Formel E

Freiheiten für Hersteller, Pit-Boost bleibt: Technisches Regelwerk für Gen4-Auto der Formel E veröffentlicht

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

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Bei der Sitzung des Motorsport-Weltrates der FIA am Dienstag wurde das Technische Reglement für die Formel-E-Saison 2026/27 beschlossen. Aus dem detaillierten Regelwerk, das der Automobil-Weltverband anschließend veröffentlicht hat, gehen viele Details über die neuen Gen4-Fahrzeuge hervor, die bislang nicht bekannt waren. e-Formel.de hat für dich die 72 Seiten des Reglements analysiert und gibt dir einen Überblick über die größten Unterschiede im Vergleich zu den aktuellen Fahrzeugen.

Die groben Eckdaten der neuen Formel-E-Fahrzeuge sind schon seit einigen Monaten bekannt: Die maximale Leistung steigt von 350 kW auf 600 kW, die Energierückgewinnung von 600 kW auf 700 kW. Dazu erhalten die Autos eine größere Batterie und erstmals eine Servolenkung.

Dies bestätigt sich bei einem Blick in das Technische Reglement: Chassishersteller Spark stellt sämtlichen Teams mehr Systeme zur Verfügung, als das bislang der Fall war. Neben der bereits angesprochenen Servolenkung sind darunter nun auch wieder hydraulische Bremsen an der Hinterachse, auf die beim Gen3-Boliden noch zugunsten eines stärkeren Energierückgewinnungssystems verzichtet wurde. Später war ein Notbremssystem nachgerüstet worden, das verwendet werden darf, sollte es aufgrund eines Problems mit Antrieb oder Batterie keine Rekuperation an der Hinterachse geben.

Ebenfalls neu sind Halteseile in der Radaufhängung, die dafür sorgen sollen, dass sich die Räder im Falle eines Abreißens der Radaufhängung nicht unkontrolliert lösen.

Hersteller dürfen weitere Komponenten entwickeln

Aber auch die Hersteller erhalten mehr Freiheiten bei der Entwicklung: So dürfen sie nun aktive Differentiale für die Vorder- und Hinterachse entwickeln. Hierbei sind weiterhin zwei verschiedene Systeme erlaubt: Ein mechanisches Sperrdifferential, das im Falle des Durchdrehens eines Rades teilweise oder komplett blockiert, damit mehr Kraft an das Rad mit mehr Haftung geht. Alternativ ist auch ein Visco-Kupplungssystem erlaubt, das aus Platten in einem zähflüssigen Öl besteht. Sollten sich die Räder unterschiedlich schnell drehen, entsteht Reibung, die langsam Kraft überträgt. Der Nachteil: Es reagiert langsamer als ein mechanisches Sperrdifferential. Neu ist, dass die Differentiale nun aktiv gesperrt werden dürfen - elektrisch oder hydraulisch.

Auch das Brake-by-Wire-System an der Vorderachse, das bei den aktuellen Fahrzeugen noch ein Einheitsteil von Chassishersteller Spark ist, dürfen die Hersteller nun selbst entwickeln. Dabei handelt es sich um ein elektronisch gesteuertes Bremssystem, bei dem Sensoren die Stellung des Bremspedals erfassen und an Steuergeräte übermitteln, die anschließend die Bremsen auslösen. Ebenfalls neu: Die FIA erlaubt den Herstellern nun, dass sie ein Mikrofon im hinteren Gehäuse des Antriebs installieren. Somit können sie den Antrieb akkustisch überwachen und mögliche Probleme auf der mechanischen Seite feststellen.

Frontmotor wird wichtiger

Die maximale Leistung der Antriebe steigt auf 600 kW. Dabei dürfen weiterhin maximal 350 kW an der Hinterachse verwendet werden. Der Frontmotor wird hingegen deutlich stärker: Seine maximale Leistung steigt von derzeit 50 kW auf 250 kW. Auch die höhere Energierückgewinnung wird über den Frontmotor erreicht: Statt 250 kW darf dieser beim Bremsen maximal 350 kW Energie in die Batterie einspeisen. Im Gegensatz zum aktuellen Fahrzeug, wo der vordere Motor nur beim Rennstart, im Attack-Mode und bei den Qualifying-Duellen Leistung an die Vorderräder abgeben darf, hat der Gen4-Bolide einen permanenten Allradantrieb.

Was ebenfalls bislang nicht bekannt war: Auch bei den Gen4-Boliden wird es wieder einen Pit-Boost geben. Die Energiemenge bei den Boxenstopps mit Schnellladung soll dabei um rund fünf Prozent steigen, von derzeit 3,85 kWh auf nun 4,05 kWh. Die Batterien, die zukünftig von Podium AT geliefert werden, haben im Rennbetrieb eine maximal nutzbare Energiemenge von 55 kWh - eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den 38,5 kWh, die die Fahrer aktuell für die Rennen zur Verfügung haben.

Aus dem Technischen Reglement gehen auch die Abmessungen der Gen4-Autos hervor: So werden die neuen Fahrzeuge mit 5,54 Meter ganze 52 cm länger sein als ihr Vorgängermodell. Auch der Radstand (3.080 mm statt 2.970,5 mm), die Breite (1.800 mm statt 1.707 mm) und das Gewicht steigen deutlich: 1.012 kg bringen die neuen Fahrzeuge auf die Waage. Im Vergleich: Aktuell wiegen die Gen3-Evo-Boliden 862 kg, in der kommenden Saison werden es 863 kg sein.

Reifen & Felgen werden breiter

Die Formel E wird auch weiterhin auf Allwetterreifen mit einem Durchmesser von 18 Zoll setzen. Diese werden jedoch deutlich breiter, besonders an der Vorderachse: 295 mm statt wie bislang 265 mm beträgt die Breite der Reifen vom neuen Lieferanten Bridgestone. An der Hinterachse ist der Unterschied nicht so groß: Hier ändert sich die Breite von 330 mm auf 345 mm. Auch die Felgen müssen daher breiter werden: Statt 10 Zoll (vorn) und 12 Zoll (hinten) sind sie zukünftig 11,5 bzw. 13 Zoll breit.

Auch der im Reglement vorgeschriebene Sturz der Reifen ändert sich: Während er aktuell im Bereich von -1° bis -4° liegen muss, wird bei den neuen Fahrzeugen zwischen Vorder- und Hinterachse unterschieden. Vorn liegt der erlaubte Bereich zwischen 0° und -4°, hinten zwischen 0° und -3°. Dadurch, dass nun auch neutraler Sturz erlaubt ist, eröffnen sich neue Setup-Möglichkeiten, etwa für bessere Traktion oder weniger Reifenverschleiß.

Einen offiziellen Termin für die Präsentation des Gen4-Fahrzeugs gibt es bislang noch nicht. Es wird spekuliert, dass es Ende Juli im Rahmen des Saisonfinales in London erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen sein könnte.

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3 Kommentare

Jürgen ·

Sind die Mikrophone (im hinteren Gehäuse des Antriebs) für uns Zuschauer gedacht oder sind die nur für die FIA?

Antwort von Tobias Wirtz

Hallo Jürgen,

es handelt sich um eine Anforderung der FIA. Aus dem Technischen Reglement geht leider nicht hervor, für welchen Zweck dieses Mikrofon verwendet wird. Daher könnte ich hier jetzt nur spekulieren.

Ich habe jedoch für die kommenden Tage einige Interviews mit Verantwortlichen von Teams und Herstellern vereinbart, wobei dies eines der Themen ist, die ich auf der Liste stehen habe.

Gruß, Tobias

/Edit 20.06.2025

Hallo Jürgen,

Porsche-Teamchef Florian Modlinger hat mir heute bestätigt, dass ein Mikrofon seitens der Hersteller verbaut werden kann, um auf diese Art und Weise eine akkustische Fehlerprüfung des Antriebs durchführen zu können, sollte ein Fahrer beispielsweise ein seltsames Geräusch melden.

Ich hoffe, ich konnte weiterhelfen!

Gruß, Tobias

EffEll ·

Ja Jürgen, diese Stelle ist mir auch als erstes aufgefallen. Ich hoffe und denke es wird dafür eingesetzt, die doch recht emotionslose Geräuschkulisse der TV-Übertragung im Vergleich zur Formel 1 etwas aufzupeppen, indem man den Sound der Fahrzeuge direkt auffängt und im Worldfeed entsprechend abmischt. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass man bei nachträglich erstellten Videos Soundeffekte hinzufügt, oder zumindest Geräusche verstärkt, was gerade bei Zusammenfassungen von Unfällen deutlich auffällt. Wenn man den Sound direkt am jeweiligen Antriebsstrang auffängt, könnte man diese Effekte auch in der Live-Übertragung anwenden, indem man die Geräusche entsprechend abmischt. Gerade beim Sound hat sich in den letzten Jahren doch einiges getan wenn man überlegt, dass die Geräuschkulisse der Antriebe in Gen1 tatsächlich noch an (Spielzeug-) RC Autos oder Zahnarztbohrer erinnerten. Was auf SM ja immer als Hauptkritikpunkt der Petrolheads an der Serie herhalten musste. Daraufhin wurden die Hersteller mW. angehalten, mehr Augenwerk auf die Geräuschemissionen von Motor, Getriebe und Differential zu legen. Der Klang veränderte sich in den folgenden Generationen daraufhin deutlich, sodass man die Antriebe am Sound klar voneinander unterscheiden konnte. Seitdem wird auf dem offiziellen YT Kanal der FE alljährlich von den Testfahrten ein Video veröffentlicht, der den Sound der Antriebe der unterschiedlicher Hersteller zum Thema hat - sozusagen die erste Kostprobe. Ich bin sehr froh, dass sich die Formel E diesem Thema seit beginn annimmt und stetige Verbesserungen einbringt. Vielleicht könnte die e-Formel.de-Redaktion das Thema hier als Artikel mal näher beleuchten?
Leider aber erhält man in den Kommentaren bei Fragen keine Rückmeldung mehr, wohingegen man seit Anfang und meist noch bis zur letztjährigen Saison von Timo oder Tobias eine fundierte Antwort erhielt, wenn man Fragen in den Kommentaren stellte. Diese Nähe zum Leser empfand ich immer als extrem sympathisch. Vermutlich ist der generelle Arbeitsaufwand mittlerweile zu hoch um sich auch noch darum kümmern zu können.

Antwort von Tobias Wirtz

Hi Flo,

zunächst einmal danke für deinen ausführlichen Kommentar! Ich möchte um Entschuldigung bitten, dass die Rückmeldungen zu den Kommentaren in der letzten Zeit sehr schleppend bis gar nicht kamen. Es ist mir persönlich sehr wichtig, auf Rückfragen und Input von Euch zu reagieren, immerhin machen wir das Alles hier ja für Euch :-)

Ich hatte aber leider die letzten Wochen privat einiges um die Ohren, daher bin ich beispielsweise auch nicht in Tokio gewesen. Dabei sind die Kommentare leider etwas zu kurz gekommen.

Zu Deiner Frage: Wie ich schon auf den vorherigen Kommentar geantwortet habe, habe ich den Punkt so dem Technischen Regelwerk entnommen und bislang noch keine weiteren Informationen, was sich aber in den kommenden Tagen definitiv ändern wird!

Viele Grüße, Tobias

Lukas ·

Ist ein Attack Mode in Zukunft weiterhin vorgesehen, oder steht das in den Spezifikationen gar nicht drin?

Antwort von Tobias Wirtz

Hallo Lukas,

der Attack-Mode erhöht nur die maximal erlaubte Leistung, die das Auto abrufen darf, bzw. schaltet er bei den Gen3-Evo-Boliden auch den Vorderradantrieb frei, der im "Normalbetrieb" deaktiviert ist.

Es handelt sich damit um keine technische, sondern eine sportliche Regelung. Diese ist daher auch im Sportlichen Reglement verankert. Dieses erwarten wir für die Gen4-Boliden aber erst in rund einem Jahr.

Aber wenn du mich nach meiner persönlichen Einschätzung fragst: Die Formel E wird ein solches Feature auch in Zukunft haben. Ob die Aktivierung weiterhin im "Mario-Kart-Stil" durch die Fahrt über eine bestimmte Zone auf der Strecke aktiviert wird, können wir jedoch momentan nur mutmaßen. Es wäre auch denkbar, dass es ein reines "Pust-to-Pass"-System wird.

Gruß Tobias

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