Formel E

Kommentar & Einordnung zu neuen Formel-E-Regeln für 2023: "Alle relevanten Änderungen positiv"

Timo Pape

Timo Pape

Nick-Heidfeld-Mahindra-Gen3-Goodwood

Die Formel E hat am Freitag endlich ihr neues Sportliches Regelwerk für die erste Gen3-Saison veröffentlicht. Daraus gehen einige Anpassungen hervor, die uns im Jahr 2023 erwarten. Vereinzelte Rennen mit Boxenstopps, rundenbasierte Rennen, mehr Fokus auf Rookies und die Abschaffung des FANBOOSTs sorgen für Gesprächsstoff. Es gibt jedoch noch mehr. Wir ordnen alle relevanten Neuerungen für dich ein.

Die Erwartungen an die neue Schnelllade-Technologie waren groß. Doch schon Anfang des Jahres las man zwischen den Zeilen eine gewisse Skepsis bei führenden Figuren innerhalb der Formel E, ob das neue Feature wie geplant funktionieren würde. Tatsächlich klappte das Schnellladen in den vergangenen Monaten zumeist problemlos, wie mir Porsche verriet. Weil Williams Advanced Engineering aktuell jedoch einige Einsatzbatterien neu aufbauen muss und bis zum Saisonstart nicht genug Beutelzellen für die leistungsstarken Ladegeräte bekommt, bleibt die Formel E zunächst bei ihrem bewährten Attack-Mode.

Erst später in der Saison - möglicherweise zum derzeit neunten Saisonlauf in Monaco - soll die Schnelllade-Technologie zum Einsatz kommen. Beim "Attack-Charge"-Boxenstopp schalten die Piloten ihre zwei Attack-Modes frei, um mit der Maximalleistung von 350 kW um den Kurs zu jagen. Bei der ersten tatsächlichen Aktivierung können sie entscheiden, wie sie den Attack-Mode aufteilen: 1+3 Minuten, 2+2 Minuten oder 3+1 Minuten.

Zuerst einmal finde ich es gut, dass der Attack-Mode beibehalten wird. Auch die neue strategische Variationsmöglichkeit, die Länge selbst zu wählen, überzeugt mich. Sie wird zu unterschiedlichen Ansätzen und mehr Action auf der Strecke führen. Aber warum wird der Attack-Mode mit dem Schnelllade-Boxenstopp kombiniert? Ich sehe beim besten Willen kein Argument dafür, außer dass man nach dem Nachladen mehr Energie zum Verfeuern im Akku hat. Die Formel E hätte das Schnellladen vom Attack-Mode lösen sollen. Stattdessen verkompliziert der "Attack-Charge" das Reglement.

Gleiches gilt für die Einführung mitten in der Saison 2023. Gerade Gelegenheitszuschauer:innen werden nur schwer nachvollziehen können, welche Regel bei welchem Rennen greift - und wie die Regeln überhaupt aussehen, wenn es keine Stringenz gibt. Porsche dürfte ob der Einführung während der laufenden Saison im Kreis springen, viele andere sicherlich auch.

Ich selbst sehe die Entscheidung als nachvollziehbaren Kompromiss. Ja, eine Einführung mittendrin ist aus genannten Gründen nicht optimal. Allerdings sind die Regeln für alle gleich und sollten den Wettbewerb nicht verzerren. Zudem werden die Schnelllade-Boxenstopps für Gesprächsstoff sorgen und bringen frischen Wind in die Formel E. Warum also noch ein Dreivierteljahr warten, bis die Technologie womöglich gar nicht mehr so revolutionär ist wie heute?

Mehr Formel E, weniger Angriffsfläche

Die Rückkehr zu rundenbasierten Rennen ist ein Segen. Diese Meinung spiegeln ausnahmslos alle, mit denen ich in den vergangenen Wochen darüber gesprochen habe. Ich muss bei einer langen Safety-Car-Phase ab sofort nicht mehr hibbelig werden, dass uns wertvolle Rennzeit verloren geht, auf die wir uns seit Wochen gefreut haben. Für Fans ist eine feste Rundenzahl viel besser nachzuvollziehen als ein Zeitrennen mit der Dauer von 45 Minuten plus Nachspielzeit plus eine Runde.

Der Hauptgrund für die Entscheidung, so könnte ich mir vorstellen, ist womöglich der GAU, der sich 2021 in Valencia und gewissermaßen auch dieses Jahr in Mexiko ereignete. Durch Fehlkalkulation oder eine bewusste Entscheidung gab es in den vergangenen Jahren Rennen, bei denen zahlreiche Autos ohne Energie kurz vor dem Ende liegen blieben. Während des ganzen Rennens war nicht klar gewesen, ob die Zieldurchfahrt nach X oder X+1 Runden geschehen würde. Die neue Regel gibt den Teams wieder mehr Planungssicherheit und verhindert kommunikative Desaster wie in Valencia, die der gesamten Formel E schaden.

Die durch Unterbrechungen bedingte Rennverlängerung bleibt auch 2023 bestehen, wenngleich künftig keine Zeit mehr aufaddiert wird, sondern Runden. Als Fan freue ich mich auch längere Rennen. Ganz unkompliziert ist das Ganze aber auch wieder nicht: Zunächst wird die Zeit hinter dem Safety-Car und/oder während Full-Course-Yellow-Phasen während der ersten 80 Prozent eines Rennens addiert. Anhand einer von der Strecke abhängigen "Referenzzeit" der FIA wird ermittelt, wie viele volle Runden das sind. Drei Runden vor Ende der regulären Renndistanz gibt die Rennleitung schließlich die Anzahl der Zusatzrunden bekannt, allerdings nie mehr als sieben Runden insgesamt.

Außerdem sind Formel-E-Rennen künftig auf die Dauer von einer Stunde gedeckelt, sofern es keine Unterbrechung durch rote Flaggen gibt. 60 Minuten und eine Runde nach Rennstart wartet spätestens die schwarz-weiß-karierte Flagge. Im Falle einer Rennunterbrechung kann ein E-Prix maximal drei Stunden plus eine Runde dauern. Zwar klingt all dies sehr kompliziert, dürfte die Öffentlichkeit aber nur selten tangieren. Unter dem Strich bekommen Fans ab sofort mehr Formel E zu sehen, die Serie stellt sicher, dass das Energiemanagement in jedem Fall bis zum Rennende eine wichtige Rolle spielt, und die FIA braucht kein zweites Valencia mehr zu fürchten.

Rookie-Risiken umschifft, neue Fan-Interaktion muss her

Jedes Team muss künftig mindestens zweimal pro Saison eine:n Fahrer:in einsetzen, der/die noch kein Formel-E-Rennen bestritten hat. Jeweils im 1. Freien Training, versteht sich. Auch diese Neuerung ist aus meiner Sicht eine gute. Denn: In wohl keiner anderen Rennserie ist es so schwer für Neulinge, Fuß zu fassen. Die Anzahl der Rookies pro Saison hat in den vergangenen Jahren stetig abgenommen. Nächstes Jahr tritt mit Sacha Fenestraz (Nissan) nur noch ein Pilot an, der bislang nie Stammfahrer war. Einen echten Rookie ohne Rennteilnahme gibt es 2023 gar nicht, sofern McLaren nicht noch einen aus dem Hut zaubert.

Der Grund dafür: Die Formel E erfordert sehr spezielle Fähigkeiten, die Fahrer:innen in anderen Rennserien nicht erlernen können. Weil die Testmöglichkeiten in der Formel E zudem extrem rar sind, benötigen Rookies oftmals einige Rennen, um überhaupt mithalten zu können. Das Risiko für Teams und Hersteller, einen Neuling in die Serie zu bringen, ist somit immens hoch. Nun haben junge Pilot:innen jedoch die Chance, das Formel-E-Auto zu testen und ihre Pace öffentlich zu demonstrieren. Ich denke, dass hierdurch künftig mehr Talente auf sich aufmerksam machen können und ihren Weg in die Formel E finden werden.

Zu Abschaffung des FANBOOSTs ist eigentlich alles gesagt. Die Formel E wird dadurch nicht nur fairer, sondern auch seriöser. Das Feature, das bewiesenermaßen immer wieder durch Bots manipuliert wurde, wirkte in den vergangenen Jahren wie ein halb abgetrenntes Bein in einer Bärenfalle, das die Formel E hinter sich her zog. Nun hat sie sich endlich davon verabschiedet - Amen. Allerdings sollte sich die Serie tatsächlich Gedanken machen, wie sie die Fans stattdessen einbeziehen kann, wie es mir Stoffel Vandoorne neulich erklärte. Denn ohne FANBOOST, E-Races vor Ort und Simracing-Wettbewerbe ist nicht mehr viel Fan-Interaktion übrig geblieben. Andere Serien haben die Formel E diesbezüglich inzwischen überholt.

Unter dem Radar: Qualifying-System erneut modifiziert

Die letzte allgemein relevante Neuerung, auf die ich eingehen möchte, ist das Qualifying. Wir sind erst bei genauer Analyse aller Reglement-Änderungen darauf gestoßen. Die Viertel- und Halbfinalduelle finden nämlich ab sofort nicht mehr gruppenübergreifend statt. Spielen wir das Ganze einmal für Gruppe A durch. Weiterhin ziehen die schnellsten Vier in die K.o.-Phase ein. Im Viertelfinale fährt A1 gegen A4, außerdem A2 gegen A3. Im Halbfinale treffen die beiden Sieger dieser Duelle aufeinander. Erst im Finale startet der Beste aus Gruppe A gegen den Besten aus Gruppe B.

Einen großen Unterschied macht die Veränderung aus meiner Sicht nicht. Aber auch sie dient der Vereinfachung und ist somit gut. Denn bislang war es (spätestens ab dem Halbfinale) von außen betrachtet schwer nachzuvollziehen, welcher Fahrer gegen wen antreten muss. Der Nachteil: Wir könnten künftig weniger hochklassige Duelle im Halbfinale und Finale sehen. Wenn eine Gruppe zufällig deutlich stärkere Qualifyer enthält, die sich frühzeitig gegenseitig eliminieren, könnten es schlechtere Piloten aus der schwächeren Gruppe weit bringen. Allerdings wird die Formel E auch darin einen Erfolg sehen. Schließlich mag doch jeder gute Underdog-Geschichten.

Unter dem Strich bewerte ich alle relevanten Regeländerungen als positiv. Die Meinungen zur Einführung der Schnelllade-Technologie werden auseinandergehen. Für mich gibt hier aber der Start-up-Gedanke den Ausschlag für eine Einführung während der Saison: Besser früher als später auf den Markt bringen, sonst war die Konkurrenz am Ende vielleicht mal wieder schneller. Zumal die Technologie anscheinend voll funktionsfähig ist. Ein Gruß an dieser Stelle an viele deutsche Großunternehmen.

Zurück

0 Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 4 und 3.
Advertisement