Lucas di Grassi bereit für 100. Formel-E-Rennen: "Anfänglich nicht mehr als eine vollständige Saison erwartet"
Tobias Bluhm
Beim Seoul E-Prix erwartet die Formel E ein in mehrerer Hinsicht spezielles Wochenende. Im sportlichen Fokus steht vor dem "Double-Header" die nahende Titelentscheidung. Zugleich beschließt die Elektroserie ihre Gen2-Fahrzeugära mit dem 100. Rennen ihrer noch jungen Geschichte. Lucas di Grassi (Venturi) ist seit dem ersten E-Prix dabei und blickt dankbar auf die vergangenen acht Jahre zurück.
Bei der Zieldurchfahrt am Seoul-Sonntag werden exakt 2.892 Tage vergangen sein, seitdem die Formel E mit dem Horrorunfall zwischen Nick Heidfeld und Nico Prost im Jahr 2014 in ihre erste Saison startete. Seither gingen 63 verschiedene Fahrer an den Start, 23 von ihnen konnten ein Rennen gewinnen. Die meisten Pokale - insgesamt 38 - sammelte der Brasilianer Lucas di Grassi.
Der 37-Jährige verpasste seit dem ersten Rennen keinen E-Prix. "Die Meisterschaft hat sich stark entwickelt. Das können alle sehen, die seit Saison 1 dabei sind", reflektiert er die vergangenen Jahre in einer virtuellen Medienrunde auf eine Frage von 'e-Formel.de'. "Anfänglich war sie eine Neuheit, an der alle zweifelten. Dann wurde sie zu einem Versprechen. Und jetzt glaube ich, dass sich die Formel E als sehr wichtige Rennserie etabliert hat."
Mit dem Abschluss der Gen2-Ära endet für di Grassi auch der erste "Zyklus" der Serie, in dem sich mit Audi, BMW, Jaguar, Nissan und Mercedes mehrere namhafte Konstrukteure in der Formel E engagierten. "Im zweiten Zyklus werden neue Hersteller kommen", ist er sich sicher, "und weiter in der Zukunft wiederum neue. So ist das im Motorsport." Tatsächlich haben sich bereits Maserati und McLaren für 2023 eingeschrieben.
"Das Wachstum ist langsam und organisch. Die Serie wird nicht in zwei Jahren die Formel 1 überholt haben, aber sterben wird sie auch nicht. Für mich war es ein Privileg, bei den ersten 100 Rennen dabei gewesen zu sein. Meine Karriere wäre ohne die Formel E nicht ansatzweise so verlaufen, wie sie es tut."
"Es gibt aber sehr viele Menschen, die mehr Aufmerksamkeit als ich verdienen: Die Leute, die die Veranstaltungen tatsächlich auf die Beine stellen, die Betonblöcke platzieren, Fangzäune aufbauen, Verträge mit Städten abschließen und gute Rennen organisieren. Ich sitze am Ende nur im Auto, touchiere hier und da ein paar Wände, und das war's", lacht der Venturi-Fahrer.
Di Grassi seit Tag 1 dabei: "Wir waren ein Start-up!"
Abseits von seinen Aktivitäten als Rennfahrer hat di Grassi auch eine geschäftliche Verbindung zur Formel E: Im Juli 2012 wurde er zu einem der ersten Mitarbeiter von Alejandro Agag, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden der Elektroformel. Gemeinsam organisierten Agag und di Grassi bereits vor dem ersten Rennen Demonstrationsfahrten, beispielsweise 2013 in Berlin oder Los Angeles.
Trotz seiner Einbindung ins Formel-E-Geschäft war sich der Brasilianer anfänglich nicht sicher, ob die Serie eine Zukunft haben würde. "Damals in Peking gab es eine Menge Leute im Paddock - nicht nur ich -, die nicht mehr als eine vollständige Saison erwartet haben", erinnert sich di Grassi und spielt auf das nach dem Miami E-Prix 2015 knapp gewordene Formel-E-Budget an: "Nach den ersten paar Rennen sah es so aus, als würde es auch so kommen. Wir waren eben ein Start-up!"
"Aber es geht auf und ab, wie immer im Leben. Die Pandemie war sehr schwierig für die Formel E, da haben wir viel Wachstum eingebüßt. Aber das holen wir jetzt auf."
Auf der Jagd nach dem 1000. Formel-E-Punkt
Di Grassi erwartet, dass der Zieleinlauf in Seoul "ein sehr emotionaler Moment" wird. "Nach zwei Autogenerationen, die wir jeweils vier Jahre gefahren sind, endet für mich auch ein Karrierezyklus. Danach steht die Gen3 an, mit kleineren und leichteren Autos, potenziell auch mit Allradantrieb. Auf der Strecke wird es noch eindrucksvoller werden, und hoffentlich geht es in Sachen Eventproduktion voran, so wie (beim vorherigen Rennen) in London."
Das letzte Rennwochenende der Formel-E-Saison 2022 findet am kommenden Wochenende (13./14. August) in Südkorea statt. Geplant sind im Rahmenprogramm mehrere Konzerte von K-Pop-Künstler:innen. Auf der Strecke kämpft di Grassi um den 1000. Punkt seiner Elektro-Karriere (aktuell steht er bei 994 Zählern) und darum, seinen Rennstall Venturi im WM-Kampf der Teams in Reichweite des Mercedes-Rennstalls zu bringen. Zwischen beiden Mannschaften liegen aktuell 36 Punkte - theoretisch sind für di Grassi und seinen Teamkollegen Edoardo Mortara in Seoul noch 94 Zähler erreichbar.
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