Formel E

Neuer Austragungsort in Saudi-Arabien? Qiddiya & Neom buhlen um Formel-E-Rennen

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

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Seit 2018 startete jede Formel-E-Saison mit einem Rennen in Saudi-Arabien. Bislang fanden alle Events auf einem Straßenkurs in Diriyya nahe der Hauptstadt Riad statt, zuletzt sogar mit zwei Nachtrennen. Künftig soll die Meisterschaft jedoch auch an anderen Orten in Saudi-Arabien gastieren. Neben Qidiyya bringt sich nun auch Neom ins Gespräch.

Zu den heißesten Kandidaten für die mögliche Nachfolge Diriyyas gehört laut 'Motorsport.com' derzeit die Planstadt Qidiyya. Auf dem Gelände des Bauprojekts sollen ab 2023 Freizeit- und Wasserparks, Sportplätze und kulturelle Einrichtungen entstehen. Geplant ist zudem der Bau einer "FIA Grade 1"-Rennstrecke, auf der im selben Jahr erstmals die Formel 1 gastieren soll.

"Die Idee ist, dass wir das ganze Königreich mit der Formel E präsentieren", erklärt Carlo Boutagy, Geschäftsführer des lokalen Formel-E-Promoters CBX. Die Formel E soll im Rahmen eines zehnjährigen Abkommens bis mindestens 2028 in Saudi-Arabien gastieren. "Die Kosten beim Aufbau eines Straßenkurses sind nicht ansatzweise so hoch wie bei einer permanenten Strecke. Es ist also durchaus möglich und vertretbar, zwischen verschiedenen Locations zu hin- und herzuwechseln", so Boutagy.

Formel E als Teil der "Vision 2030"

Die Formel E bildet in Saudi-Arabien einen Teil der "Vision 2030" von Kronprinz Mohammad bin Salman, der das Land in den kommenden Jahren mit Milliarden-Projekten unabhängig vom Öl machen, die Wirtschaft diversifizieren und gesellschaftliche Veränderungen anstoßen will. Auch für einen Umzug des Formel-E-Rennens innerhalb Saudi-Arabiens müsste bin Salman "grünes Licht" geben.

"Sollten alle Berechtigungen ausgestellt werden, freue ich mich sehr darauf", sagt Boutagy und kommentiert damit die Gerüchte zu einem möglichen Qiddiya E-Prix. "Es wäre komplett anders, auch wenn es nicht weit weg (von der aktuellen Location) ist. Qidiyya ist eine neue Stadt, die sich entwickeln wird, und ich freue mich darauf, dorthin zu reisen und sie der Welt zu zeigen. Das (Formel-E-Rennen) soll eines der ersten Ereignisse dort sein."

Auch Neom an Formel-E-Rennen interessiert

Neben Qidiyya buhlt offenbar aber auch die Planstadt Neom um das Formel-E-Rennen. In vier Jahren soll der erste Bauabschnitt der Megacity fertiggestellt werden, für die aktuell ein Gebiet der Größe Mecklenburg-Vorpommerns vorgesehen ist. Die Rennteams Mercedes und Dragon werben in diesem Jahr mit dem Logo von Neom auf ihren Fahrzeugen, die "Silberpfeile" drehten vor dem Diriyya E-Prix mit Stoffel Vandoorne sogar einen Werbefilm am Roten Meer (siehe unten).

"Es gab bereits einige Gespräche, bislang aber noch nichts Konkretes", bestätigt Neom-Manager Neal Coupland. "Wir haben mit der Formel E und der Extreme E geredet und sind sehr interessiert an den aktuellen Entwicklungen in beiden Serien. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass (die Formel E) eines Tages in Neom starten wird. Wir wissen aber noch nicht, wann genau das passieren wird."

Zu den Plänen für Neom gehört auch die 170 Kilometer lange Straße "The Line", die Saudi-Arabiens Nachbarland Jordanien mit Ägypten verbinden könnte. "Weil es Neom ist, würden wir ein Rennen anders als alle anderen machen", sagt Coupland. "Aber selbst, wenn wir 'The Line' nicht präsentieren können, finden wir sicherlich einen anderen tollen Stadtteil für das Formel-E-Renen."

"Wir sind offen für die Prüfung anderer Locations", sagte der stellvertretende Formel-E-Geschäftsführer Alberto Longo kürzlich über einen möglichen Ortswechsel in Saudi-Arabien. Eigene Vorschläge wollte er allerdings nicht unterbreiten: "Wir halten uns dabei an das Sportministerium und den lokalen Promoter, die für uns sicherstellen, dass die Bedingungen stimmen."

Meinung von Tobias Bluhm: Waschgang in der Wüste

Die "Bedingungen" für ein Formel-E-Rennen in Saudi-Arabien stimmten meiner Meinung nach noch nie. Gewiss kann eine Gesellschaft nicht von einem auf den anderen Tag verändert werden. Auch wäre es aufgrund von großen kulturellen und religiösen Unterschieden nicht richtig, die angestrebten Sozialreformen mit westlichen Maßstäben zu bewerten.

Beim E-Prix in Saudi-Arabien ging es allerdings wohl nie um die Begleitung von gesellschaftlichen Umbrüchen, wie Formel-E-Gründer Agag noch im Februar bekräftigte, sondern um zwei vollkommen andere Angelegenheiten: eine Menge Geld für die Formel E - laut Medienberichten rund 260 Mio. Euro in zehn Jahren - und um eine Image-Politur für Saudi-Arabien. "Sportswashing" nennen das Politikwissenschaftler:innen und meinen damit den Versuch, das Ansehen von Nationalstaaten mithilfe der "Strahlkraft" von Sportveranstaltungen zu verbessern.

Auch zu anderen Anlässen machte sich die Formel E bereits mit undemokratischen Regimes gemein, zum Beispiel mit Rennen in Russland oder China. Die Beziehung zwischen der Serie und Saudi-Arabien ist dennoch speziell - spätestens seit dem vereitelten Raketenangriff auf Riad.

Nach wie vor gibt es keine konkreten Anzeichen dafür, dass das Formel-E-Fahrerlager das Ziel der Huthi-Miliz war. Nur wenige unserer Kolleg:innen bekamen vor Ort überhaupt etwas von dem Luftangriff mit. Dass die Formel E weniger als 20 Kilometer Luftlinie davon entfernt war, mitten in einen internationalen kriegerischen Konflikt zwischen Saudi-Arabien und seinem Nachbarland Jemen zu geraten, ist in meinen Augen ein Skandal.

Zur unerträglichen Kritiklosigkeit der Formel E gegenüber Saudi-Arabiens Umgang mit den Menschenrechten gesellt sich vor dem nächsten Event somit eine neue Frage: Können die Elektrorennserie und die politische Führung gewährleisten, dass das Fahrerlager in Saudi-Arabien zu jeder Zeit sicher vor weiteren Angriffen ist? Falls die Antwort "nein" lautet, muss nicht über einen Ortswechsel nachgedacht werden, sondern grundlegend über die Fortführung der Rennveranstaltung.

Video: Neom-Demo-Fahrt von Mercedes-Pilot Stoffel Vandoorne

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