er sich auf der offiziellen Website der Formel E. "Mein Vater und ich hatten immer viel Spaß dabei, dort mit unserem Mustang zu fahren. Ich mochte schon immer den Wettbewerb. Und so kam ich eines Tages zum Rennsport."

Ein Jahr nach der Gründung von DAMS verließ Arnoux das Projekt, Driot benannte den Rennstall in "Driot Associes Motor Sport" um. Der Erfolg riss trotzdem nicht ab. Driot beschäftigte in seiner Zeit Ingenieure wie Vincent Gaillardot, Jacky Eeckelaert oder Rob Arnott, die sich später bei e.dams, Venturi und Andretti in der Formel E wiedertrafen. 1990 nahm er schließlich einen wilden, unerfahrenen, aber talentierten 20-jährigen Schotten unter seine Fittiche, dem er 27 Jahre später ebenfalls wieder in der Elektroserie begegnen würde: der heutige Audi-Teamchef Allan McNish.

Vom Öl-Handel zum Elektro-Rennsport

Die Jahre zogen vorbei, und Driot feierte - einmal abgesehen vom gescheiterten Versuch, ein Formel-1-Team aufzubauen - einen Erfolg nach dem nächsten. Ausgehend von der Formel 3000 versuchte sich DAMS zudem immer wieder auch in anderen Serien. So leitete Driot unter anderem Einsätze bei Rennen der FIA-GT-Meisterschaft, den 24 Stunden von Le Mans, der A1-Grand-Prix-Serie, der Formel Renault 3.5 oder dem Formel-Renault-V6-Eurocup.

Mit der Gründung der GP2 im Jahr 2005 brachte sich DAMS schließlich wieder als Talentschmiede für die Formel 1 ins Spiel. In den 13 bisherigen Jahren der GP2/Formel 2 saßen Fahrer wie Jose Maria Lopez, Kamui Kobayashi, Romain Grosjean oder Jolyon Palmer im Büro von Driot, der den Großteil seiner Zeit jedoch weiterhin im internationalen Öl-Handel oder auf dem Golfplatz verbrachte. Wie kommt man ausgerechnet aus dieser Branche in die Formel E?

"Alejandro (Agag) und Alberto (Longo) sind seit Jahren gute Freunde von mir, wir hatten uns in der GP2 kennengelernt", plaudert Driot über die beiden Formel-E-Gründer. "Eines Abends waren wir nach einem Rennen in Bahrain gemeinsam essen, schauten aufs Meer und Alejandro sagte zu mir: Ich hoffe, du kommst mit, wenn ich die Formel E mache. Ich antwortete: Wenn du das machst, wie könntest du wohl ohne mich beginnen?"

"Ich kannte jemanden, der gerade einen elektrischen Einsitzer entwickelt hatte - eine Firma namens Formulec -, also empfahl ich ihm, dass er sich vielleicht mit ihnen treffen sollte. Er buchte seinen Flug sofort nach Paris um. Ich war also quasi von Anfang an an Bord."

Erfolgsrezept Familie

Nach Andretti war das DAMS-Team 2013 einer der ersten Rennställe, die sich für die Formel E einschrieben. Auch in der Elektroserie dominierte Jean-Paul Driot, inzwischen mit grauem Haar und tiefen Lachfalten um seine braunen Teddybär-Augen, vom Start weg: "In der ersten Saison war die Technik gleich, in der zweiten hatten wir den besten Antrieb. Vor allem lag unser Erfolg aber an der Erfahrung. In den 30 DAMS-Jahren habe ich gelernt, was es braucht, um ein Formelauto für die vorderen Positionen abzustimmen. Ich denke, das hat uns viel geholfen."

Ein wirkliches Erfolgsrezept gibt es für Driot allerdings nicht. "Mein Fundament sind meine 43-jährige Ehe, meine zwei verheirateten Söhne und vier Enkel. Sie sind für mich mein größter Erfolg in meiner Karriere. Wenn es ums Business geht, freut man sich darüber, Verträge zu unterschreiben, ein Rennen zu gewinnen, dann eine Meisterschaft, dann ein weiteres Rennen - es ist wie eine Formel. Doch mein Beispiel ist keine Formel, sondern das Leben."

Mammutaufgabe mit Nissan

Driots Erfolgs-"Formel" führte ihn allein in den letzten vier Jahren zu drei Team-Meisterschaften in der Formel E, einem GP2-Titel und einer Formel-Renault-3.5-Meisterschaft. Zur anstehenden fünften Formel-E-Saison bekommt er mit Nissan einen neuen Partner an die Seite gestellt. Ein großes Risiko, schließlich verliert e.dams dadurch nicht nur erfahrene Mitarbeiter von Renault, sondern begibt sich auch mit einer großen Unbekannten in die zweite Generation der Elektroserie.

Fortan muss sich Driot zudem um einen Ersatz für den bisherigen Team-Manager Alain Prost kümmern, der das Team im April verließ. Auch muss er Schlüsselpersonen wie Stammfahrer Nico Prost oder Renault-Projektleiter Vincent Gaillardot ersetzen. NISMO bringt selbstverständlich eigene Expertise mit ins Team, jedoch müssen die neuen Mitarbeiter erst einmal in der Serie eingearbeitet werden.

"Das ist doch das Interessante am Managen von Leuten", weiß Driot. " Von Person zu Person geht man anders vor, damit das gesamte Team zusammenarbeiten kann. Manche mögen sagen, dass es hinterhältig ist, wenn man versucht, in die Köpfe seiner Mitarbeiter zu gelangen. Aber ich will das Beste aus ihnen herauszuholen."

Die anstehende Formel-E-Saison könnte für Nissan e.dams somit wie eine Zeitreise durch die Geschichte des Teams werden: Viele unbekannte Variablen, aufstrebende Fahrer, Rückschläge, unerforschtes Territorium, Pionierarbeit, neues Gelände, veränderte Regeln, ein Wagnis des Vertrauens. Einzig ob erneut ein Meistertitel am Ende wartet und die Chronik des Erfolgs um ein Kapitel größer wird, steht im Moment noch in den Sternen. Die Reise von Nissan e.dams beginnt am 15. Dezember, wenn in Saudi-Arabien der Startschuss für die Formel-E-Saison 2018/19 fällt.

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