Formel E

Meinungsbeitrag: Warum es richtig ist, die kommenden Formel-E-Rennen abzusagen

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Die Formel-E-Saison 2019/20 liegt vorerst auf Eis. Wie die Elektroserie am Freitag ankündigte, werden alle für März, April und Anfang Mai angesetzten Termine vorübergehend abgesagt. Frühestens Mitte Mai soll die Saison wieder anlaufen. Bei Fans und Fahrern sorgen die Maßnahmen für Frust. Dennoch ist es richtig, dass die kommenden E-Prix abgesagt werden, argumentiert Autor Tobias Bluhm.

Die Formel E reiht sich mit ihrer Ankündigung vom Freitag in eine lange Liste von Veranstaltungen ein, die aufgrund des Coronavirus ebenfalls nicht stattfinden. Von der Leipziger Buchmesse über Basketball-Spiele in der NBA, die aktuelle Bundesliga-Saison oder das Coachella-Musikfestival sind Events aller Art von vorläufigen Verlegungen oder Absagen betroffen. In Italien, wo am 4. April eigentlich der Rom E-Prix starten sollte, ist das öffentliche Leben inzwischen beinahe zum kompletten Stillstand gekommen. Dort erklärte Premierminister Giuseppe Conte in der vergangenen Woche das gesamte Land zur "Schutzzone".

Auch in anderen Motorsport-Serien werden derzeit reihenweise Veranstaltungen abgesagt. Nach der Formel E, IndyCar, WEC, NASCAR und der MotoGP hat kürzlich sogar die Formel 1 ihr Rennen in Melbourne gecancelt - wenn auch noch lange nicht so formvollendet, wie es den anderen Serien in der vergangenen Woche gelang.

Paddock bietet quasi Laborbedingungen

Während die Formel 1 ihre Entscheidung bis auf wenige Stunden vor Beginn des 1. Freien Trainings in Australien hinauszögerte, reihte sich die Ankündigung der Formel E in eine klare kommunikative Linie ein, die die Meisterschaft schon in den letzten Wochen fuhr. Dabei stand die Elektroserie, als sie zuletzt ihre Rennen in Sanya und Rom verlegte (die Jakarta-Absage ging von der lokalen Regierung aus), vor der einer ähnlichen Entscheidung wie die F1: An der Veranstaltung eines Rennwochenendes hängen Sponsoren- und Lizenzverträge im Wert von mehreren Millionen Dollar. Wer auf das Event verzichtet, verzichtet auf bedeutende Einnahmen und bricht ausgehandelte Abkommen.

Fakt ist allerdings auch, dass in einem Fahrerlager einer internationalen Rennserie quasi Laborbedingungen herrschen, um ein Virus über Ländergrenzen hinweg zu übertragen. Es würde mich nicht überraschen, wenn in den nächsten Wochen bekannt werden würde, dass sich mehrere Mitarbeiter eines Formel-1-Teams unwissentlich an der Rennstrecke infiziert haben - unabhängig von den derzeit 14 in Australien isolierten McLaren-Mechanikern.

Spätestens seitdem die Weltgesundheitsorganisation WHO die Verbreitung des Coronavirus zur Pandemie erklärte, geht es allerdings auch in der Formel E nicht mehr nur um die Gesundheit von einzelnen Teammitgliedern. Immerhin gehören die wenigsten Mechaniker, Ingenieure oder Fahrer zu typischen "Risikogruppen", die aufgrund eines schwachen Immunsystems lebensbedrohliche Krankheitsverläufe befürchten müssen. Vielmehr trifft den Motorsport in diesem Fall eine bedeutende gesellschaftliche Verantwortung, der sich auch die Formel E stellt.

Verantwortung gegenüber dem Gesundheitssystem übernehmen

So geht es bei den Rennabsagen einerseits selbstverständlich  darum, alle Beteiligten und ihre direkten Angehörigen zu schützen. Gerade weil die Formel E ihre Rennen ausschließlich in Innenstädten austrägt, ist die Ansteckungsgefahr erhöht. Kein Teammitglied, Medienvertreter, Streckenposten oder Fan soll sich jedoch an der Rennstrecke infizieren, um wenig später ein neugeborenes Kind oder die 80-jährige Großmutter in der Heimat anzustecken. Andererseits dürfte die Elektroserie im Moment auch das Ziel haben, genau wie alle anderen Veranstalter von abgesagten Großevents, das Gesundheitssystem in den austragenden Ländern zu entlasten.

Schließlich kommen Krankenhäuser in Norditalien bereits jetzt an ihre Grenzen. Auch hierzulande bemüht man sich inzwischen darum, zeitlich weniger dringliche Operationen zu verschieben, um zusätzliche Kapazitäten für das Krankenhauspersonal zu schaffen. Natürlich muss nicht jede mit dem Virus infizierte Person stationär aufgenommen werden. In schwerwiegenden Corona-Fällen können jedoch von Infusionen bis zu künstlicher Beatmung viele Maßnahmen nötig sein. Für große Events wie ein Formel-E-Rennen bedeutet das: Je weniger Menschen sich an der Rennstrecke anstecken, desto mehr Krankenhausbetten können für diejenigen, die unter Umständen medizinische Aufmerksamkeit benötigen, freigehalten werden.

Formel E machtlos: Nur abwarten hilft

Im Kern der Rennabsagen steht also nicht nur das Ziel von Nicht-Ansteckungen mit dem Coronavirus, sondern auch um eine gesamtgesellschaftliche Verlangsamung der Ausbreitung. Der momentan bundesweit gefragte Virologe Christian Drosten aus der Berliner Charité geht davon aus, dass sich früher oder später ohnehin mehr als 60 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus anstecken könnten. Mit Blick auf die Kapazitäten der Krankenhäuser dürfte dann auch die Rate der Infektionen entscheidend sein. Für die Formel E gilt es daher, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die "Infektionskurve" möglichst flach gehalten wird.

Die Absage von allen E-Prix bis Mitte Mai ist aus einer sportlichen Perspektive selbstverständlich frustrierend. Auch ich hätte gern darauf verzichtet, meine bereits gebuchten Reisen nach Rom und Paris nicht stornieren zu müssen oder mehrere Wochen auf das nächste Rennen zu warten. Allerdings muss in diesem Fall die Gesundheit Vorrang bekommen - so abgedroschen das auch klingt.

Rennabsagen sind eine radikale, aber auch eine sehr effektive Maßnahme, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und Teile der Gesellschaft zu schützen. Hoffen wir, dass sich die internationale gesundheitliche Notlage so schnell wie möglich entspannt, sodass ab Mitte Mai (und von mir aus gern auch etwas früher!) wieder Vollstrom in der Formel E gegeben werden kann. Bis dahin ist allerdings klar: Mit der Aussetzung von den kommenden Rennen hat die Meisterschaft alles richtig gemacht.

Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media

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