Formel E

McLaren-Teamchef Ian James im Formel-E-Interview: "Würde nicht akzeptieren, wenn wir am Saisonende an der gleichen Stelle stehen"

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Nach einer enttäuschenden zweiten Saisonhälfte 2023 hat sich Neom McLaren mit Sam Bird einen der erfahrensten Piloten in der Elektroserie gesichert. In Valencia hat sich e-Formel.de mit Teamchef Ian James unterhalten - über die Verpflichtung von Bird, über den von McLaren eingesetzten Rookie Taylor Barnard sowie über das Thema Software-Entwicklung.

Ian, wie ist dein Eindruck nach den ersten drei Teststunden am Dienstag? Euer Nachwuchsfahrer Taylor Barnard ist zwar erst 19 Jahre alt, war mit Position 7 aber richtig schnell.

Ja, ich bin sehr, sehr zufrieden. Taylor hat natürlich im Vorfeld eine gewisse Vorbereitung mitgemacht, unter anderem im Simulator. Er hat gezeigt, dass er die notwendige Reife besitzt, und ich bin mit seiner Leistung wirklich sehr zufrieden. Das war stark. Er hatte nur ein kleines Problem mit dem Sitz von Sam Bird, was ihn in der letzten Schikane ein wenig behindert hat. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte er meiner Meinung nach noch etwas schneller fahren können.

Nach Jake Hughes, der 2023 in seiner ersten Saison richtig schnell war, habt ihr womöglich ein neues Talent gefunden, das auf Anhieb gut performt. Wie schafft ihr das?

Ich glaube, wir haben nicht nur Glück. Wir haben ein internes Programm, das wir auch schon bei Mercedes hatten. Durch unser Reserve-Driver-Programm wollen wir neue Talente finden. Für mich ist es ganz wichtig, dass wir Talente für einen möglichen Rennsitz finden. Wir arbeiten mit der FIA zusammen, um sicherzustellen, dass wir ein besseres Rookie-Programm haben. Das ist vor allem für die Zukunft der Formel E sehr, sehr wichtig. Der Hauptfokus der aktuellen FIA-(Formelsport-)Pyramide liegt aktuell auf Formel 4, Formel 3, Formel 2 und Formel 1. Wir müssen sicherstellen, dass wir auch für die Formel E eine Lösung finden.

In diesem Jahr hat es bis auf Jehan Daruvala kein Rookie in die Formel E geschafft.

Ja, wir haben nicht so viele neue Fahrer in diesem Jahr. Ich glaube aber, dass es Jahr für Jahr einen Unterschied geben wird. Wir hatten letztes Jahr zwei Rookies mit Jake Hughes und Sacha Fenestraz. Beide haben gezeigt, dass sie als Rookie die notwendige Reife hatten und Leistung bringen konnten. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir auch zukünftig neue Talente finden werden. Es ist wichtig, dass wir Gelegenheiten haben, wo wir diese Talente einsetzen können.

"Wichtig ist, dass wir eine Nachwuchs-Rennserie schaffen"

Ist es denn aus deiner Sicht besser, ein eigenes Rookie-Training oder einen Rookie-Testtag zu haben? Oder stattdessen Rookies und Stammfahrer gemeinsam auf der Strecke zu haben, so wie hier in Valencia?

Beide Optionen haben Vor- und Nachteile. Es ist ein Vorteil, dass hier in Valencia die Rookies gemeinsam mit den erfahrenen Piloten auf der Strecke sind. Es ist ja auch kein Rennen, daher muss man ein Gefühl für die "echte Leistung" der Fahrer bekommen. Ich finde diese Möglichkeit echt vorteilhaft. Meiner Meinung nach sollte man zusätzlich aber auch einen normalen Rookie-Test während der Saison hinbekommen, zum Beispiel nach dem Berlin-Rennen. Wichtig ist jedoch, dass wir irgendwann einmal zusätzlich eine Nachwuchs-Rennserie schaffen. Das wäre ideal.

Wie sieht es mit dem Thema Schnellladung aus? Kann das aus deiner Sicht in dieser Saison endlich kommen, oder führt der Brand gestern erneut zu Problemen?

Das Feuer hatte, soweit ich informiert bin, nichts mit dem Fast-Charging zu tun. Natürlich ist es wichtig, dass wir hier in Valencia die Möglichkeit haben, Rennsimulationen durchzuführen. Wir müssen sicherstellen, dass wir wissen, was zu erwarten ist. Außerdem müssen wir die Prozesse üben. Wenn wir die Rennsimulationen durchführen können, gibt es aus meiner Sicht keinen Grund, in Saison 10 auf die Schnellladung zu verzichten. Ich finde es daher wichtig, dass wir das schaffen.

Und was, wenn die Rennsimulationen aufgrund der Verzögerungen nun doch nicht durchgeführt werden können?

Sollten wir das nicht schaffen, müssen wir uns überlegen, wie wir das im Vorfeld testen können, um auch hier die notwendigen Vorbereitungen treffen zu können. Es ist wichtig, dass wir alle Möglichkeiten verstehen, auch teamintern, um gut vorbereitet zu sein.

Die Rundenzeiten waren in der ersten Session am Dienstag schon schneller als im letzten Jahr. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Wir haben die Gen3-Antriebe softwareseitig weiterentwickelt. Auch die Fahrer haben ein besseres Gefühl gehabt. Wir müssen uns einmal die Sektorzeiten ansehen, ob es vielleicht auch an Änderungen an der Strecke liegt: Wir haben einen neuen Asphalt, das spielt auch eine Rolle. Das müssen wir noch genau analysieren. Man muss sich die Bedeutung hinter den Rundenzeiten beim Testen ohnehin immer genau anschauen, das ist nicht wie in einem Rennen oder Qualifying. Die Programme der Teams sind auch unterschiedlich. Anhand der Daten, die wir gesammelt haben, werden wir intern nach Valencia ein Gefühl bekommen, ob wir konkurrenzfähig sind oder nicht.

Du hast die Software angesprochen: Wie ist das denn zwischen euch und Nissan geregelt? Verwendet ihr dieselbe Software oder entwickelt ihr auch selbst?

Das Haupt-Software-Paket kommt von Nissan. Aber wir entwickeln das gemeinsam in einer sogenannten Software-Working-Group weiter. Die Ingenieure von Nissan und von uns sitzen zusammen, diskutieren und priorisieren ihre Ideen. Anschließend wird das von ein paar Software-Ingenieuren von Nissan kodiert. Wir haben einige Parameter, die wir hier an der Rennstrecke anpassen können. Das machen wir dann intern bei McLaren. Aber im Großen und Ganzen sind die Software-Pakete bei Nissan und bei uns identisch.

Was sind denn deine Erwartungen für die kommende Saison?

Unsere Saison 9 bestand aus zwei Hälften: Wir hatten einen guten Start, die zweite Saisonhälfte über waren wir schwach. Aber ich glaube, wir haben jetzt ein Verständnis dafür, warum wir manche Fehler gemacht haben. Wir waren nicht schnell genug darin, ein Gefühl für die Gen3-Autos und das Rennformat zu bekommen. Aber das haben wir korrigiert. Wir haben mit Sam Bird jetzt einen neuen Fahrer, der auch andere Erfahrungen mit ins Team einbringt. Er arbeitet momentan mit dem ganzen Team, aber auch mit Jake sehr eng zusammen. Ich bin positiv gestimmt für Saison 10.

Wie viel wird sich denn am Kräfteverhältnis ändern? Die Hersteller dürfen für Saison 10 ja keine neuen Antriebe homologieren.

Genau, wir haben den sogenannten Homologation-Freeze, das heißt, wir werden keinen Riesensprung beim Gesamtpaket sehen. Aber wir haben die notwendigen Zutaten, um sicherzustellen, dass wir weiter nach vorne kommen können. Ich würde es nicht akzeptieren, wenn wir am Ende von Saison 10 an der gleichen Stelle wie am Ende von Saison 9 stehen.

Eine Frage zum Schluss: Wer wird Meister in Saison 10?

Ich glaube, Jaguar und Porsche werden nach wie vor sehr stark sein. Mein Wunsch beziehungsweise mein Ziel ist es, sicherzustellen, dass wir nicht mehr zwei Jaguar-Teams vor zwei Porsche-Teams und zwei Stellantis-Teams haben. Wir würden gern alles ein bisschen mehr gemischt sehen und weiter vorn landen als in Saison 9. Ich glaube, das ist machbar.

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