Formel E

"Lucas Loophole", Favoritensterben in Berlin & Valencia-Desaster: Die größten Formel-E-Geschichten 2021

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Race-Pre-Start-London-Formula-E

Aus sportlicher Perspektive zählte das Jahr 2021 ohne Frage zu den spannendsten in der Formel-E-Historie. Vor dem letzten Rennen hatten noch 14 Fahrer (!) rechnerische Chancen auf den Titel. Letztlich setzte sich mit einem hauchdünnen Vorsprung Nyck de Vries (Mercedes) durch. Die ausgelassene Meisterfeier der "Silberpfeile" war jedoch nur einer von zahlreichen denkwürdigen Momenten für die Elektromeisterschaft im vergangenen Jahr.

Sowohl Hoch- als auch Tiefpunkte zeichneten das Jahr 2021 für die Formel E aus. De Vries' Machtdemonstration in Diriyya, die Rookie-Saison von Jake Dennis, Pascal Wehrleins Disqualifikation in Puebla und der "Massenstromausfall" in Valencia werden Fans der Elektroformel noch für einige Zeit im Gedächtnis bleiben.

e-Formel.de begleitete die Saison mit einer neu gelaunchten Webseite, umfangreichen Datenbanken und mehr als 500 Nachrichtenbeiträgen, Analysen und Hintergrundberichten allein zur Formel E. Unsere Redaktion sagt "DANKE" für deine Treue in diesem Jahr - und wünscht viel Spaß beim Lesen unseres "Countdowns" der zehn größten Formel-E-Geschichten 2021.

Die Top 10 der größten Formel-E-Geschichten 2021

Mit ihrem spektakulären Monaco E-Prix strafte die Formel E im Mai 2021 die Motorsportwelt lügen. Bei der ersten Ausgabe des Fürstentum-Rennens auf einer Variante der vollständigen Formel-1-Piste widerlegte die Elektroserie alle Kritiker:innen, die dem Stadtkurs "keinerlei Überholmöglichkeiten" attestierten.

Antonio Felix da Costas Manöver in der letzten Runde des Rennens, Mitch Evans' Hochrisiko-Angriff in der Beau-Rivage-Kurve und der Tunnelkampf zwischen Maximilian Günther und Oliver Rowland waren nur drei von insgesamt 142 (!) Positionswechseln im Rennen. Der Monaco E-Prix war, so die einhellige Meinung im Paddock, die beste Werbung für die E-Serie. Wie schön, dass der E-Prix fortan jährlich stattfinden soll.

DS Techeetahs Suche nach einem neuen Investor blieb wohl unter dem Radar der meisten Fans. Dennoch gehört die Sponsoren-Odyssee des chinesischen Teams, das seit 2018 die Einsätze von DS Automobiles durchführt, in den Jahresrückblick. Zwischenzeitlich schien sogar die vertragliche Zukunft der Formel-E-Meister Felix da Costa und Jean-Eric Vergne in Gefahr, weil der bisherige Mehrheitseigner SECA die Anteile am Team verkaufen wollte, und der mögliche Investor Antonio di Iorio kurzfristig absprang.

Damit das Team 2022 weiterhin operieren kann, sprang schließlich DS in die Bresche. Künftig werden die Franzosen einen größeren operativen Einfluss ausüben. Währenddessen soll Ex-Teamchef Mark Preston in den ersten Monaten des anstehenden Jahres als Geschäftsführer nach neuen Sponsoren suchen.

Schon in den letzten Jahren sorgte das Qualifying-Format der Formel E bei Teams und Fahrern für jede Menge Unmut. Die Saison 2021 brachte das sprichwörtliche Fass jedoch endgültig zum Überlaufen. So mancher im Fahrerlager schiebt den Verlust der WM auf das ungerechte, die Gesamtführenden benachteiligende Qualifying-Format - vielleicht nicht ganz zu Unrecht.

Um den Beschwerden Einhalt zu gebieten, probierte die Formel E bei den Vorsaison-Testfahrten in Valencia für das nächste Jahr ein neues System aus. Das Knock-out-Format soll für ähnlich viel Spannung sorgen, gleichzeitig aber fairer werden. Wie gut die Anpassung funktioniert, erfahren Formel-E-Fans Ende Januar beim Saisonbeginn 2022 in Diriyya.

Immer wieder blickten wir in den vergangenen Monaten auch in die Zukunft. Die dritte Formel-E-Fahrzeuggeneration, kurz "Gen3", rückt immer näher. Im Jahresverlauf verschrieben sich zahlreiche Automobilhersteller der neuen Elektro-Ära, darunter Porsche, Jaguar, Nissan und DS Automobiles.

Im November wurde schließlich das erste Foto des neuen Fahrzeugs veröffentlicht - wenn auch stark abgedunkelt und ohne klare Konturen. Kurz davor absolvierte Benoit Treluyer für Spark Racing Technologies einen ersten Geheimtest mit dem Fahrzeug, das im Frühjahr 2022 an alle Teams ausgeliefert werden soll.

Die Formel-E-Saison 2021 begann in Diriyya mit einem Schock für Mahindra-Fahrer Alex Lynn. Im Zweikampf mit Mitch Evans stieg er am Hinterrad des Neuseeländers auf, überschlug sich und rutschte auf dem Überrollbügel in die Auslaufzone. Die Rennleitung brach den E-Prix kurz darauf ab, die TV-Regie zeigte den Zwischenfall nicht.

Erst durch ein mehrere Stunden später veröffentlichtes Video einer Überwachungskamera wurde das Ausmaß des Crashs klar. Lynn wurde ins Krankenhaus transportiert, wo ihm die Ärzt:innen glücklicherweise "grünes Licht" gaben.

Lynns Unfall war jedoch nicht der einzige heftige Abflug in Diriyya - auch Edoardo Mortara krachte bei einer Startübung im Freien Training mit hoher Geschwindigkeit in die TecPro-Bande. In den darauffolgenden Wochen erholte sich Mortara sowohl physisch als auch sportlich und brachte sich beim Saisonfinale in Berlin sogar in eine aussichtsreiche Position, um den WM-Titel zu gewinnen.

Seine Ambitionen zersprangen jedoch bereits am Start des Berlin E-Prix in tausende Carbonteile. Mitch Evans, ebenfalls Titelaspirant, blieb am Rennstart stehen. Einige Fahrer konnten dem Neuseeländer gerade so ausweichen, doch für Mortara war es zu spät. Beide Topkandidaten auf die Meisterschaft schieden noch vor der ersten Kurve aus - was für ein Drama!

Als kurz darauf auch noch Rookie Jake Dennis, der durch Nyck de Vries' schlechten Startplatz zwischenzeitlich als aussichtsreichster Fahrer auf den Titel galt, mit einem beschädigten Inverter ausschied, war das Chaos perfekt. De Vries genügte ein achter Rang, um mit einem Punktevorsprung von sieben Zählern zum ersten Formel-E-Weltmeister gekürt zu werden.

Da die Boxenanlage der Formel-E-Piste in Mexiko-Stadt als temporäres Krankenhaus für Corona-Patient:innen genutzt wurde, wich die Elektroserie 2021 auf einen permanenten Rundkurs nahe der Millionenstadt Puebla aus. Porsche-Schützling Pascal Wehrlein blühte in Mexiko zu seiner Bestform auf, reiste aber trotzdem schwer enttäuscht ab.

Nachdem Wehrlein im ersten Teil des Doppelrennens souverän als Erster das Ziel erreicht hatte, sprach die FIA eine nachträgliche Disqualifikation gegen den Deutschen aus. Der Grund: Porsche hatte vor dem Rennen nicht angemeldet, welche Reifen das Team an seinem Fahrzeug montiert hatte. In einem Instagram-Post machte Wehrlein seinem Unmut Luft: "Wenn euch so wichtig ist, welche Reifen wir verwenden", schimpfte er in Richtung der FIA, "dann checkt sie verdammt noch mal selbst!"

Zusätzliches Salz streute die Formel E tags darauf in die Wunde, als Wehrlein durch eine nachträgliche Strafe erneut um eine Podiumsplatzierung gebracht wurde. Dieses Mal setzte er seinen FANBOOST zu spät ein, wodurch der Motor nicht mehr die erforderliche Minimalleistung von 240 kW an die Antriebsachse abgeben konnte.

Wie schmal der Grat zwischen Genie und Wahnsinn ist, fand Lucas di Grassi beim Rennwochenende in London heraus. Weil das Safety-Car in Großbritannien ungewöhnlich langsam fuhr, entschied sich der Brasilianer als Teil einer mit dem Team abgesprochenen Choreografie für eine Abkürzung durch die Boxengasse.

Die Verwirrung war perfekt, als der Audi-Fahrer überraschend in der Führungsposition zurück auf die Strecke rollte. Mit 50 km/h war di Grassi in der Boxenstraße schneller als die Safety-Car-Kolonne auf der Start-/Zielgerade gewesen - der perfekte Coup?

Nicht ganz. Denn als die FIA feststellte, dass di Grassi zwar einen Boxenstoppversuch unternahm, jedoch nicht zu einem vollständigen Stillstand kam, disqualifizierte sie den Brasilianer noch während des Rennens. Hätte er vor seiner Garage angehalten, egal für welche Zeitdauer, hätte der Boxenstopp gezählt.

Der später "Lucas Loophole" getaufte Vorgang führte zu einer Änderung des Formel-E-Regelwerks, das seither vorschreibt, dass die Ampel am Ende der Boxengasse auf Rot schaltet, sobald das Safety-Car die Boxengasseneinfahrt passiert hat. Erst wenn das letzte Fahrzeug die Boxengassenausfahrt passiert, schaltet sie wieder auf Grün.

Erst ließ Mercedes die Gen3-Einschreibefrist am 31. März 2021 verstreichen, dann verlegte das Unternehmen die Beitrittsentscheidung von einer Vorstandssitzung zur nächsten. Schon im Frühsommer wunderte sich manch einer über die Zögerlichkeit der sonst so zuverlässigen Schwaben. Im Rahmen des Berlin E-Prix erzählte Toto Wolff dann, Mercedes werde nach der Saison 2022 nicht mehr in der Formel E antreten.

Kurz nach Nyck de Vries' Meisterfeier bestätigten die "Silberpfeile" den Ausstieg. Abschließend bearbeitet ist die Causa Mercedes aber noch nicht: Das Einsatzteam habe großes Interesse daran, weiterhin in der Formel E zu bleiben. Zumal es gerade erst ins britische Brackley umzog. Antworten auf die Frage, ob es womöglich einen direkten Mercedes-Nachfolger - beispielsweise in Form eines Kundenteams oder neuen Konstrukteurs ab 2024 - geben könnte, werden wir wohl im neuen Jahr erfahren.

Seit dem Peking E-Prix 2014 fürchtete sich die Formel E vor genau diesem Bild: In der letzten Runde eines Rennens rollen reihenweise Fahrzeuge aus, weil ihnen der Strom ausgeht. 2021 war es schließlich soweit. Der Energie-GAU von Valencia schlug auch außerhalb der Formel-E-Blase hohe Wellen, dabei hatte der Ausfall von insgesamt 15 Autos vielmehr mit der seit 2018 genutzten "Energiereduktionsregel" bei Rennneutralisierungen zu tun.

Ursprünglich wurde diese Regel eingeführt, um den Effekt des Energiesparens bei Safety-Car- oder Full-Course-Yellow-Bedingungen auszumerzen. Während des Rennens strich die Rennleitung insgesamt 19 der üblicherweise verfügbaren 52 kWh - die Fahrer mussten den E-Prix also mit 37 Prozent weniger Energie als geplant beenden. Hinzu kam ein unglückliches Timing des finalen Restarts, der das Rennen - für viele überraschend - um eine Runde verlängerte. Auch der Energie-GAU von Valencia führte zu einer Regelanpassung für 2022.

Nicht zuletzt das Akkumanagement der Mercedes-Fahrer, das unerwartete Podium von Nico Müller (Dragon) und der mediale Rückschlag machten die Ereignisse beim Valencia E-Prix zum denkwürdigsten Moment der Saison 2021.

Jetzt ist deine Meinung gefragt: Welche Formel-E-Geschichte hat dich im Jahr 2021 am meisten bewegt, welche Meldung am meisten überrascht? Wir freuen uns, in den Kommentaren mit dir zu diskutieren, und wünschen dir einen guten Rutsch ins Motorsportjahr 2022!

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1 Kommentare

Martin ·

Gute Zusammenfassung und ein tolles Jahr für die Formel E. Habe mir gerade nochmal die eigenen Videos vom E-Prix in Berlin angesehen. Wirklich ein spannendes Rennen. Freue mich schon auf 2022 wieder mit einem double header dabei zu sein.

Antwort von Tobias Bluhm

Lieber Martin, vielen Dank für dein Feedback - das freut mich zu hören. Komm gut ins neue Jahr!

LG Tobi

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