Formel E

Kommentar zum Rauswurf von Daniel Abt: Das Spiel, bei dem alle verloren

Timo Pape

Timo Pape

Die Formel E ist gaga. Das hat man schon immer gesagt, meinte damit aber vor allem die oftmals bis in die letzte Kurve turbulenten Rennen. Am Dienstag bekam gaga eine andere Bedeutung: Ein Rennfahrer verliert seinen Job, weil er bei einem Videospiel schummelte. Weltbekannte Piloten, die sich öffentlich mit Journalisten streiten und ankündigen, nie wieder zu streamen. Und ein deutscher Auto-Hersteller, der mit einem Reputationsverlust zu kämpfen hat, ohne die Schuld für den vermeintlichen Skandal zu tragen. Wie aus der Race at Home Challenge ein Spiel ohne Sieger wurde.

Der Schuldige für das ganze Dilemma ist schnell gefunden. Daniel Abt hat die Öffentlichkeit vorsätzlich hinters Licht geführt: die Formel E mit all ihren Partnern und Sponsoren, die an der Race at Home Challenge beteiligt sind, seinen Arbeitgeber, seine Fans, uns Medien. Ein Abt-typischer Lausbubenstreich, für den ihn normalerweise alle genannten Parteien lieben. Leider hatte der Scherz einige unschöne Implikationen, die Abt nicht bedacht hatte. Nämlich dass Audi abermals öffentlich als Betrüger dasteht. Nach Dieselgate, nach "Schieb ihn raus".

Abt setzte sich selbst und seinen Arbeitgeber schachmatt, ohne das auch nur im geringsten zu wollen oder zu ahnen. In seinem berührenden Video-Statement am Dienstagabend folgte eine ehrliche Entschuldigung. Abt übernahm die Verantwortung für seinen "riesengroßen Fehler". Was für ein unnötiger Fauxpas. Klar hätte es Abt besser wissen müssen, wuchs er doch im Audi-Kosmos auf. Trotzdem sind Fehler menschlich, und dieser ist an Traurigkeit kaum zu übertreffen, wie es auch ein Kollege sehr treffend formulierte. Einer dieser Momente, an denen man sich wünscht, die Zeit zurückdrehen zu können.

Doch es ist, wie es ist: Abt hat tatsächlich sein Formel-E-Cockpit verloren. Ob der 27-Jährige jemals wieder in einer hochklassigen Motorsportserie antreten wird, ist ungewiss. Denn bereits vor gut einem Jahr brachte er selbst sein potenzielles Karriereende ins Spiel, sollte er keinen Vertrag für Saison 6 von Audi erhalten. Andere Rennserien reizten ihn damals schon "nicht so richtig", und auch einen Teamwechsel in der Formel E konnte er sich kaum vorstellen. Um etwas Positives in dem ganzen Schlamassel zu finden: Abt ist Unternehmer. Mit seinen Social-Media-Aktivitäten, seinem Modelabel und anderen Aktivitäten ist er gut für die Zukunft aufgestellt und hat sich ein zweites Standbein aufgebaut, das ihm wohl mindestens genauso viel Spaß macht wie der Motorsport. Kopf hoch, Daniel.

Audi in der Zwickmühle

Ebenso bitter ist die ganze Causa für Audi. Weder Abt noch Teamkollege Lucas di Grassi sind an die Race at Home Challenge bislang mit der Ernsthaftigkeit herangegangen, wie man es sich als Arbeitgeber vielleicht wünschen würde. Als einziges Team steht der Hersteller nach fünf Rennen immer noch punktlos da. Spaßserie hin oder her - der Erfolgsdruck ist für eine globale Marke wie Audi immer da. Mit seinem Streich hat Abt das Fass zum Überlaufen gebracht, und zwar nicht nur sportlich. Audi sah sich in der Weltpresse abermals mit Betrugsvorwürfen konfrontiert. In meinen Augen hatte das Unternehmen keine andere Wahl, als Abt zu entlassen. Nur über den Zeitpunkt könnte man streiten.

"Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln haben für Audi oberste Priorität", so die Begründung der Suspendierung. Worte, die auf den ersten Blick scheinheilig wirken, denn sofort blitzten beim Lesen die Begriffe Dieselgate und DTM-Skandal 2015 ("Schieb in raus") in meinem Kopf auf. Der damalige Audi-Motorsport-Chef Wolfgang Ullrich und Fahrer Timo Scheider wurden damals übrigens nicht entlassen. Aber gerade vor diesem Hintergrund hatte Audi keine andere Wahl bei Abt. Wer die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen will, muss konsequent agieren und endlich zu seinen "neuen" Werten stehen.

Nachdem sich der Shitstorm im Internet am Sonntag und Montag vor allem gegen Abt richtete, kriegt seit dem Statement am Dienstagmittag Audi die volle Breitseite von der Online-Community ab. Klar, Abt hat eine riesige Fanbase, die enttäuscht und wütend ist. Die Entlassung ist bei der speziellen Natur dieses Falles extrem hart, da sind sich eigentlich alle einig. Trotzdem war sie unumgänglich. Vielleicht hätte man den Abschied geschickter am Saisonende kommunizieren können, um den Reputationsschaden für Audi zu minimieren. Denn das Thema war zwar schon am Sonntag groß, explodierte aber erst am Dienstag so richtig. Andererseits steht jedoch schon am Samstag das nächste Rennen der Race at Home Challenge an. Was hätte Audi tun sollen - Abt einsetzen oder ohne Statement jemand anderen berufen? Zwickmühle.

Die bösen Medien

Auch die Medien bekamen am Dienstag wie gewohnt ihr Fett weg. Einerseits aus der Online-Community von jenen, die anderer Meinung sind. Aber auch von einigen Fahrern, die Abt seit vielen Jahren kennen, die E-Sports-Serie ähnlich bewerten und sich in ihren Kollegen hineinversetzen können. Es sei doch nur ein Spiel, twitterte Formel-E-Meister Jean-Eric Vergne. "Diese Sache wurde viel zu groß aufgebauscht, nur weil die Medien keinen Content, keine Nachrichten und kein Getratsche haben", tönte ein emotionaler Antonio Felix da Costa, der schon in den Nachwuchsserien gegen Abt antrat.

Natürlich hat öffentliche Berichterstattung immer auch einen Einfluss auf die Karriere eines Rennfahrers und auf Entscheidungen, die zu treffen sind. Aber: Ohne ein öffentliches Kontrollorgan könnten Betrugsfälle vertuscht werden. Die Gesellschaft würde nie Wind davon bekommen, was falsch ist. Und ein zweites Aber: Die Ursache einer Berichterstattung kommt nicht aus den Medien. Unangenehme Schlagzeilen entstehen in der Regel nur, wenn sich jemand daneben benimmt oder Dinge sagt, die er vielleicht besser für sich behalten hätte. Alle Rennfahrer kennen dieses Spiel seit Beginn ihrer Karriere, und auch Abt weiß, dass nur er selbst den Stein ins Rollen brachte, niemand sonst.

Nichtsdestotrotz würde ich mir vom einen oder anderen Medien-Kollegen mehr Empathie für die betroffene Person wünschen - unabhängig von der Causa Abt. Sachlicher zu berichten, auch wenn sich starke Ausdrücke und reißerische Überschriften anbieten. Negative Schlagzeilen führen zu höheren Leserzahlen, denn danach lechzt das Volk. So sind die meisten Menschen nun mal, deshalb gilt das für alle Medien. Die Medienkritik im Social Web ist sicherlich an der einen oder anderen Stelle gerechtfertigt, weil teils zu sehr dramatisiert wurde. Falschdarstellungen habe ich in den vergangenen Tagen jedoch fast keine gelesen.

Der rosa Elefant

Bleibt noch die Formel E. Auch sie hatte keinen großen Handlungsspielraum und hat aus meiner Sicht sehr viel richtig gemacht. Einen Betrugsversuch kann man nicht vertuschen. Die "freiwillige" Geldstrafe für Abt - 10.000 Euro für einen guten Zweck - war meiner Meinung nach eine gute Lösung und hätte unter Umständen auch Audi ein Vorbild sein können. Und mal ganz ketzerisch formuliert: So hat die Race at Home Challenge wenigstens mal Aufmerksamkeit bekommen. Allerdings hätte man sich den medialen Boom sicherlich anders erhofft und verliert letztlich einen der sympathischsten Fahrer und relevantesten Multiplikatoren für die eigene Sache.

Wie geht es nun weiter? Wie wird das vielleicht größte Thema der Formel-E-Geschichte - zumindest wurde noch nie eines so kontrovers und emotional öffentlich diskutiert - am kommenden Samstag behandelt? Wen setzt Audi in den Simulator? Gibt es vielleicht sogar Fahrer, die die Serie boykottieren? Felix da Costa und James Calado haben ja zumindest angekündigt, nie wieder zu streamen. In jedem Fall wird ein großer rosa Elefant im Raum stehen, über den eigentlich niemand so recht sprechen möchte. Ist eine Fortführung der Race at Home Challenge so überhaupt noch sinnvoll? Wieder so eine unangenehme Frage der Medien. Wir werden es am Samstag sehen. Fest steht aber jetzt schon: Dieses Spiel hat keinen einzigen Gewinner hervorgebracht, nur Verlierer.

Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media

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