EXKL-Interview mit Lucas di Grassi: "Franco ist intelligenter als ich"
Timo Pape
Lucas di Grassi zählt im Formel-E-Zirkus zu den absoluten Stars. Der Brasilianer kennt die Szene wie kein anderer, schließlich leistete di Grassi schon im Vorfeld, bevor die Elektroserie am 13. September offiziell startete, Pionierarbeit für die Formel E. Als Entwicklungsfahrer gab der heute 32-Jährige immens viel Input für den Einheitsboliden SRT_01 E, der in der Premierensaison 2014/15 bei allen Teams zum Einsatz kam.
Der Südamerikaner, der in der Formel E für das deutsche Team ABT Schaeffler Audi Sport fährt, ist inzwischen auch Serienbotschafter der Formel E und pilotierte den Elektroboliden bei zahlreichen Fahrevents wie etwa in Las Vegas oder zuletzt in Tokio für Schaeffler. Noch spektakulärer fuhr di Grassi mit dem Formel-E-Rennwagen im Sommer oberhalb des Polarkreises nördlich von Grönland, um auf die Erderwärmung aufmerksam zu machen. In der abgelaufenen Saison verpasste der Brasilianer um Haaresbreite den Formel-E-Titel, den er nunmehr in der dritten Saison ansteuert.
Es war also mal wieder höchste Zeit für 'e-Formel.de', sich mit dem Titelanwärter des deutschen ABT-Teams zu unterhalten. Wir haben den eloquenten Brasilianer zusammen mit Teamkollege Daniel Abt auf der Münchner Messe electronica getroffen, wo er uns am Messestand unseres Partners Würth Elektronik eiSos ausführlich Rede und Antwort stand.
Im Interview redet di Grassi über seine schärfsten Rivalen im Titelkampf, warum er seinen Renningenieur für intelligenter hält als sich selbst, und wie es zu dem einzigartigen Projekt "Ice Drive" in Grönland kam. Außerdem verrät er uns seine zukünftigen Pläne für die Zeit nach seiner Motorsportkarriere, und wie das FanBoost-Voting zukünftig erfolgen sollte.
Lucas di Grassi, Erich Hirsch & Daniel Abt
Lucas, welche drei Piloten sind deine größten Konkurrenten im Formel-E-Titelkampf? Zählt Teamkollege Daniel Abt auch dazu?
Ja, Daniel zählt dazu. Ebenso wie Sebastien Buemi und Sam Bird.
Buemi, der zusätzlich für Toyota in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) fährt, wird aller Voraussicht nach die beiden Formel-E-Rennen in New York wegen der Terminüberschneidung mit dem WEC-Lauf am Nürburgring verpassen. Ist das ein entscheidender Vorteil im Titelrennen für dich?
Wir wissen noch nicht genau, was passieren wird. Wir müssen es mal abwarten. Einige Formel-E-Piloten wie Sam Bird, Stephane Sarrazin und Sebastien Buemi, die alle in der WEC unterwegs sind, werden diese Terminüberschneidung irgendwie managen müssen. Ich bin mir sicher, wenn einer dieser Piloten um eine der beiden Meisterschaften kämpft, egal in welcher Serie, ist die Entscheidung klar, wo sie fahren werden. Sie werden sich für das Titelrennen entscheiden. Ich betrachte es daher nicht als Vorteil. Ich werde wie immer mein Bestes geben und die Rennen angehen, wie ich schon immer angegangen bin. Ich versuche, am Limit zu fahren und so viele Punkte wie möglich einzuheimsen. Das ist mein Ziel. Wir haben in Saison eins eine Bronzemedaille und in Saison zwei eine Silbermedaille gewonnen. Die Goldmedaille fehlt uns noch in der Sammlung. Das ist ein schwieriges Unterfangen, da alle Teams in dieser Saison sehr eng beieinander liegen.
Lucas, du bist Mitglied im "Mensa-Club" der Hochintelligenten mit einem Intelligenzquotienten von mindestens 130 und stammst einer Ingenieursfamilie ab. Wer ist denn bei euch im ABT-Team der Intelligentere, dein Renningenieur Franco Chiocchetti oder du?
(Lacht) Sicher ist Franco viel intelligenter. Man muss eines bedenken: Letztes Jahr war es hauptsächlich Franco zu verdanken, dass wir so konkurrenzfähig gegenüber Renault-e.dams waren. Mit Unterstützung von Schaeffler entwarf Franco ein Fahrzeug, ein ganzes Antriebssystem gegen ein komplettes Team von Ingenieuren mit Werksunterstützung von Renault. Bis zum letzten Saisonrennen in London haben wir um die Meisterschaft gekämpft. Und das mit viel weniger Personal und finanzieller Unterstützung. Mit der Qualität unseres Teams konnten wir den Titelkampf bis zum Schluss offen halten, trotz dem aberkannten Sieg beim Mexico City ePrix.
Franco hat zusammen mit Schaeffler hervorragende Arbeit geleistet. Sie haben einen konkurrenzfähigen und kostengünstigeren Antriebsstrang entwickelt und dabei gegen die Formel-1-Technologie von Renault gekämpft. Auch dieses Jahr hat Franco den Antriebsstrang mit Schaeffler weiterentwickelt und ist dabei abermals gegen Teams mit Formel-1-Hintergrund wie Jaguar mit Williams-Unterstützung oder Renault angetreten. Hinzu kamen weitere große Automobilhersteller wie Citroen. Wir haben ein Rennauto mit unseren beschränkten Ressourcen geschaffen, das sehr konkurrenzfähig ist. Wir können also alle sehr stolz darauf sein.
Franco Chiocchetti (ABT Schaeffler Audi Sport)
Lucas, du bist Botschafter der Formel E und warst im Sommer in Grönland, um dort mit einem Formel-E-Boliden auf dem Eis zu fahren. Warum war das Projekt "Ice Drive" so wichtig für dich?
Erst einmal fuhr ich wegen meines Partners Schaeffler und Julius Baer nach Grönland, die dieses spezielle Projekt gemeinsam ins Leben gerufen hatten. Sie fragten mich, ob ich mitmachen möchte. Ich war glücklich darüber, dabei zu sein. Es ging nicht um eine Charity-Veranstaltung, sondern darum, auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Dieses Projekt war mir eine Herzensangelegenheit. Ich wollte die Formel E der Welt präsentieren. Abgesehen von der Weiterentwicklung der Technologie für Elektromobilität wollte ich wirklich zeigen, dass dahinter eine starke Botschaft steckt. In Marrakesch haben wir beim Klimagipfel COP22 einen Dokumentationsfilm darüber vorgestellt. Für mich war es eine großartige Erfahrung.
Nach deiner Motorsportkarriere willst du im Automobilsektor bleiben. Du planst, ein kleines, günstiges Elektroauto für den brasilianischen Markt zu entwickeln. Wie kamst du auf diese Idee, und warum gibt es keine Pläne für den deutschen Markt?
Ich habe mir schon länger Gedanken über meine künftigen Projekte gemacht, an denen ich nach meiner Karriere weiterarbeiten möchte. Es steckt viel Potenzial in Ultralight- und Light-Elektrofahrzeugen, gerade für die Städte. Ich mache mir jedenfalls Gedanken darüber, ob man für diese innerstädtische Mobilität eine Bewilligung benötigt oder nicht. Die Ultralight- und Light-Elektrofahrzeuge sind meiner Ansicht nach viel besser als die aktuellen Autos und Fahrräder. Diese Systeme funktionieren. Besonders in den europäischen Städten, wo es strenge Winter gibt, sind Fahrräder wegen des Regens oder des Schnees keine Lösung. Es gibt folglich eine sehr große Marktlücke in diesem Bereich, und für Brasilien könnte man ein günstiges Produkt schaffen. Brasilien durchlebt wirtschaftlich momentan eine sehr schwierige Zeit. Wir hängen dort von Verbrennungsmotoren ab, die allerdings ordentlich zur Luftverschmutzung beitragen. Ich habe den Traum, die Technologie, die ich vom Rennfahren kennengelernt habe, für neue Produkte umzusetzen. Ich glaube, ich kann dazu in näherer Zukunft etwas machen.
Lucas, du hast in der Vergangenheit mehrfach die Abläufe des FanBoost-Votings kritisiert. Was waren die Gründe?
Das war meine persönliche Meinung, dass der FanBoost nur über Social Media abgewickelt werden sollte. Bei den Stimmen von der Website ist es wirklich sehr schwierig, die Abstimmung unter Kontrolle zu halten. Wir haben das ja in der letzten Saison erlebt. Ich hoffe deshalb nach wie vor, dass der FanBoost künftig nur noch über die sozialen Netzwerke laufen wird. Nur Hashtags sollten Gültigkeit haben, denn auf Social Media liegt eigentlich der Fokus der FanBoost-Idee. Eigentlich könnte die Abstimmung nur via Twitter laufen, aber dann gibt es das Argument der chinesischen Piloten, dass es in China kein Twitter gibt. Es ist daher nicht so einfach. Eine Kombination der sozialen Plattformen wäre für alle das Beste.
Wir sollten die Fahrer dazu bewegen, die sozialen Medien noch mehr zu pushen, aber momentan sieht es nicht danach aus. Davon hängt für mich die Zukunft des FanBoost ab. Dieses Jahr ist die Abstimmung aber schon deutlich besser geworden. Ich habe den FanBoost selbst nicht mehr kritisiert. Die Abstimmung ist eine gute Sache, aber es ist auf andere Weise umzusetzen. Im ersten Formel-E-Jahr konnte man dank FanBoost noch die schnellste Runde drehen, was aber letztendlich nicht fair war. Die Organisatoren haben es in der letzten Saison angepasst. Das war schon eine enorme Verbesserung. Die Formel E wird immer besser, und der FanBoost ist ein Teil davon. Ich hoffe deshalb, er bleibt der Formel E erhalten.
Danke für das ausführliche Gespräch.
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